Kontrolle der wöchentlichen Ruhezeit BALM-Sonntag in Köln

Kontrollaktion Foto: Jan Bergrath 14 Bilder
Meinung

Nur die EU ist in der Lage, eine Verordnung zum Schutz der Lkw-Fahrer zu erlassen, die am Ende durch eine andere Verordnung mit Vorgaben zur Kontrolle wieder ausgehebelt wird. Unterwegs mit den BALM-Kontrolleuren in Köln.

Es ist Punkt 13 Uhr am Sonntag, dem 5. März, als Klaus Pöpping, 63, seit 41 Jahren beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und heute Regionaldirektor beim Anfang Januar 2023 umbenannten Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) mit vier Fahrzeugen und sieben Kontrolleuren auf der Straße Am Molenkopf im Kölner Norden auftaucht. Es ist eine lange im Hintergrund vertraulich abgesprochene Aktion. Über Wochen hatte ich die für mich nicht mehr akzeptablen Zustände beobachtet, unter denen vor allem die Fahrer vieler Nationalitäten auf in Osteuropa zugelassenen Lkw an den Wochenenden im Niehler Hafen und im Niehler Gewerbegebiet rund um das Gelände von Ford hausen müssen.

Rund 500 osteuropäische Lkw praktisch außer Kontrolle

In dem Vorbericht „Außer Kontrolle“ hatte ich daher den möglichen Ort „aus kontrolltaktischen Gründen“ auf den gesamten Raum rund um den Kölner Autobahnring verlegt. Dort, wo auch die Ströme der Transitverkehre nach Belgien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande oder Spanien letzten Endes über die A 4 zusammenlaufen. In diesem Gebiet stehen an jedem Wochenende von mir geschätzt 500 osteuropäische Fahrzeuge auf den Autobahnraststätten, den Autohöfen, den Terminals des Kombinierten Verkehrs, dem Hafen und in den Gewerbegebieten. Auch die Autobahnpolizei Köln hatte ich angefragt, ebenfalls die Kölner Bezirksregierung.

Denn die Kontrolle des Güterverkehrs in Deutschland ruht auf drei Säulen. Zwei dieser Säulen erklärten sich entweder für partiell nicht zuständig oder verwiesen direkt auf die originäre Zuständigkeit des BALM, was so aber nicht zutrifft. Auch das FDP-geführte Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) trägt mit zu dieser Situation bei, wie ich in der Reportage explizit ausgeführt habe. Immer noch sind die Vorgaben des sagenhaften Mobilitätspakets 1 nach der Veröffentlichung am 31. Juli 2020 im Amtsblatt der EU in Deutschland nicht umgesetzt, weswegen den drei Kontrollbehörden in vielen Punkten auch immer noch die Hände gebunden sind, auch das eigentlich sehr wirkungsvolle Risikoeinstufungssystem verpufft derzeit wirkungslos.

Zu früh für einen konkreten Tatvorwurf

Anfang März wird es immer noch gegen 18 Uhr dunkel. „Es ist ein Problem bei einer Kontrolle am Sonntag“, so erläutert Pöpping direkt am Beispiel eines rumänischen Lkw-Fahrers der es sich mit seinen Kollegen mit Blick auf den Rhein im Lkw gemütlich gemacht hat. Die Kontrolleure lassen sich im Rahmen eines informellen Gesprächs nur den Tagesausdruck zeigen. Denn bei einer Mitwirkung an einer richtigen Kontrolle etwa durch den Download der Daten aus dem Massenspeicher für die letzten Wochen würden sie in ihrer Freizeit eben auch die Ruhezeit unterbrechen. Nur eins steht fest: Der Lkw steht seit Freitagabend dort. „Damit ist er jetzt noch innerhalb der mehr als 45 Stunden der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit, die nicht im Lkw verbracht werden darf.“ Laut dem deutschen Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) ist damit die mögliche zu bebußende „Tat“ noch nicht begangen. Selbst wenn das BALM genau wüsste, dass der Lkw möglicherweise erst am Montagfrüh zur Ladestelle fährt.

Die Beweislast liegt beim BALM

Das wissen auch die gut gebrieften Fahrer. Der Rumäne gibt mit breitem Grinsen an, dass er bei Freunden in Köln übernachtet hatte – und gesellt sich dann zu seinen drei Kumpels, um auf der Ladefläche des Aufliegers das Mittagessen zuzubereiten. Alle drei Fahrer wissen, dass es jeglicher Realität entbehrt. Aber nur die EU ist in der Lage, eine Verordnung zum Schutz der Lkw-Fahrer zu erlassen, die am Ende durch eine andere Verordnung mit Vorgaben zur Kontrolle wieder komplett ausgehebelt wird. Bereits zu Ostern 2019 hatte ich darüber berichtet, dass den Kontrolleuren keinerlei Belege für eine alternative Übernachtung etwa in einem Hotel, einer Privatwohnung oder einem der Hotelcontainer von Roatel auf deutschen Autohöfen vorgelegt werden müssen.

Warnung an Frankreich

Frankreich unter anderem hatte sich nicht an die Vorgabe gehalten, weswegen die EU-Kommission in einer offiziellen Note nun noch einmal klargestellt hat, dass der am 20. August 2020 in Kraft getretenen Artikel 8 Absatz 8 der VO (EG) 561/2006 nicht durch den Artikel 36 der EU-Verordnung 165/2014 durchgesetzt werden kann. Besser kann man seinen angeblichen Schutz für die überwiegend betroffenen Lkw-Fahrer auf osteuropäischen Lkw, die mittlerweile immer öfter aus Ländern wie Aserbaidschan, Belarus, Tadschikistan oder immer noch aus der Ukraine kommen, nicht aushebeln. So gehen auch langsam die Argumente aus, ob dieser untragbare Zustand nicht doch politisch gewollt ist, um im Zeichen des horrenden Fahrermangels das drohende Reißen der Logistikketten zu verhindern.

Keine Rückkehrpflicht im Kombinierten Verkehr in Deutschland

Das ist die größte Farce in diesem handwerklich zum Teil völlig missratenen und im Trilog zwischen dem EU-Parlament, dem EU-Rat der Verkehrsminister und der EU-Kommission als „Hüterin der Gesetze" von westeuropäischer Seite unglaublich schlecht verhandelten Kompromiss, der dann eine Zeit lang auch noch als die größte Lösung gegen das Sozialdumping verkauft wurde. Doch die Rückkehrpflicht der Lkw nach acht Wochen, die vor allem litauische Frachtführer dazu nutzen, grenznah in Polen neue Betriebsstätten zu gründen, zu denen die Fahrer unter ganz bestimmten Bedingungen alternativ zu ihrem Wohnsitz im Rahmen von vier Wochen zurückkehren müssen, gibt es im Kombinierten Verkehr nicht.

Keine Rückkehrpflicht im Kombinierten Verkehr

Da der Vor- und Nachlauf auf der Straße im grenzüberschreitenden kombinierten Verkehr gemäß EU-Richtlinie 92/106/EWG von der Genehmigungspflicht befreit ist, müssen die Unternehmen, die diese Beförderungen durchführen, keine EU-Lizenz oder eine andere Güterkraftverkehrserlaubnis besitzen. Deshalb greifen für Fahrzeuge, die in Deutschland im Vor- oder Nachlauf eingesetzt werden, eben auch die neuen Regelungen aus dem EU-Mobilitätspaket I nicht. Mit anderen Worten: So wie ich es meiner Reportage „Außer Kontrolle“ bereits vermutet hatte, ist nicht auszuschließen, dass die in Osteuropa zugelassen Lkw der Frachtführer im Auftrag internationaler KV-Logistiker wie Arcese, DSV, Filip, Lkw-Walter, Routier oder Samskip, um nur einige Beispiele zu nennen, das ganze Jahr über fest an ihren Standorten in Deutschland stationiert sind – und die Fahrer diese Grauzone des erlaubten Vier-Wochen-Rhythmus ausnutzen, ohne je ein Hotel genutzt zu haben. Das wäre ein glatter Verstoß. Quod erat demonstrandum – was es zu beweisen galt.

Die Nachhaltigkeit der Zugstrecke verpufft an den Wochenenden durch die laufenden Motoren

So zieht das BALM an diesem Sonntag seine Runde durch den Kölner Norden. Einige Lkw stehen teilweise auf privatem Gelände, wo das BALM bei dieser Erkundungsrunde keine Berechtigung zum Zutritt hat – und auch aus Zeitgründen einfach weiterzieht. Bis auf ein großes Kölner Unternehmen, dessen in Köln zugelassene Lkw überwiegend mit Fahrern aus Bulgarien besetzt sind und um dass sich nun in diesem Quartal die Bezirksregierung Köln tatsächlich kümmern will, haben deren Mitarbeiter auf etwa in Rumänien zugelassenen Lkw keinen Zugriff. Das wäre, im Rahmen der internationalen Amtshilfe etwa, eine ehrenhafte Aufgabe der Kollegen aus Rumänien. Dabei hausen die Fahrer teilweise ebenfalls auf der Straße bei laufenden Motoren im Lkw.

Und so verpufft die auf den Hochglanzinternetauftritten der KV-Logistiker hochgepriesene Nachhaltigkeit der CO2-reduzierten Zugstrecke an den Wochenenden aus den laufenden Motoren der Fahrer, die bei Kälte und Regen unter unwürdigen Umständen etwas Wärme wollen – oder im heißen Sommer irgendwann feststellen, dass auch die beste Batterie der Standklimaanlage irgendwann ausgereizt ist.

Die Lkw-Fahrer im Kombinierten Verkehr sind ja jeden Abend zuhause

Den Höhepunkt erleben die Kontrolleure schließlich auf der Scarletallee rund um den Logistikstandort von REWE, die auf Nachfrage sofort antworten, dass sie zu den rund 100 Lkw definitiv keine Lieferbeziehungen haben. Diese stehen nach meinen wiederkehrenden Beobachtungen, die das BALM selbst gar nicht machen dürfte, jedes Wochenende unweit der Abfahrt Köln-Merkenich. Darunter sehr moderne Sattelzüge von PT-Trans aus Polen, die eindeutig im Auftrag von Lkw-Walter unterwegs sind, jenem Großlogistiker mit rund 10.000 Aufliegern, der 2019 von offenbar etwas weltfremden Logistikhonoratioren mit einem Nachhaltigkeitspreis bedacht wurde. Die haben es wohl tatsächlich einfach mal geglaubt, dass die Lkw-Fahrer im Kombinierten Verkehr ja jeden Abend zu Hause sind. Pustekuchen.

Bescheinigung über eine nicht erreichbare Privatunterkunft

Auch hier weist der Tagesausdruck aus, dass die Lkw, die laut Aussagen der vor Ort im Lkw angetroffenen Fahrer am KV-Terminal Köln-Eifeltor eingesetzt werden, am Freitagabend oder Samstagmorgen ihre Ruhezeit beginnen. Auch hier sind die Fahrer genau gebrieft und verweisen auf eine Privatwohnung im Zentrum der Kölner Trabantenstadt Chorweiler, laut Google acht Minuten entfernt – wenn man ein Auto hat. Durch geschickte Fragen, „wie oft bist du da“, „wie viele Zimmer habt ihr“, „und warum verbringt ihr eure Zeit dann schon jetzt im Lkw“, rückt einer der ukrainischen Fahrer, den wir hier durch den Bildausschnitt schützen wollen, eine in drei Sprachen formulierte Bescheinigung über eine Privatwohnung in der Liller Straße 2 raus.

Mitten im Zentrum, gegenüber der Evangelischen Kirche. Zu dessen langjährigem Pfarrer, der mittlerweile in Rente ist, habe ich aus sehr persönlichen Gründen eine Freundschaft aufgebaut. Er weiß natürlich, dass dieses Haus mit 159 Klingelschildern zu den besseren Häusern zählt – und ausschließlich Eigentumswohnungen hat. „Wenn sich dann bei unserem Gespräch mit den Fahrern herausstellt, dass alle Fahrer diese private Wohnung am Wochenende nicht nutzen“, so Pöpping, „dann müssen wir davon ausgehen, dass sie nie genutzt wird. Dem gehen wir jetzt mal nach.“

DIXI-Klo - anstatt saubere sanitäre Anlagen

Und so bringt das Gespräch am Rande des recht vermüllten Grünstreifens auch noch das traurige Schicksal der ukrainischen Fahrer ans Tagesslicht, die beim völkerrechtswidrigen Überfall Russland auf die Ukraine am 24. Februar 2022 noch die Chance hatten, mit ihren Familien nach Polen zu flüchten. Ein Fahrer zeigt auf seinem Handy das zerbombte Haus in seiner Heimatstadt, die er seither nicht mehr gesehen hat. Wie er sagen schließlich alle Fahrer, dass sie die ganzen vier Wochen im Lkw verbringen, bevor sie zur Betriebsstätte in Polen zurückkehren. Doch statt sauberen und bescheinigten sanitären Anlagen in einer privaten Unterkunft bleiben ihnen am Ende doch nur die beiden DIXI-Klos neben dem Müllcontainer, die das Kölner Ordnungsamt aufgestellt hat. Und am Ende sind es genau diese Bilder mit leeren Flaschen und Unrat, die immer mehr Kommunen dazu veranlassen, ihre malträtierten Gewerbegebiete für Lkw abzusperren.

Extremer Parkplatzmangel auch durch den Kombinierten Verkehr

Gerade erst hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) in einer Meldung angekündigt, dass in den nächsten Jahren mit einem weiteren Wachstum des Güterverkehrs auf den deutschen Autobahnen zu rechnen ist. Auch durch den weiter boomenden Online-Handel – vielleicht auch mit Klebstoffen für die Klimaaktivisten der „Letzten Generation.“ Wo die Fahrer im größten Transitland Europas dann bei jetzt schon massiv fehlenden Lkw-Parkplätzen ihre täglichen oder wöchentlichen Ruhezeiten verbringen sollen, ist dabei nicht geklärt. Jeder Neubau von Parkplätzen wird konterkariert, weil eben auch die großen Player der KV-Logistik fast ausschließlich auf öffentlichen Parkraum zurückgreifen. Man sollte sie endlich dazu verpflichten, auf den immer noch bestendenden Fördertopf des BMDV von 90 Millionen Euro zurückzugreifen, und, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit KRAVAG Truck Parking, eine eigene Infrastruktur aufzubauen. Die Förderanträge dazu gibt es auch beim BALM.

Wir kommen wieder, wenn es heller wird

Rund dreißig Fahrer osteuropäischer Lastzüge hat das BALM an diesem Sonntag befragt. Alle, auch aus Eigenschutz der Kontrolleure, im Zeitraum zwischen 13 und 18 Uhr. Von den meisten ist demnach auszugehen, dass sie erst am Montagfrüh wieder losfahren. Ein proaktives Bußgeld auf einen nicht begangenen Verstoß ist im OWiG nicht möglich. Der derzeit in den sozialen Medien immer wieder gerne von deutschen Fahrern zitierte belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg, der mit seinem Team auf einem Teilstück der E 40 zwischen Aachen und Lüttich immer wieder sehr hohe vereinnahmte Bußgelder von mehreren Zehntausend Euro für die illegale Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw veröffentlich, arbeitet auf einer völlig anderen Rechtsgrundlage. Er veranschlagt nach dem Strafrecht allein für den Unternehmer ein Bußgeld von 1.800 Euro, der Fahrer bleibt außen vor. Der Unternehmer hat dann allerdings den „Vorteil“, dass er seinen festgesetzten Lkw quasi unter Verzicht auf ein Gerichtsverfahren praktisch freikaufen kann. Was wohl die Allermeisten auch tun – und mutmaßlich aus der Portokasse zahlen.

„Diese Möglichkeit haben wir nicht“, sagt Pöpping am Ende des Tages in aller Ruhe. „Wir kommen einfach noch einmal wieder, wenn es heller wird.“ Wenn die Fahrer dann tatsächlich gegen Abend mutmaßlich mehr als 45 Stunden im Lkw verbracht haben. Viele alternative Parkmöglichkeiten gibt es im Kölner Norden nicht mehr.

Vielleicht ja dann gleich am Palmsonntag.

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