Verhandlungen zum Mobilitätspaket Osteuropa spielt auf Zeit

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Anfang Oktober sollen in Brüssel nun endlich die Verhandlungen im „Trilog“ zum Mobilitätspaket beginnen. Derweil greifen osteuropäische Parlamentarier mit einem bislang noch nicht genutzten Artikel der parlamentarischen Geschäftsordnung noch einmal tief in die Trickkiste.

Der globalisierten Welt drohen unter der Ägide von US-Präsident Donald Trump wieder Handelskriege, in den Industrienationen verschärft sich der Konflikt zwischen weiterem Wachstum und der Einhaltung der Klimaziele, der britische Premierminister Boris Johnson will im Husarenstreich die Demokratie aushebeln. Europaweit erstarken rechtspopulistische Parteien. Europa an sich steht vor einer schweren Zerreißprobe. Nur bei der Haltung zum Brexit, das ist die gute Nachricht, zeigt sich die Union der noch 28 Länder immerhin recht konsequent als eine Einheit.

Unter allen diesen sich täglich überschlagenden Nachrichten geht dabei für die breite Öffentlichkeit, die das allerdings auch nur am Rande interessiert, vollkommen unter, dass in Brüssel immer noch eine für die Logistik extrem wichtige Entscheidung ansteht. Die hat das alte europäische Parlament vor den Neuwahlen im Mai noch auf den Weg gebracht – der sogenannte „Trilog“ zum ersten Mobilitätspaket. Das Paket soll mehr Fairness im Wettbewerb und weniger Sozialdumping in den nach Prognosen weiter wachsenden Güterverkehr auf der Straße bringen.

Verhandlungspositionen stehen fest

Die Vorschläge der EU-Kommission stehen schon seit Mai 2017 fest. Der Europäische Rat der Verkehrsminister hat sich mit einer eigenen Abstimmung bereits Ende des letzten Jahres zum großen Teil im Sinne der sogenannten nord-westeuropäischen „Road Alliance“ ebenfalls positioniert. Schließlich hat sich auch das EU-Parlament, nach ersten Versuchen vor allem osteuropäischer Politiker, die Abstimmung auszubremsen vor der Neuwahl am Ende noch durchgerungen. In einer Serie des Magazins FERNFAHRER habe ich zusammen mit Götz Bopp von der Industrie- und Handelskammer der Region Stuttgart die jeweils drei Verhandlungspositionen gegenüber gestellt.

Sie hier noch einmal einzeln vorzustellen, würde den Rahmen des Blogs sprengen. Ich verweise daher auf die Links zu den Artikeln, die wir bisher bereits online gestellt haben: zur regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit; zur regelmäßigen Heimkehr von Fahrer und Lkw; zur geplanten Flexibilisierung der Lenkzeitenzur geplanten Genehmigungspflicht für Transporter, soeben im neuen FERNFAHRER Heft 10/2019 erschienen, und, für Digital-Abonnenten bereits als Vorgriff auf Heft 11/2019, zur Kabotage, aufgezeichnet am Beispiel des litauischen Logistikriesen Girteka und dessen innerdeutschen Nahverkehrstouren für Amazon.

Verhandlungsführer im Trilog stehen fest

Auch steht bereits fest, wer nun die Verhandlungen im Trilog führen soll. Da ist auf der einen Seite die Initiatorin der Gesetzesvorschläge, die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, die das Ende ihrer umstrittenen Amtszeit gerne mit einem Erfolg krönen würde. Für das EU-Parlament treten an: neben dem bewehrten Deutschen Ismail Ertug (SPD), der für den Bereich Marktzugang und Kabotage zuständig ist, verantwortet ab sofort die Tschechin Katarina Konecna (Linke) das Thema der Entsendung, die Finnin Henna Virkkunen (EVP) die Lenk- und Ruhezeiten. Die neue finnische Verkehrsministerin Sanna Marin ist zugleich Vorsitzende des EU-Rates. Die EU wäre allerdings nicht die EU, wenn es damit erledigt wäre. Denn das potentielle Ergebnis des „Trilogs“ muss dann wiederum im nun neu gewählten Parlament und im Rat erst noch eine Zustimmung finden. Nach dem bisherigen Zeitplan sollten die ersten Verhandlungen im „Trilog“ Anfang Oktober beginnen.

Geschäftsmodell der osteuropäischen Großflotten in Gefahr

Neutral betrachtet ist für mich das geplante Mobilitätspaket in weiten Teilen ein Versuch, unter dem Druck der westeuropäischen Gewerkschaften und Verbände, die bisherigen, für die ost- und vor allem südosteuropäischen Fahrer - nach westlichen Standards - unsozialen Arbeits- und Lebensbedingungen zu beenden. Die Gegenseite wirft, ebenso nachvollziehbar, immer wieder den Vorwurf des versuchten Protektionismus in einem freien Binnenmarkt in den Ring. Allein die Tatsache, dass nun Fahrer und Lkw alle vier Wochen nach Hause fahren müssen, wäre ein schwerer Schlag in die Geschäftspraktiken ebenjener großen Flotten wie Girteka und Hegelmann, die mittlerweile auf Grund des Fahrermangels in Osteuropa immer öfter auf Fahrer aus der Ukraine und Weißrussland zurückgreifen müssen. Mit allen sozialen Problemen, die sich grundsätzlich dahinter verbergen – wie etwa der steigenden Gefahr durch alkoholisierte Lkw-Fahrer.

Besonders hart würde es zudem die osteuropäischen Unternehmen treffen, die derzeit in Deutschland als Frachtführer für westeuropäische Logistikkonzerne in den Terminals des Kombinierten Verkehrs oder Binnenhäfen wie Duisburg fest stationiert sind. Das massive Sozialdumping, dass sich dort seit Jahren etabliert hat, würde, jedenfalls in der Theorie, eingeschränkt, sollte sich der Plan durchsetzen, den Vor- und Nachlauf eines Sattelaufliegers nicht mehr wie bisher als Teil eines durchgehenden internationalen Transports sondern jeweils als rein nationalen Transport zu bestimmen.

Osteuropäer spielen auf Zeit

Kein Wunder also, dass derzeit im Verkehrsausschuss Fraktionen wie die Europäische Konservative und Reformer (EKR) mit ihrem lettischen Koordinator und die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) mit ihrem rumänischen Koordinator versuchen, den Druck ihrer eigenen Lobbyverbände, das Mobilitätspaket immer noch zum Scheitern zu bringen, nun in Brüssel noch einmal auszuspielen. Aus dem Büro des deutschen EU-Politikers Ismail Ertug (SPD) heißt es dazu: „Die Gegner des Mobilitätspaketes, also vornehmlich aus Südosteuropa und der europäischen Peripherie, wollen einen bisher noch nicht genutzten Artikel der parlamentarischen Geschäftsordnung nutzen und die Kommission auffordern, dem Parlament und dem Rat einen neuen Vorschlag zu unterbreiten. Die Kommission hat mehrfach betont, dass sie dies allerdings nicht in Betracht zieht. Dieser Geschäftsordnungstrick würde eine Einigung weiter verzögern.“

Bei diesem bewussten Spiel auf Zeit setzen die Osteuropäer auch darauf, dass die nächste Verkehrskommissarin sehr wahrscheinlich wieder aus Osteuropa kommt. Wie auch immer: Bereits am 23. und 24. September tagt der Verkehrsausschuss erstmals in seiner neuen Zusammensetzung. Es bedarf also für die Befürworter des Mobilitätspaketes noch sehr viel Überzeugungskraft, trotz der Widerstände eine Mehrheit zu sichern, um endlich das Mandat zu bekommen, mit dem Rat im „Trilog“ in Verhandlungen zu treten. Violeta Bulc, so heißt es, soll jedenfalls auf einen Abschluss drängen.

Kein Plan B - nirgends

Wie auch immer die Verhandlungen am Ende ausgehen, es gibt nirgendwo einen Plan B für den Fall, dass das Mobilitätspaket in weiten Teilen tatsächlich auch angenommen wird. Osteuropäische Lkw-Flotten sind, das habe ich bereits im März 2018 für die Friedrich-Ebert-Stiftung geschrieben, mittlerweile ein fester Bestandteil der internationalen Logistik geworden. Die möglicherweise bald fehlenden Laderaumkapazitäten können beim akuten und weiter drohenden Fahrermangel deutscher Frachtführer nie und nimmer durch eigene Flotten ausgeglichen werden. Auch nützen, aber das ist eigentlich ein alter Hut, die besten neuen Gesetze nichts, wenn sich nicht konsequent kontrolliert werden.

Vor allem aus Mangel an personellen Kapazitäten haben es weder das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) noch die Polizei der Bundesländer seit September 2017 geschafft, etwa das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, so konsequent zu kontrollieren, dass solche Zustände wie in Herne oder Duisburg überhaupt möglich wurden. Meine Befürchtung: Bei einer sich derzeit abzeichnenden Rezession in Deutschland würde der Wettbewerb über den Frachtpreis wahrscheinlich mit noch härteren Bandagen geführt. Selbst wenn die Fahrer aus Osteuropa bis dahin dann den jeweils geltenden Mindestlohn bekommen sollen. Damit lägen sie immer noch deutlich unter dem Lohn und den Lohnnebenkosten, die etwa deutsche Unternehmen mittlerweile aufbringen müssen. Der Versorgungsengpass, der sich heute schon in Teilen der Logistik abzeichnet, würde wohl erst recht eintreten. Ob es mit dem Mobilitätspaket gelingt, diesen gordischen Knoten dauerhaft zu lösen, bleibt abzuwarten. Weiter hinzunehmen sind die aktuellen Zustände jedenfalls nicht.

Terminhinweis:

Auf der Fachmesse NUFAM in Karlsruhe bin ich am Sonntag, dem 29.09.2019 ab 14 Uhr, im Truck Driver Forum in der Auktionshalle Gast einer hoffentlich spannenden Podiumsdiskussion zum Mobilitätspaket. Bis dahin sollte die Entscheidung, ob es nun das Mandat gibt, im Verkehrsausschuss in Brüssel hoffentlich gefallen sein.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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