EU-Mobilitätspaket im Trilog Makroökonomisches Desaster

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Am 3. Oktober beginnen in Brüssel die Verhandlungen zum Mobilitätspaket. Es geht darum, den Wettbewerb im internationalen Güterverkehr fairer zu machen und die Fahrer vor allem aus Osteuropa sozial besser zu stellen. Doch ausgerechnet bei der Rückkehrpflicht der Lkw alle vier Wochen droht der Schuss nach hinten loszugehen. Vor allem im Kombinierten Verkehr.

Ich schreibe nun seit über fünf Jahren immer wieder über die Folgen des sogenannten Sozialdumpings, das sich seit 2004, als die Europäische Union den Binnenmarkt in Richtung Osten erstmals erweiterte, schleichend wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat. In einer sehr langen Fassung im letzten Jahr sogar für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung. Mein Beitrag hieß: „Wenn möglich, bitte wenden“. Die Schwierigkeiten und Notwendigkeiten, die Arbeitsbedingungen und Entlohnung von europäischen Lkw-Fahrern neu zu regeln.

Mein Fazit: dieses jahrelange Wachstum wurde viel zu lange geduldet. Mittlerweile sind die osteuropäischen Flotten ein fester Bestandteil der europäischen und besonders auch der deutschen Logistik geworden. Zu einem mutmaßlich hohen Prozentteil wahrscheinlich illegal, jedenfalls was das Thema Kabotage betrifft. Und sozial zu einem hohen Preis.

Dreimal zwei Stunden Verhandlungen

Am 5. Oktober erscheint nun der FERNFAHRER 11/2019, mit dem fünften Teil der EU-Serie, die ich zusammen mit Götz Bopp von der IHK Region Stuttgart zum Wettbewerbsvorteil Kabotage geschrieben habe. Alleine hier sind für den Trilog zwischen den drei Berichterstattern des EU-Parlaments, dem Vertreter des EU-Rats der Verkehrsminister und dem Abgesandten der EU-Kommission unter Leitung der neuen finnischen Verkehrsministerin als Ratspräsidentin eigentlich schon so viele ungeklärte Positionen offen, dass ich mir die Frage stelle, wie dieses Pensum in den geplanten sechs Verhandlungsstunden abgearbeitet werden soll.

Denn die ersten Termine stehen fest: am 3. Oktober von 13.00 bis 15.00 Uhr sowie am 4. und 5. November ebenfalls in nur zwei Stunden. Dazwischen gibt es Gespräche auf Arbeitsebene, also zwischen den jeweiligen Mitarbeitern der politisch Verantwortlichen.

Als Gast einer Podiumsdiskussion am 29.September auf der NUFAM habe ich vergangene Woche, zusammen Andrea Marongiu, dem Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V., und Gastgeber Udo Skoppeck von der A.i.d.T., versucht, das immer weitere verworrenere Dickicht des verzweifelt versuchten Einigungsprozesses etwas zu entwirren. Zu komplex ist das gesamte Thema allerdings für eine einstündige Debatte.

Bulgarischer Parlamentarier droht mit Klage vor dem EuGH

Lange haben vor allem die osteuropäischen Parlamentarier auf Zeit gespielt. Ohne Erfolg - die Mandate für die Triloge sind erteilt, jetzt hat die designierte neue EU-Verkehrskommissarin Rovana Plumb wegen ihrer alten Korruptionsgeschichten in Rumänien die Anhörung des Parlaments nicht überstanden, der nächste Kandidat oder die nächste Kandidatin stellt sich erst am 14. Oktober vor. Zudem hat der bulgarische Abgeordnete im Verkehrsausschuss, Peter Vitanov von der S&D-Fraktion (europ. Sozialdemokraten) soeben mitgeteilt, dass er vor dem Europäischen Gerichtshof Klage erheben würde, wenn die derzeit wohl umstrittenste Maßnahme des Mobiltätspaketes, die Rückkehrpflicht nicht nur der Fahrer, sondern auch der Lkw nach vier Wochen an ihren Heimatstandort, tatsächlich durchgeboxt wird.

Das ist natürlich pure Psychologie angesichts blank liegender Nerven – vor allem bei den davon am stärksten betroffenen Transportunternehmen aus Bulgarien und Rumänien. Denn ein Gang zum EuGH ist natürlich erst möglich, wenn das Mobilitätspaket tatsächlich verabschiedet und als neue Verordnung in Kraft getreten ist. Was angesichts der Tatsache, dass ein komplett neu gewähltes Parlament noch einmal über die Beschlüsse des Trilogs abstimmen muss, völlig in den Sternen steht. Oder anders gesagt – wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.

Lkw-Kapazitäten im Kombinierten Verkehr massiv gefährdet

Ich will das am krassesten Beispiel aufzeigen: dem Kombinierten Verkehr, dem auf der NUFAM Karlsruhe von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) ein besonders großes Potential für die „grüne Logistik“ zugeschrieben wurde.

Auch wenn es kaum nachvollziehbar ist, dass ein deutscher Verband mit seinen dafür extra beauftragten Honorarprofessoren einem österreichischen Logistiker einen Nachhaltigkeitspreis für seinen Einsatz im Kombinierten Verkehr unter der Prämisse gibt, dass die Fahrer, so wörtlich, „jeden Abend zu Hause sind.“ Das Gegenteil ist der Fall, wie ich es am Beispiel Herne bereits beschrieben habe. Bis zu zwei Monate harren dort etwa mazedonische Fahrer auf bulgarischen Lkw aus und machen den Vor- und Nachlauf für den westeuropäischen Auftraggeber zum Teil um bis zu 50 Prozent billiger.

Nicht anders sieht es in den Binnenhäfen wie im Logport Duisburg aus. Diese Sattelzugmaschinen, wie sie hier oben im Bild zu sehen sind, stehen jedes Wochenende brav aufgereiht dort. Bislang tauschen ihre Inhaber, die Frachtführer aus Bulgarien und Rumänien, nur die Fahrer aus. Kleinbusse haben derzeit für diese unzähligen Ost-West-Transfers Konjunktur.

Rückkehrpflicht nicht finanzierbar

Alle vier Wochen müssten die Lkw nun Herne verlassen, um in die Heimat zurück zu fahren. Das sind pro einfache Tour und legal nach den Sozialvorschriften gut vier Tage Fahrt. Eigene Auflieger haben sie dafür nicht. Dann, so sieht es das Mobilitätspaket ebenfalls nach den Plänen von Rat und Parlament vor, soll eine sehr komplizierte „Cooling-Off-Phase“ von bis zu 60 Stunden folgen, auf die ich an anderer Stelle eingehen werde. Es würde hier den Rahmen sprengen. Danach darf der bulgarische Lkw also wieder zurück, an seinen Standort in Herne. Dort fehlt seine Kapazität also mindestens eine gute Woche. Wenn nicht sogar bis zu zehn Tage. Es ist mir natürlich vollkommen klar, dass die Rückkehrpflicht in Deutschland – und zwar sehr protektionistisch – den Wettbewerb im KV über den Preis fairer machen soll. Doch so führt er zunächst ins Chaos.

Auch beispielsweise der in Norditalien fest stationierte litauische Lkw, der auf der Gegenseite des KV von Herne einen Auflieger zur Bahn bringt, müsste natürlich alle vier Wochen eine Tour nach Hause machen. Und das ausgerechnet über den österreichischen Brenner, wo das Bundesland Tirol gerade mit allen Mitteln versucht, die Transitfahrten auf die Bahn zu zwingen.

Erstens wird es für die Massen an osteuropäischen Lkw, die alle vier Wochen nach Hause müssen, keine Rückladungen geben. So viele potentielle Konsumgüter oder Maschinen kann der Osten gar nicht verkraften. Große Flotten wie Girteka oder die anderen bekannten Litauer, die hierzulande bereits im Nahverkehr für Amazon unterwegs sind, können das vielleicht noch abfedern. Vielleicht auch die grenznahen Firmen aus Polen und Tschechien. Die kleinen Unternehmen nicht. Sollten sie zudem mangels Fracht gezwungen sein, sogar leer nach Hause zu fahren, was dem eigentlichen Ziel der EU-Kommission, Leerfahrten doch zu vermeiden, komplett wiederspricht, wird in diesen Ländern binnen kurzer Zeit eine massive Pleitewelle folgen. Auch im Osten dürfte der Gewinn aus Transporten kaum die hier bekannten ein bis zwei Prozent Marge überschreiten.

Keine deutschen Kapazitäten am Markt

Nun müsste sich der deutsche „Brummi“ darüber natürlich freuen, denn auf einen Schlag gibt es mehr Frachten im Segment des KV – und mangels Masse der fehlenden Billigwettbewerber steigen hierzulande schnell die Preise. Aber auf Grund des brutalen Fahrermangels, der in Deutschland auf Grund der Altersstruktur der Fahrer noch weiter steigen wird, sind diese Touren schlicht und einfach nicht zu ersetzen.

Dass all die arbeitslos gewordenen Fahrer aus Osteuropa dann in Deutschland eine Stelle suchen, wage ich zu bezweifeln. Die Arbeitsplätze, die die Parlamentarier mit Billigung der Gewerkschaften hierzulande schützen wollen, würden sie also zum Teil im Ausland vernichten. Es ist kaum zu erwarten, dass all diese Fahrer nun nach Deutschland übersiedeln, um bei deutschen Firmen zu arbeiten.

Hinzu kommt, dass nun geplant ist, den Vor- und Nachlauf des KV ebenfalls als Kabotage zu definieren. Was ebenfalls zu eheblichen Engpässen führt. Das zeigt sich beim Transport von leeren Containern in den deutschen Binnenhäfen. Diese Fahrten sind bereits Kabotage. Und die deutschen Logistiker in den Binnenhäfen klagen schon heute, dass sie für diese vielen Leerfahrten keine deutschen Frachtführer mehr finden. Also riskieren sie illegale Leerfahrten mit osteuropäischen Frachtführern, solange das BAG wohl nicht allzu konsequent kontrolliert. Kommt die Rückkehrpflicht, fallen auch diese Touren komplett ins Wasser. Ich lehne mich wahrscheinlich nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn ich schreibe, dass der KV so in Deutschland zwar nicht gleich total zusammenbricht, seiner Aufgabe zur Entlastung der Straße aber definitiv nicht mehr gerecht wird.

Alles bitte noch einmal überdenken

Meine Leser können sich gerne ausmalen, was die Rückkehrpflicht für andere Segmente der internationalen Logistik, wie etwa für die Automobilindustrie, bedeutet. Der drohende Mangel an Kapazitäten trifft auf eine exportorientierte Wirtschaftsnation, die auf dem Weg in eine Rezession ist. Schon jetzt, so habe ich auf der NUFAM gehört, ist der reine Planentransport für viele Transportunternehmen hoch defizitär, die Planenauflieger der deutschen Hersteller sind derzeit kaum gefragt. Die Illusion, dass durch den temporären Wegfall der ungeliebten Billigkonkurrenz aus Osteuropa hier die Frachtraten wieder steigen, ist eine Sache.

Der Ansatz im geplanten Entsendegesetz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“, den vor allem die Gewerkschaften einfordern, ist natürlich eine tolle Sache und sollte auch konsequent umgesetzt werden. Aber wenn der „gleiche Ort“, nämlich der Lkw, mit dem der osteuropäische Fahrer in Deutschland unterwegs, eben nicht mehr hierzulande vor Ort ist, dann nützt das niemandem, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, hier eigene Lkw-Kapazitäten entgegenzusetzen. Unter dieser Prämisse droht nur ein makroökonomisches Desaster. Da hilft dann in ein paar Jahren auch kein Urteil des EuGH.

Mobilitätspaket zum Scheitern verurteilt

Wie wir in unserer Serie im FERNFAHRER aufgezeigt haben, sind eigentlich in Brüssel noch so viele Unklarheiten in den bisherigen Positionen der Trilog-Unterhändler, dass es wahrlich nicht reicht, an drei Tagen zur Kaffeezeit die bislang mühsam erarbeiteten Kompromisse einfach gegenseitig abzunicken, um endlich zu einem Ergebnis zu kommen. Es müssten endlich Pragmatiker aus der Wirtschaft mit an den Verhandlungstisch, um das offensichtlich drohende makroökonomische Desaster, für das die Brüsseler Politik am Ende keine Verantwortung übernehmen wird, doch noch zu verhindern – und trotzdem einen faireren Wettbewerb zu gestalten.

Die einfachste Lösung wären dazu festgelegte Mindestraten bei den Frachtpreisen. Die hat die EU vor vielen Jahren für den freien Binnenmarkt gekippt. Durch eine inkonsequente Kosmetik über die Arbeitsbedingungen und Sozialstandards der Fahrer allein wird es keine Lösung geben. Das Mobilitätspaket in dieser Form ist zum Scheitern verurteilt. Das wird leider erst klar, wenn es greift.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
Experte für Flottenmanagement und angewandte Mobilitätsangebote Rolf Lübke Mobilität, Fuhrpark (inkl. Wasserstoff-Expertise)
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