Frachtmarkt im freien Fall Die Lage wird sehr ernst

Die Frachtraten fallen ins Bodenlose Foto: Christian Gröger 5 Bilder

Wer als Frachtführer derzeit direkt für den Handel fährt, kann die Krise wahrscheinlich noch ein paar Wochen überstehen. Der Markt über die Frachtenbörsen bricht dagegen vollkommen ein, die Kilometerpreise fallen deutlich unter die Betriebskosten deutscher Unternehmen. Und die osteuropäischen Fahrer blieben weiter munter an den Wochenenden in Kleingruppen in den Binnenhäfen, ohne von den Behörden belästigt zu werden.

Christian Gröger arbeitet seit 27 Jahren als Fahrer bei der Getränkefachspedition Hunstiger aus Neukirch am Bodensee, optisch bekannt als Tiger-Trans. Am Samstag ist er von seiner letzten Tour in das Zentrallager für Südbayern eines Lebensmittelhandels zurückgekommen. „Die letzten vierzehn Tage war praktisch Ausnahmenzustand“, beschreibt Gröger. 22 Lkw hat das Unternehmen. Einer der Kunden ist ein Mineralwasserabfüller. Sieben Touren innerhalb von Süddeutschland hat Gröger allein diese Woche gefahren, alles noch im Rahmen der Sozialvorschriften und ohne von der Lockerung der Lenkzeiten Gebrauch zu machen. „Wir haben Zeitfensterbuchungen, meine Kollegen hatten teilweise Wartezeiten von ein bis drei Stunden, das war sogar noch moderat. Es hängt alles von den Kapazitäten der einzelnen Lager und Ketten ab.“ Andere Fahrer haben dagegen davon berichtet, dass sie mit den beladenen Lkw sogar abgewiesen wurden.

Der freie Ladungsmarkt geht massiv zurück

Normal weiß Gröger schon am Freitag, was er die Woche drauf fahren wird. Doch nun, am Samstag, ist der Ladungsmarkt wie leergefegt. „Ich weiß nur, dass wir am Montag Fracht für einen einzigen Lkw haben“, so Gröger. „Das bereitet mir große Sorgen.“ In der Tat: Der deutsche Frachtmarkt ist im freien Fall. „Nichts geht mehr“, heißt es aktuell in einem Beitrag auf Eurotransport.de über die zum Teil chaotische Belieferung des Handels der letzten Woche und das Auseinanderbrechen der bestehenden Lieferketten. Das ändert sich jetzt. Fortan heißt es eher: Nichts gibt’s mehr. Angesichts des nahezu vollkommenen Stillstands in weiten Teilen der deutschen Wirtschaft geht nun auch der Ladungsmarkt massiv zurück.

Distribution statt Stahltransporte

Helmut Adams und sein Sohn Alexander leiten in Niederzissen in der Eifel gemeinsam das Familienunternehmen Adams mit 25 eigenen Fahrzeugen. Ein Schwerpunkt ist die Distribution für den regionalen Einzelhandel. Die drei DAF CF, die mit Stahl im Rundlauf zwischen Andernach und dem Ruhrgebiet unterwegs waren, sind aus dem Verkehr gezogen, „da die Stahlfrachten wegen der Kurzarbeit bei den Automobilherstellern komplett eingebrochen sind“, wie Helmut Adams beschreibt. Sie ziehen nun nur noch Planen- und Kofferauflieger. „Da wir im Moment nur Getränke, Blumenerde und Hygieneartikel fahren, also Produkte, die im Moment sehr gefragt sind, haben wir mit Wartezeiten bei den Empfangslägern nicht viel zu tun. Ganz im Gegenteil. Zu rund 90 Prozent werden wir vor dem gebuchten Zeitfenster entladen. Bei den Abgangslägern kommt es wegen der hohen Nachfrage hin und wieder zu Standzeiten von zwei bis drei Stunden.“

Faire Preise für die Lebensmitteldistribution

Auch Unternehmer Vitali Hergert aus Balingen war die Woche voll im Einsatz, sogar den letzten Sonntag waren seine sieben Lkw für den Einzelhandel in Süddeutschland unterwegs. „Bei meinem Kunden aus dem Lebensmitteleinzelhandel läuft es preislich so wie bis jetzt“, sagt Hergert. „Sogar Standgeld wird bezahlt. Es läuft also fair, aber oft war kein Platz in den Lagern, das Kommissionieren der Ware kommt nicht nach. Bei einem anderen Kunden, einem Getränkelogistiker, wurde mir eine Tour in der Beschaffung gekündigt, stillschweigend, weil ich das Fahrzeug natürlich in der Auslieferung benötigt habe.“ Ein weiterer Kunde, eine Spedition, hat bereits Kurzarbeit angemeldet. Immer mehr Speditionen und Frachtführer aus dem normalen Frachtmarkt melden zu Beginn der Woche 14 ihre Lkw ab und schicken Fahrer in Kurzarbeit. „Wir suchen ab Montag entweder einen neuen Auftraggeber für neun BDF-Gliederzüge im Raum Hamburg“, so ein Lkw-Fahrer aus Norddeutschland, „oder alternativ neun offene Stellen für Fahrer.“

Auch Unternehmer Hergert hat große Sorgen für die Zeit ab April, wenn die Wirtschaft bis dahin weiter stillsteht. „Auch wir ´Helden der Versorgung` können jetzt sehr schnell Bankrott gehen. Auf dem freien Markt gibt es kaum noch Ladungen, und wenn man etwas findet, dann ist der Preis unterste Schublade.“ Hier gibt es für alle betroffenen Firmen eine Hiobsbotschaft. Aktuell fallen nur Unternehmen unter den Schutzschirm des Wirtschaftsministeriums, die im letzten Jahr keinen Einbruch hatten. Darunter sind auch Unternehmen, von denen man es beim besten Willen nicht gedacht hätte. Helmut Adams sieht sich für die kommenden Wochen noch gewappnet, blickt aber ebenso ungewiss in die Zeit nach Ostern. „Geht es so weiter, dann habe ich auch für unsere Firma große Sorgen“, so Adams. „Wenn ich allerdings die Frachtraten in der Timocom sehe, dann wird es mir schwarz vor Augen.“

Angebotseinbruch am freien Markt

Die Frachtenbörse Timocom ist derzeit für viele Unternehmer der verlässlichste Indikator, wie es um das Frachtangebot steht. Am Samstag stand das immer wieder in den sozialen Medien geteilte Timocom-Barometer bei 17 Prozent Fracht und 83 Prozent Frachtraum. „Wir haben am Freitag eine Ladung reingesetzt und hatten binnen einer Minute über 60 Anfragen“, so Unternehmer sagt Dirk Huhndorf aus Merzen. Seine eigenen Lkw hat er gerade noch beladen bekommen. „Meine Fahrer haben diese Woche alles gegeben, aber für diese Preise am Markt kann kein deutsches Unternehmen auf Dauer überleben.“

Bereits am 19. März hatte sich der selbstfahrende Unternehmer Michael Finkbeiner über die Kampfpreise eines seiner Kunden beklagt. „Die Situation ist nicht besser geworden“, klagt er. „Freiburg nach Hamburg wird jetzt für 500 Euro angeboten – und gefahren.“ Täglich teilen Fahrer und Unternehmer in den sozialen Medien die schlechtesten Frachten aus dem online-Angebot. „Die gehen zum Teil runter bis auf 80 Cent pro Kilometer“, so Finkbeiner. „Einer meiner Kunden hat mir jetzt 1,01 Euro angeboten pro Lastkilometer. Das ist geradezu großzügig.“ Und so taucht immer öfter die Forderung auf, in der Corona-Krise eine Art Mindestfracht festzulegen, damit sich nicht noch die letzten deutschen Frachtführer und Speditionen gegenseitig kannibalisieren.

Wo sind die Osteuropäer?

Doch immer noch gibt es in der Krise keine offizielle Stelle, vielleicht sogar im Auftrag des Bundesverkehrsministers, die vielleicht einmal Angebot und Nachfrage zentral koordiniert und zu fairen Bedingungen zusammenbringt. Die fünf Verbände, die Andreas Scheuer immer wieder konsultiert, waren offensichtlich heilfroh, dass er die Lockerung der Kabotage zurückgenommen hat. Ansonsten dient alles, was derzeit in Berlin auf politischer Bühne verhandelt wird, der Versorgungssicherheit der Verbraucher. Es gibt daher auch keine Auskunft, wie viele Lkw aus Osteuropa noch am Frachtmarkt teilnehmen. Große osteuropäische Flotten verkaufen jetzt innerdeutsche Ladungen, wobei sich die deutschen Unternehmer fragen, wieso sie diese überhaupt erst einkaufen konnten. Andere Betreiber sollen einen Teil der Flotte in die Heimatländer abberufen haben. Ganze Flotten mit leeren Autotransportern stehen verlassen auf Autobahnplätzen. Wieder andere, wie etwa Hegelmann, sind offenbar so gut ausgelastet, dass Fahrer die Leerpaletten im Fahrerhaus stapeln müssen, was sogar die BG Verkehr auf den Plan gerufen hat.

Die Lage wird sehr ernst, die Stimmung kippt

Immer öfter schicken Lkw-Fahrer, die nicht genannt werden wollen, Fotos von langen Warteschlangen in morgendlicher Frische vor den Lkw-Abfertigungen, sei es in den Chemiewerken oder bei den Zentrallagern. Und mittlerweile treibt nicht nur Arbeitgeber und Fahrer wie Finkbeiner die Sorge um, wie es um den Gesundheitsschutz der Fahrer aus Osteuropa überhaupt gestellt ist. Unternehmer Michael Brünger etwa berichtet, dass die Parkplätze im Grenzgebiet der Niederlande nach wie vor voll sind. Immer mehr deutsche Fahrer haben nun Sorge, sich trotz eigener Hygiene unter weiter erschwerten Bedingungen letzten Endes doch zu infizieren.

Es ist eine Farce: obwohl das Innenministerium in NRW auf den Bericht „Durchgreifen! Jetzt!“ schriftlich geantwortet hat, durchzugreifen, berichtet Manuela Kahlke live an diesem Samstag aus dem Logport in Duisburg, dass dort nicht ein Lkw weniger stehe, als die Wochen zuvor, und die meist südosteuropäischen Fahrer dort das ganze Wochenende weiter in Gruppen beieinander stehen und grillen würden. Das ist Staatsversagen. Michael Finkbeiner fasst es in klare Worte: „Wenn der erste osteuropäische Fahrer dann an Corona verstorben ist, weil er hier keine ärztliche Versorgung hat, und in seinem Lkw gefunden wird, dann heißt es in Berlin wieder nur: davon haben wir nichts gewusst.“

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