Fahrermangel Bitte seriös weiterarbeiten

Foto: Deutscher Bundestag
Meinung

Der Fahrermangel in Europa bedroht bald auch die Lieferketten in Deutschland. Doch statt gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, gibt es parteipolitische Machtspiele im Bundestag.

Der im Dezember 2021 zum Vorsitzenden des Verkehrsausschuss gewählte SPD-Politiker Udo Schiefner aus Kempen am Niederrhein ist eigentlich ein sehr ruhiger und besonnener Mann. Schon seit vielen Jahren befasst er sich mit der schwierigen Situation der deutschen Berufskraftfahrer. Bisher eher in Randthema im Bundestag. Die drohenden Probleme – etwa des mangelnden Nachwuchses – drangen nie wirklich ins hohe Haus durch. Dann kam, es war noch die Zeit von Andreas Scheuer als drittem CSU-Bundesverkehrsminister in Folge, zuerst der plötzliche Versorgungsengpass mit massivem Frachtpreisverfall durch die Corona-Pandemie. Schließlich der Brexit mit dem plötzlichen Mangel an qualifizierten Lkw-Fahrern in Großbritannien, der hierzulande wie eine erste Schockwelle auch auf die mögliche Gefahr reißender Lieferketten hinwies und damit eine drohende Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Mittlerweile haben wir eine Ampelkoalition mit Volker Wissing (FDP) als Bundesverkehrsminister und Oliver Luksic als dessen Logistikkoordinator, der auf so vielen bundesweiten Terminen unterwegs ist, dass man gar nicht weiß, woher er die Zeit nimmt, überhaupt an konkreten Lösungen zu arbeiten.

Kein Schnellschuss am Freitagnachmittag

Und nun steht Udo Schiefner vergangenen Freitagnachmittag, dem 24. Juni, am Rednerpult im mager besetzten Bundestag. Er zeigt einen Antrag der Fraktion der CDU/CSU der später abgelehnt wird, und er hält eine für seine Verhältnisse fast schon erregte Rede, die ich hier zum Nachhören nur empfehlen kann. Es geht auch um die Ergebnisse einer anderthalbstündigen Sitzung des Verkehrsausschusses vom 18. Mai dieses Jahres von Udo Schiefner zusammen mit Bernd Rützel, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit und Soziales, über den ich bereits in einem Blog-Beitrag berichtet habe. „Einfach ein paar Punkte aus der Anhörung, die wir durchgeführt haben, flott zur Abstimmung zu stellen, ist meiner Meinung nach der falsche Weg, wirklich seriös und nachhaltig dieses Problem zu beseitigen“, sagt Schiefner. „Rechtlich prüfen, Inhalte diskutieren, weitere Aspekte aufzugreifen, den Verkehrsausschuss, die Verbände und Organisationen zu beteiligen, Fahrerinnen und Fahrer zu beteiligen, das ist der richtige Weg. Und das geht nicht am Freitagnachmittag durch einen Schnellschuss in Form dieses Antrags, wo Sie eigentlich nur die Punkte aufgreifen, die genannt wurden und nun seriös in der Zukunft weiter zu bearbeiten sind.“

Ein bisschen Schaufenstershow

„Nachdem ich eine ernsthafte Auseinandersetzung in dieser Legislaturperiode mit einer Anhörung eingeleitet habe“, so antwortet mir Schiefner auf Nachfrage, „hat die Union am Dienstagabend einen Antrag geschickt mit dem Wunsch, ihn am Freitag im Bundestag abzustimmen. Das übliche Verfahren wäre, so etwas in den Ausschuss einzubringen, mit den weiteren Fraktionen und dem Ministerium abzustimmen und dann in ordentlichem Verfahren abzustimmen. All das wollte die Union nicht. Sie wollten ein bisschen Schaufenstershow.“

Die Vorschläge in dem Antrag sind zum Teil seit Jahren bekannt und wurden, wie zum Beispiel die Verbesserung der Kontrollen oder der Ausbau der Lkw-Parkplätze, immer von wieder von Schiefner eingefordert und in Haushaltsberatungen nachgefordert, nachdem das Ministerium diese unter Andreas Scheuer für uninteressant hielt. Auch die Punkte zum Thema Führerschein und Qualifizierung sind ja nicht neu, wie sie in diesem PDF des Antrags nachzulesen sind. „Das Bundesverkehrsministerium hat sie aber in den letzten Jahren entweder nicht vorgelegt oder mit rechtlichen Bedenken nicht weiter betrieben, wenn sie diskutiert wurden“, so Schiefner. Jetzt, da die Union selbst nicht mehr in der Verantwortung steht, wollen sie Dinge im Bundestag direkt abstimmen, die sie selbst jahrelang blockiert haben und jetzt nicht ernsthaft diskutieren wollen.“

Es liegt an den Arbeitsbedingungen

Es ist vor allem der Verkehrspolitiker Thomas Lutze für „Die Linke“, der in seiner Rede den Finger in die Wunde legt und anmahnt, dass die „Union nach zwölf Jahren Geisterfahrt im Verkehrsministerium zumindest teilweise die Zeichen der Zeit erkannt hat.“ Ändert sich aber nichts am Mangel von aktuell 60.000 bis 80.000 Lkw-Fahrerinnen und Fahrern, der fortschreitenden demografischen Falle und dem erschreckenden Desinteresse junger Menschen, bei weiter mangelnder gesellschaftlicher Wertschätzung den Beruf zu ergreifen, rechnet er bis spätestens 2025 mit Lieferproblemen wie in Großbritannien. Wie kaum ein anderer Politiker beschreibt er die seit Jahren schlechten Arbeitsbedingungen in der Transportbranche als Grund, dass sich kaum Nachwuchs findet. Er fordert nicht nur eine Stärkung der Tarifbindung sondern klipp und klar, dass endlich „die Bereitschaftszeiten vollumfänglich als Arbeitszeiten gelten.“

In der Tat ist das auch das Thema der vierten Folge der Tachostunde. Siehe dazu Heft 8 des FERNFAHRER, das am 2. Juli erscheint. Oder die aktuelle Ausgabe der trans aktuell vom 24. Juni. „Gerade über die Bereitschaftszeiten habe der EU-Gesetzgeber den Fahrern einen Bärendienst erwiesen“, meint unser Experte zum Thema der Sozialvorschriften, Götz Bopp. „Für fast alle Arbeitnehmer wurden allzu lange Aktivitätsphasen durch die Rechtsprechung einkassiert. Wieso ausgerechnet beim Lenken eines 40-Tonners zwischen Arbeitsbeginn und -ende bis zu 15 Stunden liegen dürfen, ist für mich sachlich nicht zu begründen. Ein Beitrag zur Reduzierung der Verkehrstoten ist das jedenfalls nicht.“

So sind gerade auch diese Bereitschaftszeiten meiner Ansicht nach der größte Fehler einer in sich zerstrittenen Transportbranche, die auf Grund des hohen Wettbewerbs nicht in der Lage ist, den unhaltbaren Zuständen der eigenen Fahrer gerade an den Rampen des Einzelhandels mit seinen unkalkulierbaren und meist nicht bezahlten Wartezeiten Paroli zu bieten. Die Folge: Es wird, verstärkt natürlich durch permanent staugefährdete Autobahnen in einem vollkommen überlasteten Netz an Transitstrecken immer öfter gefahren bis zum Umkippen. Übermüdete Fahrer sind heute eher die Regel als die Ausnahme. Sie zeigen sich auch an den mittlerweile ein bis zwei Unfällen am Stauende täglich, die sicher nicht alle dem Thema der Ablenkung zuzuordnen sind.

Wir brauchen mehr Ausbildung statt weniger

Es sind daher vor allem verwaltungsrechtliche Verbesserungen im Antrag der Union, siehe oben, auf die ich hier nicht näher eingehen will. Aber, auch nach Rücksprache mit einigen Schulungsanbietern, brauchen wir im Grunde nicht weniger – sondern mehr Ausbildung. Beinahe wöchentlich kippen mit Bier beladene Lkw um, bleiben Laster unter zu tiefen Brücken hängen, mangelnde Ladungssicherung ist ein erhebliches Problem bei Kontrollen der Polizei. Unkenntnis in den arbeitsrechtlichen Grundlagen oder den Sozialvorschriften kommen dazu. Immer weniger Fahrer kennen sich, wie selbst der Deutsche Verkehrssicherheitsrat in der 79. Sendung von FERNFAHRER LIVE beklagt, mit dem Unterschied von Abstandsregeltempomat und Notbremsassistent aus.

Der Erwerb der „Kennziffer 95“ im Rahmen einer sechsmonatigen schnelle Umschulung inklusive der Beschleunigten Grundqualifikation ist mit jährlich rund 20.000 Teilnehmern die häufigste Form der Fahrerausbildung. Doch weder die Bundesagentur für Arbeit, das Bundesarbeitsministerium noch das Bundesverkehrsministerium konnten mir auf meine Nachfrage vor ein paar Monaten konkrete Zahlen nennen, wie viele dieser hoffnungsfrohen Quereinsteiger am Ende der Branche erhalten geblieben sind.

Wo bleiben die Ordnungswidrigkeitentatbestände aus dem Mobilitätspaket?

So sprach am Ende der kurzen Debatte auch Oliver Luksic neben der dringend geforderten gesellschaftlichen Akzeptanz, Bürokratieabbau und höheren Löhnen von 700 Millionen Euro, die nun in den Ausbau von Parkplätzen investiert werden sollen mit einer verbesserten digitalen Anzeige frei verfügbarer Stellplätze, während am Sonntag danach ein rumänischer Lkw-Fahrer bei der Einfahrt auf einen völlig überfüllten Lkw-Parkplatz ums Leben kam, weil sein Lkw an dem eines Weißrussen zerschellte. Jedes Wochenende sind die deutschen Rastanlagen restlos überfüllt – und auch eine digitale Anzeige wird nicht viel bringen, wenn dort Lastzüge verbotenerweise ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw verbringen.

Ebenfalls im Heft 8/22 des FERNFAHRER gibt es eine Reportage mit dem Kölner Juristen Philippe Rabenschlag, der auf eine 17-jährige Berufserfahrung als Jurist im Bundesamt für Güterverkehr (BAG) und im Bundesverkehrsministerium zurückblickt. So kommt es für mich der ministeriellen Arbeitsverweigerung schon sehr nahe, wenn Luksic auf den Erfolg das Mobilitätspaket als Garant für einen faireren Wettbewerb und bessere Arbeitsbedingungen für die Lkw-Fahrer verweist. Fakt ist jedoch: „Die Ergänzungen in den bestehenden Verordnungen im Rahmen des Mobilitätspakets sind ja nicht vom Himmel gefallen“, so Rabenschlag. „Sie wurden bereits am 31. Juli 2020 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Bis heute hat es das Bundesverkehrsministerium allerdings nicht geschafft, im Fahrpersonalrecht und im Güterkraftverkehrsgesetz die entsprechenden Ordnungswidrigkeitentatbestände zu erweitern oder zu schaffen.“

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