Wöchentliche Ruhezeiten Ein Lkw voll an Komfort

Jans Blog Weltzien Foto: Jan Bergrath 5 Bilder
Meinung

An den Wochenenden verbringen bulgarische Fahrer der Kölner Spedition Weltzien ihre Ruhezeiten mit teilweise laufenden Motoren auf der Delmenhorster Straße. Die Firmenleitung verweist auf ihre Arbeitsverträge.

Das Industriegebiet von Köln-Merkenich rechts und links der Emdener Straße ist zum größten Teil von den Anlagen der Ford-Werke belegt. An den Wochenenden ist es ein öder Ort, so gut wie niemand steigt hier freiwillig aus der Straßenbahn. Es gibt rein gar keinen Grund, hier eventuell seine Freizeit zu verbringen. Nirgendwo regt sich menschliches Leben. Bis auf die Delmenhorster Straße, die im Süden des Areals von der Emdener Straße abgeht. Dort parken, auch im weiteren Verlauf unterhalb der Industriestraße, an den Wochenenden rechts und links in Köln oder Berlin zugelassene Sattelzüge der 1982 gegründeten Spedition Weltzien. "Ihre Landfracht bringt uns auf Touren", heißt es auf deren schicker Homepage. "Zukunft braucht Bewegung".

Wahlweise Umweltschädigung oder Lärmbelästigung

125 top-moderne Sattelzugmaschinen stehen laut der veröffentlichen Zahlen zur Verfügung, rund 160 eigene Auflieger. Wer zu Fuß an einem Sonntagmittag die Straße neben den dort ebenfalls parkenden Pkw mit bulgarischen Kennzeichen entlang geht, der hört im Sommer entweder die laufende Standklimaanlage, im Winter die Standheizung. Bei einigen der Actros laufen bei Hitze oder Kälte im Stand die Motoren. Das ist laut Paragraf 30 Absatz 1 der StVO prinzipiell verboten und kostet – in Tateinheit wahlweise wegen Umweltschädigung oder Lärmbelästigung – den Fahrer 80 Euro. Wenn er vielleicht etwa vom Kölner Ordnungsamt oder wahlweise der Polizei im Lkw angetroffen und aufgefordert würde, das zu unterlassen. Was die Kontrolleure des Bundesamtes für Logistik und Mobilität (BALM) bekanntermaßen nicht tun, denn dann würden sie den Fahrer ja in seiner Freizeit stören. Bei meiner Runde mit den Kontrolleuren des BALM im März diesen Jahres, als es leider schon vor 18 Uhr dunkel wurde, hat man die weiß-blauen Fahrzeuge im öffentlichen Raum immerhin zur Kenntnis genommen. Geändert hat sich seither nichts.

Bilder wie bei osteuropäischen Flotten

Es sind die Bilder, wie sie hinreichend, auch aus dem gesamten Kölner Raum, vor allem von den osteuropäischen Flotten bekannt sind, die innerhalb des Kölner Autobahnrings praktisch außer Kontrolle sind. Manche Fahrer haben ihre Satellitenschüsseln am Lkw installiert oder kochen auf den Aufliegern. Andere lassen sich von einem Kollegen die Haare schneiden. Wieder andere packen ihre persönlichen Dinge aus den Lkw in ihre Pkw – für die Heimreise, wie sie sagen. Im vorsichtigen Gespräch, das ich mittlerweile mehrmals, auch im Beisein von Zeugen, mit den bulgarischen Fahrern in der Delmenhorster Straße geführt habe, werden nach deren erstem Überwinden einer gewissen Scheu vor einer möglichen Kontrolle unterschiedliche Arbeitszeitmodelle genannt, als ich mich als Journalist zu erkennen gebe. Etwa drei Wochen fahren, eine Woche frei oder bis zu drei Monate fahren, und dann einen Monat frei. Alle angesprochenen Fahrer sagen, dass sie gut verdienen, aber die ganze Zeit immer im Lkw übernachten würden.

Eine Toilette und eine Dusche im alten Verwaltungsgebäude

Ein Fahrer führt mich schließlich in das stets geöffnete alte Verwaltungsgebäude von Weltzien, obwohl das Unternehmen längst einige Kilometer entfernt in einer nüchternen Zentrale am nördlichen Ende der Industriestraße in Köln-Fühlingen residiert. Mit maximal einem Dutzend eigener Lkw-Stellplätze auf dem kleinen Innenhof. Unten in dem grauen Haus weist alles auf ein weiter genutztes Büro hin, in der ersten Etage gibt es ein Klo und eine Dusche für alle Fahrer, die hier das Wochenende im Lkw verbringen. Die Decke ist feucht. Im Vorraum stehen ein paar alte Mikrowellen. Aufhalten möchte man sich hier eher nicht. Direkt nebenan ist eine Praxis für verkehrsmedizinische Untersuchungen, die allerdings nur unter der Woche geöffnet hat.

Das deutsche Fahrpersonalgesetz und die Fahrer im Lkw

Bereits seit Mai 2017 ist es zunächst nach dem deutschen Fahrpersonalgesetz verboten, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, mit der im August 2020 in Kraft getretenen Anpassung der VO (EG) 561/2006 gilt das Verbot in allen EU-Mitgliedstaaten. In Belgien etwa wird dabei nach dem Strafrecht nur der Unternehmer belangt, weil er ja die Touren zu planen hat. Im deutschen Ordnungswidrigkeitsrecht hängt auch der Fahrer mit drin: Es wird seither eine "Flatrate" in Höhe von 500 Euro (für den Fahrer) und 1.500 Euro (für den Unternehmer) verhängt, wenn die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird. Das wurde vielfach kritisiert. Neue, angepasste Bußgeldvorschriften gibt es immer noch nicht, weil offenbar niemand die Absicht hat, die neuen Regeln ins deutsche Fahrpersonalrecht umzusetzen.

Eine Übernachtungspauschale für die Fahrer

Die Lösung der Spedition Weltzien bringt nun eine mir bislang so nicht bekannte Variante ins Spiel. Bereits am 2. November hatte mir Marvin Weltzien auf meine Anfrage einmal in einer längeren Mail geantwortet, seither auf eine Bitte um ein Treffen vor Ort und auf eine weitere schriftliche Nachfrage mit Fristsetzung nicht mehr reagiert. "Vielen Dank für Ihre Anfrage bezüglich der Arbeitsbedingungen unserer Fahrer", schrieb er mir. "Wir freuen uns, mitteilen zu können, dass die M. Weltzien GmbH alle ihre Mitarbeiter nachweislich übertariflich entlohnt. Zusätzlich gewähren wir unseren Fahrern eine Übernachtungspauschale für die Wochenenden. Diese Pauschale dient dazu, ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich gemäß Arbeitsvertrag eine angemessene Unterkunft zu organisieren. Es ist uns zudem eine Freude zu erwähnen, dass viele unserer Mitarbeiter den Schritt gewagt haben, sich feste Wohnsitze in Deutschland zu organisieren und hier dauerhaft zu leben. Ich gehe davon aus, dass die angetroffenen Fahrer ihre verkürzte Pause und nicht die gesetzlich vorgeschriebene 45-Stunden-Pause an dem besagten Ort verbracht haben."

Die handwerklichen Mängel der EU-Gesetzgebung

Spätestens seit der vollmundigen Erklärung der Brüsseler EU-Politiker Ende Juli 2020, dass das EU-Mobilitätspaket bessere Schutzvorschriften für die Fahrer und einen insgesamt faireren Wettbewerb zur Folge haben würde, zerbröseln diese Versprechen mit jedem neuen Anwenderbeispiel aus der Praxis. Die Rückkehrpflicht der Fahrer ist längst ein Rückkehrrecht geworden, das der Unternehmer zwar organisieren, der Fahrer aber nicht annehmen muss. Die Rückkehrpflicht der Lkw spätestens nach acht Wochen wird nach der Einschätzung eines Generalanwalts des EuGH wohl dem gleichzeitigen "Green Deal" der EU-Kommission zum Opfer fallen, die unter anderem unsinnige Leerfahrten vermeiden möchte. Diese würden in der Tat nach der Erhöhung der Lkw-Maut im größten europäischen Transitland schnell zum Exodus vieler Frachtführer führen, da zumindest in Deutschland kaum ein Auftraggeber die Leerkilometer bezahlt.

Anwenderbeispiel Weltzien

Das Anwenderbeispiel Weltzien hinsichtlich der wöchentlichen Ruhezeiten an dem "besagten Ort" lässt sich daher nur auf Grund der vorliegenden Mail bewerten. Ob eine übertarifliche Entlohnung vorliegt, hängt natürlich auch davon ab, ob Weltzien überhaupt tarifgebunden ist, was ich nicht beurteilen kann. In der Tat sagt der neu formulierte Artikel 8 Absatz 8 der VO (EG) 561/2006: "Die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten und jede wöchentliche Ruhezeit von mehr als 45 Stunden, die als Ausgleich für die vorherige verkürzte wöchentliche Ruhezeit eingelegt wird, dürfen nicht in einem Fahrzeug verbracht werden. Sie sind in einer geeigneten geschlechtergerechten Unterkunft mit angemessenen Schlafgelegenheiten und sanitären Einrichtungen zu verbringen. Alle Kosten für die Unterbringung außerhalb des Fahrzeugs werden vom Arbeitgeber getragen." Wie sich Fahrer aus Bulgarien und mittlerweile auch aus Usbekistan, die kaum der deutschen Sprache mächtig sind, passend zu dem vorgegebenen Tourenplan unterwegs für Lkw zugängliche Hotels oder alternative Übernachtungsmöglichkeiten organisieren sollen, bleibt das Geheimnis von Weltzien.

Kein Nachweis möglich

Eigentlich müsste sich der Arbeitgeber, wenn er die Verantwortung für das Übernachten außerhalb des Lkw auf den Fahrer verlagert, über die korrekte Umsetzung vergewissern, da er ansonsten ebenso Beschuldigter in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren wäre. Die Crux: Viele Fahrer übernachten natürlich von sich aus lieber im Lkw statt in einer wie auch immer gestalteten alternativen Unterkunft. Wenn sie dafür auch noch Geld vom Arbeitgeber bekommen, dieses aber nicht für den beabsichtigten Zweck einsetzen, wären sie vollkommen zu Recht mit einem Bußgeld zu belegen – denn sie nutzen die vom Arbeitgeber gebotenen Möglichkeiten nicht. Dass bei einer Kontrolle laut Vorgaben der EU die Behörden jedoch keine Dokumente zur nachträglichen Kontrolle einer alternativen Übernachtung einfordern dürfen, ist eine der tragischen Widersprüche der EU-Sozialvorschriften. Ob die Fahrer von diesen Konsequenzen tatsächlich wissen, lässt sich bei einer Kontrolle auf der Straße nur ermitteln, wenn sie auf frischer Tat am Sonntag im Lkw kontrolliert werden. Etwa mit laufendem Motor.

Zweimalige Verkürzung nur im grenzüberschreitenden Güterverkehr

Als Kompromiss wurde in den Trilogen zum Mobilitätspaket die Möglichkeit geschaffen, als Fahrer zweimal hintereinander eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit zwischen mindestens 24 und bis zu 44:59 Stunden im Fahrzeug einzulegen, bevor sie, wenn sie ihr Rückkehrrecht in Anspruch nehmen, in diesem Fall so rechtzeitig in die Heimat oder zu der Betriebsstätte, der sie normalerweise zugeordnet sind, zurückehren müssen, dass sie den fälligen Ausgleich vor der nächsten regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit einlegen können. Die Situation ist komplex und total verfahren. Fakt ist: Für einen bulgarischen oder usbekischen Fahrer auf einem in Köln zugelassenen Lkw trifft diese Ausnahme grundsätzlich erst einmal nicht zu. Es sei denn, die Fahrer würden diese Ruhezeiten jedes Mal im grenznahen Ausland einlegen. Was ihnen fern der Heimat wahrscheinlich relativ egal ist, es sei denn, sie wohnen wirklich in oder um Köln.

Betriebsstätte ohne eigene Parkplätze

Im Artikel 5 der VO (EU) 1071/2009 sind die Anforderungen an die Niederlassung eines Frachtführers genau geregelt. Auch wenn es im Juli 2020 zunächst anders verkündet wurde, muss eine Niederlassung nur über Räumlichkeiten für die wichtigsten Unternehmensunterlagen verfügen, aber nirgendwo findet sich eine Verpflichtung, etwa für die Anzahl der eigenen Lkw die entsprechenden Parkplätze vorzuhalten – was die meisten deutschen mittelständischen Transportunternehmen mit einem hohen Kostenaufwand natürlich tun, während gleichzeitig gerade in den Terminals des Kombinierten Verkehrs immer mehr Fahrzeuge internationaler Frachtführer im Auftrag der großen KV-Logistiker den öffentlichen Parkraum nutzen. So wie es auch die Spedition Weltzien macht. Und völlig in Ordnung findet, wenn es am Ende der Mail von Marvin Weltzien heißt: "Wir hoffen, damit alle Ihre Fragen beantwortet zu haben. Wenn die Frage nach einer adäquaten Unterkunft für unsere Fahrer ein "großes Zimmer-Thema" ist, können Sie sicher sein, dass wir stets bemüht sind, unseren Mitarbeitern einen Lkw voll an Komfort zu bieten. Ein Lächeln am Steuer sorgt für eine entspannte Fahrt, genau wie gute Arbeitsbedingungen für zufriedene Mitarbeiter. Wir geben in beiden Fällen Vollgas!"

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