Landesweite Straßenproteste Aufgestauter Frust

Bauernstreik Foto: Olaf Piel 14 Bilder
Meinung

Der BGL beteiligt sich an der bundesweiten Aktionswoche des Bauernverbandes. Doch in der öffentlichen Debatte geht das eigene Anliegen der Transportunternehmen derzeit unter.

Der SVG-Autohof Köln-Eifeltor liegt im Bereich des jeweils gleichnamigen Terminals des Kombinierten Verkehrs und des Güterverteilzentrums im Kölner Westen mit einer eigenen Abfahrt an der A 4. Bereits um sieben Uhr hatten sich hier am 8. Januar die ersten Lkw-Fahrer positioniert und beantworteten Fragen der lokalen Medien. Detlef und Guido etwa von HTL Transport Logistik Nord, die nach eigenen Aussagen das Jahr über mit ihren Fahrzeugen im Raum Köln stationiert sind. „Wir machen an der Demo hier freiwillig mit Erlaubnis unseres Chefs mit“, sagten sie. Die duale Begründung: Weil alles in die Höhe geht. Die Spritpreise, die Mautpreise. Weil viele Unternehmer dadurch kaputtgehen. Weil die Regierung alles kaputt macht.“ Dann fuhren sie zum Treffpunkt auf einen Feldweg bei Hürth.

Im Netz als Blockade angekündigt

Insgesamt 120 Fahrzeuge, darunter 70 Traktoren, hatte eine Privatperson laut Polizei für eine Versammlung zum Thema „Diesel-Rückvergütung und grüne Kennzeichen“ angemeldet. Bei Facebook kursierte ein Aufruf zum Streik und zur Blockade des GVZ unter dem Slogan „Stirbt der Bauer, stirbt das Land“. Am Ende waren fast 700 Fahrzeuge gekommen, sodass der Konvoi erst gegen 10 Uhr unter wirklich guter Führung der Einsatzkräfte startete. Die Lkw, die etwa Auflieger vom Terminal abholten, darunter immer mehr aus Osteuropa, wurden in die Kolonne gelassen und von der Polizei auf die Autobahn geleitet. Für die überwiegenden Traktoren mit den unterschiedlichsten Plakaten wie „Bauer in Not – kein Brot“ oder „Sind wir Bauern alle weg, geht’s dem Volke an den Speck“, dazwischen deutlich weniger Lkw ohne direkte eigene sichtbare Forderungen, war eine Strecke durch die Innenstadt auf die andere Rheinseite und wieder zurück ausgearbeitet worden. Soweit ich es verfolgen konnte, blieben die meisten Teilnehmer brav vor den roten Ampeln stehen. Auch die mit den Plakaten: Die Ampel muss weg.

Friedlich wie beim Kölner Karneval

Am Ende war es friedlich wie beim Kölner Karneval. Es gab Verkehrsbehinderungen, es wurde gehupt, manche Landwirte verteilten heimische Erzeugnisse an die Bevölkerung am Straßenrand. Fast so wie beim Rosenmontagszug, wo Mottowagen auch von Traktoren gezogen werden. Vorbei natürlich auch an den Geschäften der Einzelhandelsketten und den Verbrauchern, die gerne hohe Standards haben wollen, aber gerne auch billige Preise. In Köln wirkte es wie ein rollender Aufschrei nach mehr Anerkennung und Wertschätzung für die regionalen Landwirte, von denen manche ohne ihre osteuropäischen Erntehelfer kaum noch auskommen. Dazu deutliche Warnhinweise vor den billigen Importen aus dem Ausland. Die werden mittlerweile überwiegend von in Osteuropa zugelassenen Großflotten mit nicht dem deutschen Standard entsprechend bezahlten Fahrern aus dem nahen und fernen Osten in die Zentrallager des deutschen Einzelhandels transportiert.

Abgekippte Misthaufen, blockierte Autobahnauffahrten

Richtige Blockaden erlebte dagegen Olaf aus Münster. Schon auf dem Weg nach Lathen im Emsland, eine ausgewiesene Agrarregion mit durch den Dauerregen überfluteten Feldern, hörte er im Radio von den durch Trecker blockierten Ab- und Auffahren, stand mit anderen Kollegen, die ihre Arbeit erledigen wollten, zweimal in blockadebedingten Staus und hatte am Ende des Arbeitstages fast viereinhalb Stunden Zeit verloren. Sein Chef hatte sich nicht direkt an den Demos der gemeinsamen Aktionswoche des Deutschen Bauernverbandes (DBV) und des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) beteiligen wollen, aber Olaf selbst fand die Aktion gut und fühlte sich entspannt als stiller Teilnehmer.

Ganz anders der Spediteur Willi Kellershohn aus Lindlar, der schon auf der A 4 im Bergischen Land an abgekippten Misthaufen vorbeifuhr und später feststellen musste, dass einer seiner zwölf Lkw auf dem Weg zum Kunden im Chaos an der A 1 bei Blankenheim auf dem Weg nach Luxemburg gestrandet war. „Nachdem das Entladefenster abgelaufen war, haben wir den Lkw zurückgeholt“, so Kellerhohn. „Der Empfänger in Luxemburg war nicht bereit, die Entladezeiten in dieser Ausnahmesituation zu verändern. Wir beteiligen uns nicht an den Protesten, da ich es unfair finde, auf den Zug des Bauernprotestet aufzusteigen. Der BGL hat es nicht geschafft, als es um die heiße Wurst Maut und CO2-Bepreisung ging, unsere Interessen durchzusetzen. Und jetzt soll ich mit den Bauern im Konvoi fahren?“

Genehmigte und nicht genehmigte Aktionen mit Blockaden

Erst mit den Abendnachrichten kamen die einzelnen Meldungen über die mehr als 100 bundesweit unterschiedlichen Aktionen, an denen laut Aussage des Bauernpräsidenten Joachim Rukwied im Spiegel „rund 100.000 Traktoren, Bäuerinnen und Bauern, unterstützt durch Handwerker und das Transportgewerbe, auf der Straße waren, um die Rücknahme der Steuererhöhungspläne zu erreichen.“ In der großen Gemengelage gab es dabei offenbar überwiegend im Rahmen der Versammlungsfreiheit genehmigte Aktionen, aber wohl auch viele ungenehmigte Blockaden, Durchbrüche von Traktoren auf Autobahnen sowie gezielte Langsamfahrten von einigen Lkw-Fahrern, die nun alle laut den Pressemeldungen der Polizei verfolgt werden.

Die gesamte, in den sozialen Medien furchtbar aufgeheizte Debatte, ob die auch von vielen Lkw-Fahrern verhasste „Letzte Generation“ der sogenannten Klimakleber einen geringeren Anspruch hätte, Straßen zu blockieren, um die Welt vor der drohenden Klimakatastrophe zu retten, als, wie es jemand überspitzt auf LinkedIn formulierte, die „Hirse-Hisbollah“ mit ihren furchterregenden PS-Monstern im Kampf um den Erhalt des Agrardiesels, der auf lange Sicht zur Klimakatastrophe beiträgt, überlasse ich der rechtlich fundierten Kolumne „Bauern versus Klimakleber" von Prof. Dieter Müller im Motorjournalist.

Starker gemeinsamer Proteststart. Wirklich?

In den sozialen Medien zeigt sich der Vorstandssprecher des BGL, Prof. Dirk Engelhardt, mit plakativ deutlichem Fingerzeig zum Leser vom „starken gemeinsamen Proteststart“ überzeugt und weist noch einmal auf die aktualisierten Forderungen des Transportgewerbes hin, nachdem die teure BGL-Aufklärungskampagne zur Verhinderung der Mauterhöhung schlicht nicht erfolgreich war. Wie ich es bereits in meinem Blog-Beitrag „Proteste für das Überleben“ beschrieben habe, hatten sich die Mitglieder des BGL vor der finalen gesetzlichen Verabschiedung der Erhöhung der Maut gegen Demonstrationen ausgesprochen. „Der BGL hat im Frühsommer dieses Jahres eine Umfrage bei seinen Mitgliedsunternehmen durchgeführt, bei der sich weniger als fünf Prozent seiner Mitglieder verbindlich für eine vom BGL organisierte Demonstration oder Sternfahrt ausgesprochen hat. Die überwiegende Mehrheit der Befragten bevorzugte eine breit angelegte Medienkampagne des BGL und seiner Landesverbände.“

Medienkampagne bevorzugt

Dementsprechend hatte der BGL seine Arbeit im Rahmen der Mauterhöhung – neben seiner politischen Arbeit – auf die Kampagne „Mauteverest – So kommen wir nicht über den Berg“ fokussiert und sich nicht an den Demonstrationsplänen anderer Organisationen beteiligt. Ohne nun wirklich alle Medienberichte zu kennen – aber in der öffentlichen Debatte wie etwa bei „Markus Lanz“ am Dienstagabend geht das Anliegen der Transportunternehmer völlig unter. Selbst unter den BGL-Mitgliedern, die am 15. Januar einen Lkw zur zentralen Kundgebung nach Berlin schicken werden, heißt es im Hintergrund, das mache man nur noch, um dem aufgestauten Frust im eigenen Betrieb ein Ventil zu geben.

Stufenweiser Wegfall

Ich bin Fachjournalist für Transport und Logistik. Zur grundsätzlichen Subventionierung des Agrardiesels kann ich mir kein eigenes Urteil erlauben und zitiere daher hier einen Beitrag von BR 24 mit einer interessanten These: „Wenn nun die Begünstigungen wie für den Agrardiesel stufenweise wegfallen werden, müssten sie künftig höhere Preise verlangen, heißt es von vielen Landwirten. Aber auch das dürfte nicht so einfach möglich sein - der Handel macht Druck und die Konkurrenz aus dem Ausland ist groß. Und gerade diejenigen, die Verständnis für die Nöte der Bauern zeigen und ebenfalls protestieren wollen - also Lkw-Fahrer, Metzger oder Wirte -, klagen schon jetzt über hohe Preise.“

Kommunikative Katastrophe

Für mich ist mittlerweile allerdings ein Punkt klar geworden: Es war die CDU, die den geplanten, allerdings rechtswidrigen Nachtragshaushalt der Ampel-Regierung vor das Bundesverfassungsgericht brachte. In Folge des Urteils sind auch viele geplante Maßnahmen für das Transportgewerbe nicht mehr zu finanzieren. Dieses fehlende Geld im Haushalt, aktuell rund 17 Milliarden Euro, kommt auch im Zuge von permanent geforderten Neuwahlen – möglicherweise mit einer CDU und wem auch immer als Koalition – nicht wieder zurück.

Dass sich nach einer offensichtlichen Nacht-und-Nebel-Besprechung die Ampelkoalitionäre bei gleichzeitiger Düpierung des Landwirtschaftsministers ohne vorherige Kommunikation mit den Verbänden ausgerechnet die jederzeit protestbereiten Landwirte für eine Kürzung von Subventionen aussuchten, war, freundlich gesagt, eine kommunikative Katastrophe. Es war aber vor allem der Bauernpräsident Rukwied, der am 18.12. in Berlin mit seiner Kampfansage den Ton für die Aktionswoche setzte: "Wenn diese beiden Maßnahmen nicht gestrichen werden, und zwar ersatzlos gestrichen werden, dann kommen wir wieder, nicht nur nach Berlin", sagte Rukwied. "Dann werden wir ab 8. Januar überall präsent sein in einer Art und Weise, wie es das Land noch nicht erlebt hat. Wir nehmen das nicht hin."

Mautforderungen an die Agrarindustrie

Dass sich nun ausgerechnet der BGL vor die dieselgetrieben Karren des Bauernpräsidenten spannen lässt, der, so kein Geheimnis, auch in Aufsichtsräten der Agrarindustrie sitzt, wie es der NABU bereits 2019 in einer bemerkenswerten Studie über die Lobbyverflechtungen des Deutschen Bauernverbandes recherchiert hat, ist für mich nicht nachvollziehbar. Zumal der BGL erst im letzten Jahr im Rahmen seiner Mauteverest-Kampagne mit dem „Brummi-Chef“ Engelhardt im Bild plakativ titelte: „Gerade die Agrar- und Ernährungsbranche als Versorger von Grundnahrungsmitteln, sollte sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein und die Maut in voller Höhe übernehmen.“

Für mich aber noch unverständlicher ist der Punkt, dass sogenannte Lohnfuhrunternehmen mit Traktoren, grüner Nummer und Kipperanhängern etwa im Baustellenbereich den Baustofftransporteuren so manche Aufträge wegschnappen – weil sie es billiger anbieten können. Immerhin scheinen vor allem die großen Transportunternehmen die Maut an die Kunden weiterzugeben: „Wir haben keine offiziellen Zahlen, aber insbesondere die größeren Unternehmer scheinen in den Verhandlungen erfolgreich gewesen zu sein“, so der BGL. „Die kleineren Unternehmen mit wenigen Fahrzeugen haben allerdings von Problemen berichtet, viele von ihnen finden wir nun auf den Straßen bei den Protesten.“

Der Bundesverband Logistik und Verkehr gerät in den Hintergrund

Überrascht von der Aktionswoche ist der kleine Bundesverband Logistik und Verkehr (BLV-Pro), wie mir deren neuer Pressesprecher, der Schweinfurter Transportunternehmer Daniel Beständig, in einem Gespräch erklärt hat. „Bereits auf der Demonstration des BLV-pro in Wiesbaden am 25.11.2023 haben wir angekündigt, im Januar nach Berlin zu fahren“, so Beständig. In der Vorstandssitzung Mitte Dezember waren der 18. und 19. Januar 2024 beschlossen worden. Das Datum war bewusst gewählt worden, da es nicht nur die erste Sitzungswoche, sondern auch der Start der Grünen Woche in Berlin ist. „Wir haben alle Transportverbände dazu eingeladen, es bleibt jedoch jedem selbst überlassen, die Interessen der Transportbrache am 18. und 19. Januar gemeinsam mit dem BLV zu vertreten oder nicht. Das Datum ist bereits seit Ende Mitte Dezember kommuniziert und die entsprechende Demonstration angemeldet. Wir sehen aber derzeit die Gefahr, dass die Forderungen des Transportgewerbes einmal mehr in den Hintergrund geraten.“

Mauteinnahmen für den Straßenbau

Im Grunde decken sich die meisten Forderungen der BLV-Pro mit denen des BGL. Die Mauterhöhung sei beschlossen und ob sich daran nochmal was ändern wird, stehe in den Sternen. „Jedoch kann es nicht sein, dass die Mehreinnahmen der Maut zum Großteil in die Bahn fließen und zeitgleich der Lokführer mehr Geld bei weniger Arbeit fordern“, so Beständig. „Die Mauteinnahmen müssen für die Straßeninfrastruktur verwendet werden, für mehr und vor allem bessere Parkplätze, auf denen die Fahrer auch richtige Pausen machen und sich erholen können. Wir brauchen mehr Kontrollen der Kabotage, der Mindestlöhne und der Sozialvorschriften, um einen fairen Wettbewerb in Deutschland und der EU zu schaffen. Theoretisch dürften die Parkplätze an den Wochenenden gar nicht in dem Maße belegt sein, wie das derzeit der Fall ist.“

Bauernstreik Foto: Jan Bergrath
Noch ist genug Speck da...

Die Probleme der Transportunternehmen seien sehr vielschichtig und unterscheiden sich doch sehr von denen der Landwirte, so Beständig. „Deshalb fahren wir am 18. und 19. Januar nach Berlin! Natürlich freuen wir uns, wenn uns die Landwirte dann bei der Durchsetzung unserer Forderungen genauso unterstützen, wie das sehr viele Transportunternehmen derzeit bei den Landwirten getan haben und in den nächsten Tagen noch tun werden.“

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