Demos gegen Mauterhöhung Proteste für das Überleben

Maut-Demo Foto: BLV Pro 4 Bilder
Meinung

Seit dem 1. Dezember ist die Lkw-Maut in Deutschland um 83 Prozent gestiegen. Vor allem kleine und mittelständische Transportunternehmen fürchten um ihre Existenz und organisieren Demos. Die Politik wird sie ignorieren.

Die Kulisse ist beeindruckend. Rund 250 Lastzüge sind nach Angaben der Polizei in mehreren Konvois aus allen Himmelsrichtungen angereist, hatten sich am 25.11. zunächst an der Mainzer Messe in Hechtsheim gesammelt und waren dann über die Autobahnen A 60 und A 671 ins Zentrum von Wiesbaden gefahren. Gemäß dem Aufruf der Organisatoren, dem Verband BLV Pro e.V: „Wir sind hier, wird sind laut“. So fahren die Lkw laut hupend und unter Einsatz aller Fanfaren und Leuchten auf die Wiesbadener Wilhelmstrasse. Was den Fahrern selbst auch ein wenig Spaß macht. In Zweier- und Dreierreihen schließen die Fahrzeuge auf. Fast alle tragen Banner mit Protestbotschaften unübersehbar an ihren Fahrzeugen. In der vordersten Front heißt es: „Inkompetenz trifft Entscheidungen“, „Früher war Grün die Farbe der Hoffnung – Heute steht Grün für Wirtschaftssterben“ und „Sie essen nur, solange wir liefern.“ Das gesamte Selbstgefühl der Lkw-Fahrer und ihrer Unternehmer wird hier zum Ausdruck gebracht. Wir sind die Versorger der Nation. Ohne uns läuft nichts.

Kein Politiker ist gekommen

Die Teilnehmer und Zuschauer der Demo versammeln sich vor der Bühne, improvisiert auf einem quergestellten Auflieger. Kein Politiker ist trotz Einladung gekommen, um sich die Reden mit Forderungen zur Rücknahme der Maut anzuhören, zum drohenden Wegfall der Arbeitsplätze, es geht um Gesetze, deren Einhaltung nicht kontrolliert werden, wie etwa die Kabotage-Kontrollen, um den Mittelstand besser zu schützen. In ihrer Pressemeldung erklärt die BLV Pro später, dass sie ihren Katalog mit den Forderungen in der hessischen Staatskanzlei abgeben wollte, dort aber vor geschlossenen Türen ohne Briefkasten stand. „Die Kritik des hessischen Ministerpräsidenten an der Ampelregierung deckt sich mit der Auffassung des BLV pro e.V.“, so heißt es, „und so entstand die Hoffnung auf Gehör und Hilfe zu Kontakt in Berlin, damit die Sorgen und Nöte der kleinen und mittelständischen Spediteure endlich gesehen werden.“

Ob die Zuschauer, die sich die Kundgebung anhören, neben den Lkw-Fahrern und ihren Chefs auch Vertreter aus der Bevölkerung sind, denen nun eine Verteuerung der Waren bevorsteht, über deren mögliche Höhe die unterschiedlichsten Zahlen in Umlauf sind, lässt sich nicht eindeutig sagen. Doch auch genau diese von den Veranstaltern adressierte Bevölkerung hört ebenfalls nicht wirklich zu, solange die Ware pünktlich am Morgen im Regal steht und die über Nacht online bestellen Artikel am nächsten Tag pünktlich ausgeliefert werden. Es läuft zudem das Weihnachtsgeschäft. Bei auf breiter Front steigenden Preise für nahezu alles wird es für den politisch desinteressierten reinen Verbraucher am Ende kaum zu unterscheiden sein, wofür er am Ende mehr ausgibt.

Die Erhöhung der Lkw-Maut wird abgenickt

Die Fakten sind bekannt. Am 20. Oktober nickt der Deutsche Bundestag ohne eine einzige Änderung nach einer letzten, sehr faktenbasierten Anhörung im Verkehrsausschuss den Gesetzentwurf der Bundesregierung ab, mit dem sich seit dem 1. Dezember 2023 die Lkw-Maut durch Einführung einer zusätzlichen CO2-Komponente annähernd verdoppelt hat. Die Infokampagne „Mauteverest“ des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) hatte letzten Endes keinen Einfluss auf die Entscheidung der Politik. Das Fazit des BGL: „Damit belastet die Ampelkoalition die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft mit jährlich 7,6 Milliarden Euro inmitten einer Wirtschaftskrise.“

Kein Geld für Fördermittel

Das für Insider wenig überraschende Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, dass nicht verwendete Kredite aus der Corona-Zeit nicht einfach in den von der Ampel unter dem Finanzstrategen Olaf Scholz ersonnenen Klima- und Transformationsfonds (KTF) übertragen werden können, wirft sogar die Ansorge Logistik bei ihrer konsequenten Umwandlung zu klimaneutralen Transporten unter eigentlich idealen Bedingungen zurück. So bleiben derzeit viele Fragen unbeantwortet. Wird es doch noch aus einem arg gekürzten Haushalt in den nächsten Jahren diese Fördermittel geben? Wie soll es der Mehrzahl der kleinen Frachtführer ergehen, die sich nicht durch einen modernen E-Lkw von der höheren Maut befreien können, und die schlichtweg Angst haben, dass sie die höhere Maut nicht beim Kunden durchsetzen können? Droht ab Januar, wenn neben der ersten Abbuchung der Maut in einem rückläufigen Markt in vielen Branchen auch noch die Versicherungen und die Weihnachtsgelder bezahlt werden, vielen Betrieben das baldige Aus? Das alles bringen die Redner zum Ausdruck.

TV-Berichte als Erfolg

Nachdem die lokalen online Medien zunächst über die ausbleibenden Verkehrsbehinderungen berichtet haben, greift die Hessenschau die Demo auch inhaltlich auf. Es geht in den Aussagen der interviewten Teilnehmer in der Tat schlicht und einfach um die Angst, dass die zum 1. Dezember in Kraft getretene Erhöhung der Lkw-Maut um 83 Prozent durch eine zusätzliche CO2-Komponente die Existenzen vieler Frachtführer aufs Spiel setzt. Sachliche Argument, die von den Vertretern der verschiedenen Verbände aus der Logistik zuvor in einer letzten Anhörung im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestags eingebracht wurden, wurden von der Ampel ignoriert.

Dass es derzeit nicht ausreichende Fahrzeuge mit alternativen Antrieben gäbe, dass diese ohne Förderung aus eigenen Mitteln der kargen Umsatzrendite kaum zu finanzieren sein werden. Dass die Ladeinfrastruktur fehle, dass E-Lkw nicht überall einsatzbar seien, wie etwa beim Holztransport, oder dass bei einer Dauerbelastung der Reifen auf der rein e-getriebenen Hinterachse diese schneller verschleißen lässt. Und dass sich der durch die weiter global konsumierende Gesellschaft weiterwachsende Güterverkehr mal nicht von heute auf morgen auf eine marode Schieneninfrastruktur umleiten lässt, dafür aber jetzt schon Geld aus der Mauterhöhung abgezogen wird, während die Bahn selbst schon Personal abbaut und, analog zur Logistik, über einen großen Mangel an Lokführern klagt. Warum fließt das Geld nicht die nötige Infrastruktur ebenso verschlissener Autobahnen mit fehlenden Lkw-Parkplätzen und maroden Brücken? Doch die Politik in Berlin, so ist aus gut informierten Kreisen zu hören, wird sich durch die Demos nicht von dem beschlossenen Weg abbringen lassen.

Vorerst keine weiteren Aktionen geplant

Zwar antwortet mir Konstantin Popov, der 1. Vorsitzende der BLV-Pro, der in Wiesbaden zusammen mit Ralf Kalabis-Schick, dem Vertreter für die Berufskraftfahrer im Verein, vor der geschlossenen Tür stand, dass nach Demos in Heilbronn, Wiesbaden und Bünde für dieses Jahr 2023 zwar keine Aktionen geplant seien. „Sollten die Ereignisse in Berlin dies notwendig machen, sind wir mit unserem stetig wachsenden Netzwerk dazu kurzfristig in der Lage“, so Popov. „Weitere Maßnahmen gleich im neuen Jahr sind nicht ausgeschlossen und werden aktuell im Vorstand abgewogen und abgestimmt. Die Härte der Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten ebenfalls.“ Es ist letzten Endes ein Ausdruck des reinen Mutes der Verzweiflung.

Enttäuschung in Köln

Ganz anders die Protestaktionen, die vor allem der in den sozialen Medien umstrittene Lkw-Fahrer und Gründer von BKF Pro, Andreas Rothe, nun bundesweit für den 16.12. in einigen Städten plant und dabei immer wieder den großen Zusammenhalt aller Betroffenen beschwört. Davon wiederum distanziert sich die BLV Pro. „Sämtliche Aktionen des Bloggers BKF pro erfolgen ohne unsere Beteiligung, es gibt keine Unterstützung, keine Aufrufe. Mitgliedern des BLV pro wird von einer Teilnahme ebenfalls abgeraten. Hier ist kein seriöser Veranstalter oder Verein am Werk.“

In Köln war die von Rothe für Freitag, den 1.12., für 12 Uhr beworbene, vom Bergheimer Unternehmer Gerd Fischer, der seine eigene Lkw mittlerweile aber längst aufgegeben hat, eigentlich für 15 Uhr angesetzte Demo, zu der ebenfalls bis zu 200 Lkw angekündigt waren, eine Enttäuschung. Selbst wenn der WDR trotzdem darüber berichtet hat, wie es gelungen ist, mit letzten Endes rund 25 Lkw die um diese Zeit vielbefahrene Rhein-Ufer-Straße auf der Höhe des Schokoladenmuseums mit Genehmigung der Polizei für 20 Minuten zu blockieren. In den Aussagen der interviewten Teilnehmer bricht sich eher der allgemeine Frust über die Entwicklung im Gewerbe durch als eine sachliche Darstellung der Problematik Bahn. Befragte Autofahrer zeigen nur mit Mühe und Not ein wenig Verständnis.

Deutliche Worte eines Spediteurs

Auch Michael Meyer-Lingen, Spediteur mit über 100 eigenen Lkw aus Willich, war über die unterschiedlich genannten Anfangszeiten etwas überrascht, da er sich mit seinem Fahrer bereits um 9:30 Uhr in Nievenheim auf der A57 getroffen hatte. Auch er war von über 200 Fahrzeugen ausgegangen und am Ende enttäuscht. Dass die Politik durch diese Demos von der Mauterhöhung abweicht glaubt er auch nicht. „Meine Motivation an der Demo teilzunehmen war, dass viele Privatpersonen auch in meinem privaten Umfeld vom Thema noch nie etwas gehört haben“, so Meyer-Lingen vor der Kulisse mit dem Kölner Dom. „Mir ist es sehr wichtig, dass die Bevölkerung von der Steuererhöhung durch die Hintertür und einem erheblichen Inflationstreiber etwas mitbekommt und dies hoffentlich bei der nächsten Wahl berücksichtigt.“

Als Unternehmer hat er seine Entscheidung längst getroffen. „Die Erhöhung der Maut haben wir konsequent bei allen Kunden umgesetzt. Dies macht bei unserem Fuhrpark rund 1,5 Millionen Euro Mehrbelastung im Jahr aus. Wenn wir dies nicht weitergeben, werden wir in Kürze vom Markt für immer verschwinden. Auch ein gewisser Leerkilometer Anteil wurde mit eingepreist und umgesetzt oder verhandelt. Ob dies ausreicht, wird sich zeigen. Besonders die Kilometer für Heimschläfer und das Thema am Wochenende „über den Platz“ zu kommen, sind dort nicht so einfach einzupreisen.“

Frustabbau am BGL

So ertönte im Vorfeld vor allen in den sozialen Medien der Frustabbau am BGL, der mit seiner teuren Kampagne nichts erreichen würde. Dazu habe ich natürlich den BGL gefragt, der auch weiter am Prinzip der Aufklärung festhält. Den BGL erreichen in der Tat derzeit vermehrt Anfragen zu regionalen, zum Teil von privaten Personen oder anderen Verbänden organisierten Demonstrationen gegen die zum 1. Dezember eingeführte Mauterhöhung. Dazu schrieb er mir:

„Der BGL hat im Frühsommer dieses Jahres eine Umfrage bei seinen Mitgliedsunternehmen durchgeführt, bei der sich weniger als fünf Prozent seiner Mitglieder verbindlich für eine vom BGL organisierte Demonstration oder Sternfahrt ausgesprochen hat. Die überwiegende Mehrheit der Befragten bevorzugten eine breit angelegte Medienkampagne des BGL und seiner Landesverbände. Dementsprechend hat der BGL seine Arbeit im Rahmen der Mauterhöhung – neben seiner politischen Arbeit – auf die Kampagne „#Mauteverest – So kommen wir nicht über den Berg“ fokussiert und sich nicht an den Demonstrationsplänen anderer Organisationen beteiligt.“

Mitgliedsunternehmen steht die Beteiligung offen

Selbstverständlich stehe es allen Mitgliedsunternehmen offen, sich an von anderen Verbänden und Organisationen durchgeführten Demonstrationszügen zu beteiligen. Daher geben wir die Informationen über die diversen bevorstehende Demo-Veranstaltungen auch gerne weiter – insbesondere an die daran interessierten, regional ansässigen Mitgliedsunternehmen. „Voraussetzung für eine Zusammenarbeit ist allerdings, dass Seriosität und politische Unabhängigkeit gewahrt bleiben, zumal wir bei von anderen Veranstaltern organisierten Demonstrationen keine Gewähr übernehmen können. Oft sind Zweck und Veranstalter im Vorfeld nicht einmal eindeutig erkennbar.“

Nur ein Frustabbau

Als Spitzenverband sei der BGL seit Jahrzehnten im gewerbepolitischen Austausch mit den Parteien des Deutschen Bundestags und über die Landesverbände ebenso mit den Landesregierungen. Ein Grundpfeiler der Arbeit sei das Erarbeiten von Forderungen des Straßengüterverkehrsgewerbes an die Politik. Das Gesetz zur Mauterhöhung wurde bereits im Oktober unverändert durch den Bundestag gepeitscht. „So frustrierend und enttäuschend dieses Vorgehen von Seiten der Politik für uns ist“, so die klare Aussage, „derzeit haben wir keine weitere Handhabe, konkret etwas zu verändern. Demonstrationen ohne konkrete und realistische Forderungen an die Politik sind aus unserer Sicht zwar geeignet, um den verständlichen Frust abzubauen, ändern aber nichts an der Tatsache, dass sich die Politik oder die Presse nachhaltig für das Thema interessieren oder gar am Ergebnis etwas ändern. Unbestritten ist aber, dass alle Akteure der Branche näher zusammenrücken müssen, um Forderungen und Bedürfnissen des Gewerbes deutlich Gehör zu verschaffen.“

Alle Räder stehen still

Dieser Frust baut sich dann vor allem unter Lkw-Fahrern ohne wirkliche Kenntnisse der komplexen bundes- und europarechtlichen Zusammenhänge auf Seiten wie Facebook ab. Alte Berichte, wie französische Fahrer die Autobahnen blockieren, tauchen dort wieder auf. Und natürlich immer wieder die Forderung, dass alle Unternehmer zeitgleich ihre Fahrzeuge auf dem Hof stehen lassen sollten, sodass die Versorgung der Nation zusammenbricht, damit die undankbare Bevölkerung und die ignorante Politik endlich am eigenen darbenden Leib zu spüren bekommt, was es heißt, wenn es diese Unternehmen ab dem kommenden Jahr nicht mehr am Markt geben sollte.

Dabei gibt es nur einen Haken: Auch diese konzertierte Aktion, ob in der Region oder im ganzen Land, muss letzten Endes von irgendwem organisiert werden. Das wäre dann im Sinne des deutschen Kartellrechts für den haftenden Organisator sogar eine „Aufforderung zum gleichgeschalteten Marktverhalten.“ Dies kann, wie ein ähnlich gelagerter Fall aus dem Jahr 2015 aus den norddeutschen Häfen zeigt, im schlimmsten Fall zu existenzgefährdenden Bußgeldern führen. Auch den Gewerkschaften sind im genau festgelegten Streikrecht für solche Aktion die Hände gebunden.

Letzten Endes wird es sich im neuen Jahr zeigen, wie viele Betriebe wirklich insolvent gehen oder ob das Beharrungsvermögen in der Branche nicht größer ist als die geplante Aufgabe der Firma. Die einzige Lösung für die Transportunternehmen heißt, die Maut weiterzugeben.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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