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Umstrittene Studie von Wissing Lkw bleibt der Lastenträger

Foto: stock.adobe.com-Benjamin Nolte

Der Güterverkehr wächst und wächst: Eine Prognose im Auftrag des Verkehrsministeriums erwartet einen Zuwachs um 46 Prozent bis 2051. Die Ergebnisse und kritischen Reaktionen von Schienenvertretern.

Beim Güterverkehr stehen die Zeichen auf Wachstum. Das Bundesverkehrsministerium (BMDV) stellt sich auf einen Zuwachs der Güterverkehrsleistung bis 2051 um insgesamt 46 Prozent ein. Das entspricht einer jährlichen Steigerung um 1,2 Prozent. Die Prognose basiert auf einer erstmals erstellten gleitenden Langfristverkehrsprognose, die Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) am Freitag mit Tobias Kluth, Geschäftsführer von Intraplan Consult, der Öffentlichkeit vorstellte.

Lkw baut seinen Anteil am Modal Split weiter aus

In absoluten Zahlen steigt die Güterverkehrsleistung gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 damit von 679 auf 990 Milliarden Tonnenkilometer (tkm). Der Zuwachs entfällt zu einem großen Teil auf die Straße: Der Lkw wird mit 54 Prozent das Gros des Wachstums stemmen und damit seine dominierende Rolle im Modal Split um 4,1 Punkte auf 77,7 Prozent weiter ausbauen. Die Schiene wird um ein Drittel zulegen, während die Wasserstraße stagniert. Steigen wird auch der Personenverkehr, der um 13 Prozent auf fast 1.400 Milliarden Personenkilometer zulegt – auch aufgrund des Bevölkerungswachstums, etwa durch Migration, sowie einen Ausbau von Schiene und ÖPNV.

Foto: Werner Popp
„Um einen Verkehrsinfarkt zu verhindern, brauchen wir jetzt dringend das Deutschland-Tempo zum Ausbau aller Verkehrsträger – auch bei der Straße.“ Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP)

Beim Transportaufkommen erwarten die Autoren der Studie ebenfalls ein Wachstum bis 2051. Es fällt mit 30 Prozent – also einem jährlichen Zuwachs von 0,8 Prozent – aber schwächer aus als die Steigerung der Verkehrsleistung. Auch bei der beförderten Tonnage macht der Lkw das Rennen – er wird perspektivisch 34 Prozent mehr schultern, die Bahn 14 Prozent. Beim Binnenschiff ist mit einem Rückgang von zehn Prozent zu rechnen. Der Anteil des Lkw am Modal Split wird damit beim Transportaufkommen um drei Punkte auf 89 Prozent steigen.

Minister Wissing hatte sich von der Langfristverkehrsprognose neue Erkenntnisse erhofft, weil sie auch aktuelle Entwicklungen berücksichtigt. Berücksichtigt sind zum Beispiel Einflüsse durch Corona, den Krieg in der Ukraine, den technologischen Fortschritt sowie das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum. Einflüsse durch Corona sind zum Beispiel die verstärkte Nutzung des Homeoffices und die geringere Zahl der Dienstreisen aufgrund von Videokonferenzen. Die letzte langfristige Analyse, die dem BMDV zur Verfügung stand, war die Verkehrsprognose 2030, die sich aufs Jahr 2010 bezieht. Erstellt wurde die neue Prognose durch eine Arbeitsgemeinschaft der Unternehmen Intraplan aus München, das den Personenverkehr untersuchte, und Trimode aus Freiburg, das den Güterverkehr in den Blick nahm.

Foto: NEE
„Diese Studie ist in jeder Hinsicht unbrauchbar. Statt die Optionen für eine gestaltende Verkehrspolitik aufzuzeigen, will das Werk suggerieren, die bisherige Verkehrspolitik sei nur als alternativlose Fortschreibung denkbar.“ Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE)/Die Güterbahnen

Erkenntnisse bringt die Studie auch mit Blick auf die Art der beförderten Güter. Intraplan und Trimode rechnen nicht zuletzt aufgrund der Energiewende mit einem starken Rückgang der Massen- und Energiegüter – zum Beispiel Kohle, Koks, Mineralölprodukte und Erze. Sie erwarten bis 2051 eine Abnahme um rund 225 Millionen Tonnen. Das entspräche nur 24 Prozent des Wertes von 2019. Den Effekt bekommen vor allem die Schiene und Wasserstraße zu spüren, die sehr stark auf Massengüter ausgerichtet sind.

Da umgekehrt Gütergruppen zulegen, die sehr stark auf der Straße befördert werden, profitiert von dieser Entwicklung der Lkw. Bei Postsendungen erwartet die Autoren eine Steigerung um 130 Millionen Tonnen auf (eine Verdreifachung gegenüber 2019), bei Sammelgütern eine Steigerung von 247 Millionen Tonnen (fast eine Verdopplung gegenüber 2019) und bei Stückgütern ein Plus von 50 Millionen Tonnen (plus 64 Prozent gegenüber 2019).

Foto: Ilona Jüngst
Der Kombinierte Verkehr bleibt die Wachstumslokomotive: Die Studie sagt ein Wachstum um 73 Prozent auf 227 Millionen Tonnen bis 2051 voraus.

Als Wachstumslokomotive erweist sich auch der Kombinierte Verkehr, die Studie sagt ein Wachstum um 73 Prozent auf 227 Millionen Tonnen gegenüber 2019 voraus. Von diesem Zuwachs profitiert mit 76 Prozent vor allem die Schiene, der Anteil der Wasserstraße wächst bleibt im Verhältnis klein. Im Seehafenhinterlandverkehr muss die Wasserstraße bis 2015 sogar Anteile abgeben. In diesem Segment gehen die Zuwächse vor allem auf das Konto der Straße (plus 52 Prozent) sowie der Schiene (plus 30 Prozent).

Für Minister Wissing braucht es auf die Ergebnisse der Studie nun auch die politischen Antworten: „Der Verkehr in Deutschland wird in jeder Hinsicht zunehmen“, erklärte er. „Um einen Verkehrsinfarkt zu verhindern, brauchen wir jetzt dringend das Deutschland-Tempo zum Ausbau aller Verkehrsträger – auch bei der Straße.“

BGL: Verkehrspolitik an Zahlen, Daten, Fakten ausrichten

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßt es, dass Wissing den Ergebnissen nun Taten folgen lassen will. „Diese Verkehrsprognose muss die Bremser in der Bundesregierung endlich wachrütteln“, erklärte BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt. „Wir haben in Deutschland marode Brücken, einen akuten Fahrermangel und der Netzausbau für Ladeinfrastruktur liegt in weiter Ferne“, sagte er. „Die Lösungen dieser Probleme liegen auf dem Tisch. Ihre Umsetzung muss jetzt mit Hochdruck angegangen werden!“ Er begrüße es zudem ausdrücklich, dass die Maxime des Bundesverkehrsministers laute, seine Verkehrspolitik an den tatsächlichen Begebenheiten, an Zahlen, Daten und Fakten und nicht an politischem Wunschdenken auszurichten.

Die Güterbahnen: Studie ist in jeder Hinsicht unbrauchbar

Vertreter der Schiene kritisieren die Methoden, Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der Studie. „Diese Studie ist in jeder Hinsicht unbrauchbar. Statt die Optionen für eine gestaltende Verkehrspolitik aufzuzeigen, will das Werk suggerieren, die bisherige Verkehrspolitik sei nur als alternativlose Fortschreibung denkbar“, erklärte Peter Westenberger, Geschäftsführer des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE), das als „Die Güterbahnen“ firmiert. Es sei bedauerlich, dass die Gutachter des Verkehrsministeriums zudem „unhaltbare grobe Einschätzungen zur Zukunft des Schienengüterverkehrs verbreiten“ und im Ergebnis einen rückläufigen Marktanteil von 17,3 Prozent in 30 Jahren prognostizierten. Der KV könne jede freie Trasse eines wegfallenden Kohlezuges im derzeit zu engen Schienennetz brauchen. „Denn er wächst um bis zu zwölf Prozent – pro Jahr.“

Grünen-Verkehrsexperte Gastel: Wissing ignoriert Koalitionsvertrag

Grünen-Verkehrsexperte Matthias Gastel betonte: „Diese Prognose kann und wird für keine Infrastrukturplanungen die Grundlage sein.“ Es seien weitgehend Entwicklungen aus der Vergangenheit in die Zukunft übertragen worden. Der Koalitionsvertrag verfolge politische Ziele für die Verlagerung von Personen- und Güterverkehren auf die Schiene. „Diese Ziele hat der Bundesverkehrsminister leider ignoriert. Er möchte mit immer mehr Straßen einem Zuwachs an Lastwagen den roten Teppich ausrollen. Seine Aufgabe wäre jedoch für ein leistungsfähigeres Schienennetz zu sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit der Güterbahn zu stärken.“

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