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Vernetzung für die Schiene Digitalisierung ist Mittel zum Zweck

Terminal Foto: ETM

Ralf-Charley Schultze, Präsident des KV-Industrieverbands UIRR, wirbt für transparente Vernetzung des Schienengüterverkehrs.

trans aktuell: Herr Schultze, warum hängen Sie das Thema Digitalisierung im Kombinierten Verkehr so hoch?

Schultze: Die Digitalisierung kann uns einen großen Mehrwert bringen, unsere Wettbewerbsfähigkeit insbesondere gegenüber der Straße deutlich stärken und einen Beitrag zur Entlastung der Umwelt und des Klimas leisten. Dabei ist sie ein Mittel zum Zweck und keineswegs das Ziel.

Wie meinen Sie das?

Es geht nicht um eine Digitalisierung um jeden Preis. Unser Digitalforum hat beispielsweise gezeigt, dass es inzwischen außerordentlich viele Anbieter von kollaborativen Plattformen gibt, die alle miteinander konkurrieren und darauf aus sind, ihr Produkt zu verkaufen. Es entstehen teilweise wieder neue Silos, die den Austausch aller Akteure miteinander verhindern. Die EU-Kommission hat da sehr klar gemacht, dass sie künftig nur noch Fördergelder vergibt, wenn tatsächlich eine Zusammenarbeit in der Praxis entsteht. Das, was der Kunde eigentlich braucht, darf nicht ins Hintertreffen geraten.

Warum ist das so wichtig?

Das Prinzip der kollaborativen Plattform ist gut. Es gibt ein großes Kundenpotenzial, der Kombinierte Verkehr mit seinen verschiedenen Verkehrsträgern wird aber häufig für zu umständlich gehalten. Wir können die Komplexität aus dem Sektor nur herausnehmen, wenn wir besser und transparenter zusammenarbeiten.

Können Sie das näher erläutern?

Das sieht man bei den konkreten Themen, bei denen Digitalisierung eine große Rolle spielt. Das eine ist die voraussichtliche Ankunftszeit Estimated Time of Arrival, kurz ETA, die von allen für außerordentlich wichtig gehalten wird. Mit den GPS-Informationen weiß ich zwar, wo der Zug beziehungsweise die Sendung sich befindet, aber ich weiß noch lange nicht, wann er tatsächlich ankommt. Mit einer zuverlässigen ETA kann der Spediteur planen und die 44 Lkw-Fahrer passgenau losschicken, um die Ware am Terminal abzuholen. Wenn der Zug aber sechs Stunden Verspätung hat, stehen da 44 Fahrer, warten auf ihre Sendung und verstopfen das Terminal.

Eine Rolle spielt vermutlich auch der ILU-Code …

Ja, natürlich. Mit dem Eigentümerschlüssel hat man eine gewisse Basis für die Digitalisierung, weil die Verfolgbarkeit einfacher wird. Außerdem gibt es Ediges als standardisierte Schnittstelle für die Kommunikation zwischen den Akteuren, und ebenfalls wichtig ist Tracking & Tracing mithilfe der Kommunikationsplattform Cesar, zumal kürzlich beschlossen wurde, dass es hier eine Öffnung geben wird. Auch anderen Operateuren gegenüber soll das Produkt angeboten werden, und es gibt bereits einige, die sich dafür interessieren.

Die EU-Kommission hat ja ihrerseits im vergangenen Jahr einen Vorschlag zu elektronischen Frachtdokumenten, eFTI, gemacht.

Die Idee ist gut, denn damit sollen die Beziehungen zwischen den Akteuren und den Behörden papierlos gemacht werden. Alles elektronisch – das ist ein hehres Ziel. Sinnvoll wäre es dann natürlich, wenn auch die Akteure in der Logistikkette unter sich nur noch elektronisch kommunizieren würden. Das ist aber ein großer Aufwand, und die Frage ist, ob diese Kosten jemals wieder eingespielt werden. Ich sehe auch die Gefahr, dass hier ein großer administrativer Aufwand auf uns zukommen könnte.

Wie bringt man die verschiedenen Mitspieler eigentlich alle unter einen Hut?

Das ist nicht immer einfach, denn das bisherige Geschäftsmodell vieler Unternehmen ging eher in Richtung Intransparenz. Jeder hat für sich entwickelt, jeder hat sein Alleinstellungsmerkmal gesucht. Wer als erster eine zuverlässige Lösung zur ETA hat, ist den anderen voraus. Einige sind von Angst getrieben und sehen in der Abschottung die Rettung, andere haben erkannt, dass eine Abschottung keine nachhaltige Lösung ist, die eine Weiterentwicklung fördern würde. Wirtschaftsstrategien sind dabei, sich zu verändern.

Wovor fürchten sich denn einzelne Marktteilnehmer?

Davor, dass die Transparenz so weit geht, dass es keine Firewalls zwischen den Wettbewerbern gibt und dass die Konkurrenz sich Informationen zunutze machen kann. Aber dafür gibt es technische Lösungen. Das ganze Thema ist hochstrategisch, und der Umgang damit ist von Firma zu Firma unterschiedlich. Auch wenn man erläutert, dass es nicht darum geht, allen alles transparent zu machen, sondern nur dem Kunden oder dem Vertragspartner, bleiben manchmal Vorbehalte. Aber letzten Endes möchte der Verlader wissen, wann seine Sendung bei ihm ankommt, der Spediteur natürlich auch, und jeder schaut auf seinen nächsten Dienstleister in der Kette.

Ist denn eine gewisse Skepsis in Sachen Transparenz nicht berechtigt?

Ich glaube, die Unternehmen sollten den Schritt wagen und sich dabei überlegen, ob sie alles selbst machen wollen, sich einer neutralen Stelle anvertrauen oder Alibaba das Terrain überlassen. So oder so wird es mehr Transparenz geben. Man denke nur an die anfängliche Ablehnung vieler Hotels gegenüber Buchungsplattformen. Inzwischen geht daran kein Weg mehr vorbei. Die Hotels haben sonst kaum eine Chance, gefunden zu werden. Es ist völlig klar, dass durch die Digitalisierung in Zukunft eine andere Transparenz vorherrschen wird, als das heute der Fall ist. Man kann und muss verhindern, dass bestimmte Daten zugänglich sind, aber es lässt sich meiner Ansicht nach nicht mehr verhindern, dass Daten transparent werden. Die Zeiten sind vorbei.

Aber in punkto Sicherheit haben größere Unternehmen einen Vorteil, weil sie die zum Teil beträchtlichen Investitionen besser stemmen können …

Es muss natürlich in Sicherheit investiert werden, aber es gibt ja auch Anbieter, die sich gerade auf kleinere Unternehmen spezialisiert haben.

Werden für die Digitalisierung grundsätzlich eigene Entwicklungen nötig?

Nicht unbedingt, es können auch bestehende Standards übernommen werden. So sollte sich nach meinem Dafürhalten beispielsweise Ediges in der Kommunikation durchsetzen. Dort wo Standards möglich sind, sollte man sie einsetzen.

Wie sehen Sie die UIRR in diesem Prozess?

Letzten Endes wird sich nur das durchsetzen, was der gesamte Sektor akzeptiert und das werden nicht einzelne Lösungen von Einzelnen sein. Wir könnten uns bei den Standards einbringen. Es gibt derzeit noch kein Register für intermodale Ladeeinheiten, kein ausreichendes Register für Wagen und nur ungefähr zu 40 Prozent ein Register für die Infrastrukturen. Erwähnt sei hier auch das Europäische Portal für die Serviceeinrichtungen der Bahnen. Das sind die digitalen Themen, die mich interessieren und bei denen ein neutraler Verband eine Rolle spielen kann. Da ist noch sehr viel Spielraum für Verbesserungen.

Wo wollen Sie ansetzen?

Wir sollten mit dem relativ Einfachen anfangen, und das sind die Standards. Grundsätzlich darf man bei alledem aber eines nicht vergessen: Die Digitalisierung allein reicht nicht aus, um die Qualität des Schienengüterverkehrs in Europa zu verbessern. Sie kann unterstützen, aber viele andere heiße Themen müssen die Eisenbahnen und Infrastrukturbetreiber angehen.

Foto: Scott R. Kline
Ralf-Charley Schultze, Präsident des KV-Industrieverbands UIRR.

Zur Person

  • Ralf-Charley Schultze (56) war ab dem Jahr 2000 für das Key Account Management bei ABX Logistics zuständig.
  • Bei SBB Cargo baute er von 2004 bis 2009 den Kombinierten Verkehr auf und wechselte danach zum Automobillogistiker Gefco, um die multimodalen Verkehre zu entwickeln.
  • Seit 2014 ist der Jurist Präsident der Internationalen Vereinigung für den Kombinierten Verkehr Schiene–Straße (UIRR).
Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Titelseite trans aktuell 21/2019
trans aktuell 21 / 2019
25. Oktober 2019
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Titelseite trans aktuell 21/2019
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