Rückkehrpflicht für Lkw Außer Kontrolle

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Die Rückkehrpflicht für Lkw nach spätestens acht Wochen war auch die große deutsche Hoffnung im EU-Mobilitätspaket. Faktisch ist sie ein leeres Versprechen.

Wie sich die Bilder doch gleichen. Bereits 2019 war ich in Herne im Westhafen. Dort gibt es ein Terminal für den Kombinierten Verkehr. Schon damals standen dort am Samstag rund 30 Zugmaschinen überwiegend aus Bulgarien und Rumänien, teilweise aus Polen und der Slowakei. Sie transportierten unter anderem die Auflieger eines österreichischen Logistikers im Vor- und Nachlauf innerhalb von Deutschland oder nach Belgien und in die Niederlande. Nach Aussagen einiger Fahrer waren die Lkw dort das Jahr über fest stationiert. Die Fahrer, viele aus Nordmazedonien, bekamen den bulgarischen oder rumänischen Mindestlohn plus Spesen. Mein Blog-Artikel dazu hieß: Sozialdumping im KV Herne.

Auf meine Nachfrage hatte mir das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) später das Ergebnis einer Kontrolle zur Frage der Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw mitgeteilt. Angesichts der sichtbaren potenziellen Verstöße war das Resultat mager: „Kontrolliert wurden insgesamt 16 Fahrzeuge. Zwölf davon hatten eine bulgarische Zulassung. Von diesen 16 Fahrzeugen wurden vier beanstandet. Festgestellt wurde bei zwei Fahrzeugen mit bulgarischer Zulassung und einem Fahrzeug mit polnischer Zulassung Verstöße gegen das Verbringen der regelmäßigen wöchentliche Ruhezeit im Fahrzeug. Diese Kontrollen sollen fortgeführt werden.“

Ein Viertel mehr Lkw

Ende März 2022, als ich noch einmal in Herne war, waren es auf den ersten Blick ein gutes Viertel mehr Lkw. Die Zugmaschinen aus denselben Ländern, insgesamt etwas jünger, standen nicht nur auf beiden Seiten der Straße, dazwischen einige Pkw der osteuropäischen Fahrer, sondern mitten auf dem Gehweg der Zufahrt und rund um den Parkplatz für die Trailer. An oder im Lkw waren Fahrer anzutreffen. Ein Mitarbeiter des Terminals sagte mir, dass einige Fahrer am Wochenende in Hotels wohnen würden, andere im Lkw.

Das wäre ein Verstoß. Spätestens seit dem 21. August 2020 ist es europaweit verboten, diese regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen. Im selben Jahr hatte das BAG bundesweit 843 Verstöße nach dem deutschen OWiG geahndet. Bei Vorsatz sind das 500 Euro für den Fahrer, 1.500 Euro für den Unternehmer. Zahlen für 2021 hat das BAG bislang nicht genannt.

Entscheidend sind die Kontrollen

Als das Mobilitätspaket im Juli 2020 als großer Erfolg von Ismail Ertug, dem deutschen EU-Parlamentarier, nach zähen Verhandlungen in Brüssel vorgestellt wurde, hieß es, dass es nur mit den entsprechenden Kontrollen durch die zuständigen Behörden der jeweiligen Mitgliedstaaten wirklich greifen würde. Dabei hatte bereits zu Ostern 2019 die EU-Kommission eindeutig klargestellt, dass die Fahrer keinerlei Belege mitführen müssen, wo sie ihre Ruhezeit verbracht haben. Dieses „üble Überraschungsei“ wirkt bis heute nach. Lkw-Fahrer müssen auf frischer Tat im oder am Lkw angetroffen werden. Laut Ertug war eine entsprechende Änderung in der VO (EU) 165/2014 in den Trilog-Verhandlungen nicht durchsetzbar.

Hinzu kam die ebenfalls neue Möglichkeit, dass die Fahrer im reinen grenzüberschreitenden Güterverkehr gemäß der VO (EG) 561/ 2006 Absatz 6 und 8 zweimal hintereinander eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit nehmen können. Das Einzige, was den deutschen Kontrolleuren zur Durchsetzung helfen würde, wäre eine Änderung im Fahrpersonalrecht: dann müsste es bereits ein Verstoß sein, wenn bei einer Kontrolle am Sonntagnachmittag feststehen würde, dass der angetroffene Fahrer an diesen Wochenende die 45er Pause machen muss. Hier liegt der Ball beim FDP-geführten Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Sonst bleibt es dabei, dass ein Verstoß nur auf frischer Tat geahndet werden kann, wenn er begangen wurde. Also erst ab der 45. Stunde.

Rückkehrrecht ausgehebelt

Es hatte sich bereits sehr schnell herausgestellt, dass die versprochene Rückkehrpflicht vor allem der osteuropäischen Fahrer in die Heimat binnen vier Wochen gar nicht so einfach verordnet werden kann. Dass das Rückkehrrecht in die Heimat durch den Zusatz „oder an die Betriebsstätte, der der Fahrer normalerweise zugeordnet ist“ zudem sehr leicht ausgehebelt werden kann, habe ich bereits hier ausführlich beschrieben. Es wird auch Thema in der 80. Sendung von FERNFAHRER LIVE am 7. April.

Rückkehrpflicht ist eine Farce

Bleibt als bislang weiter durch Brüssel versprochene wirksame Maßnahme gegen den anhaltenden Preiswettbewerb osteuropäischer Marktteilnehmer die Rückkehrpflicht der Lkw spätestens nach acht Wochen. Die bereits oft erwähnten handwerklichen Schwächen des Mobilitätspaketes zeigen sich nun besonders krass. Das BAG könnte dann einen Verstoß in Deutschland zwar feststellen – aber nicht ahnden. Denn Verstöße gegen die Rückkehrpflicht hängen rechtlich an der ordnungsgemäßen Niederlassung des Unternehmens, die nur im Niederlassungsstaat selbst geahndet werden können. Das BAG müsste also ausgerechnet in den Ländern um Amtshilfe bitten, die gerade vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Rückkehrpflicht klagen. Das ergibt sich aus der entsprechenden EU-Verordnung 1071/09. Siehe dazu auch diesen Beitrag zum großen Kompromiss des Mobilitätspakets auch bezüglich des Kombinierten Verkehrs.

Kurz vor Ostern wird es also höchst spannend. Diese Rückkehrpflicht ist am 21. Februar 2022 in Kraft getreten. Spätestens dann müssten dem Augenschein nach die meisten der im Westhafen von Herne und all den anderen deutschen KV-Terminals fest stationierten Zugmaschinen losfahren, um in der Heimat kurz „einzuchecken“. Die meisten müssten es wohl ohne eine Rückladung machen. Für das BAG wäre es ein Leichtes, es immerhin für die Statistik festzuhalten.

Denn seit dem 2.2.22 müssen die entsprechenden Grenzübertritte im digitalen Tacho dokumentiert werden. Auf meine Frage, ob das BAG gemeinsam mit mir rund um Ostern eine Erfolgskontrolle in Herne machen würde, habe ich bislang keine Antwort bekommen. Was sicher auch daran liegt, dass das BAG grundsätzlich nicht vorher bekannt gibt, wann und wo es kontrolliert. Die mutmaßlichen Verdächtigen könnten sich sonst vielleicht aus dem Staub machen.

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