Rechtsabbiegeverbot für Lkw Endlich Rückgrat zeigen

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Zwei Großstädte, München und Wien, spielen mit dem Gedanken, dass Lkw ohne Abbiegeassistenten nicht mehr rechts abbiegen dürfen. Das führt zu vorhersehbarem Chaos. Es wird Zeit für die Logistikverbände, sich öffentlichkeitswirksam und energisch gegen das wachsende „Feindbild Lkw“ zu positionieren.

Der Münchner Großmarkt liegt im Stadtteil Sendling, nur wenige Hundert Meter vom Mittleren Ring entfernt. In diesen münden die Autobahnen aus allen Richtungen. Täglich wird der Großmarkt ab den frühen Morgenstunden von Hunderten Lkw aus vielen Ländern mit Obst und Gemüse beliefert. Nach der Entladung gelangen die Fahrer wieder über den Mittleren Ring zu den meist außerhalb Münchens gelegenen Rückladestellen.

Geht es nach dem Willen der SPD, die Bayerns Hauptstadt seit Jahrzehnten regiert, müssen all diese Lkw in Zukunft links auf die Schäftlarnstraße abbiegen. Dann stranden sie entweder an der Isar oder im Zentrum. Da sie dort weiter nur geradeaus fahren oder links abbiegen dürfen, ist das Chaos programmiert. Und spätestens, wenn die Verbraucher in der Millionenmetropole feststellen, dass ihr bevorzugter Lebensmitteladen durch eine ungünstige Rechts-Rechts-Kombination gar nicht mehr für Lastwagen zu erreichen ist, wird unweigerlich die Frage aufkommen: Was soll das?!

Münchener SPD: nur noch links oder geradeaus

Gut, meine Schilderung mag etwas überspitzt sein, aber sie basiert auf einer realen Überlegung der Münchner SPD zu einem Rechtsabbiegeverbot für Lkw.

Konkret: Die SPD-Fraktion im Münchner Rathaus hat den Oberbürgermeister gebeten, sich beim Deutschen Städtetag, bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sowie beim Gesetzgeber dafür einzusetzen, schnellstmöglich die rechtlichen Voraussetzungen für ein Rechtsabbiegeverbot für Lkw ohne Abbiegeassistenten zu schaffen.

Nationaler Alleingang beim Abbiegeassistenten

Ob sich eine Kommune oder eine Stadt allein über die geltende Straßenverkehrsordnung, nach der Lkw zweifelsohne (falls es nicht durch eine Beschilderung an bestimmten Stellen konkret verboten ist) rechts abbiegen dürfen, hinwegsetzten kann, wird sicher juristisch geprüft. Die SPD will vor allem Druck aufbauen, dass baldmöglichst mehr Abbiegeassistenten freiwillig verbaut werden. Dazu wird SPD-Stadtrat Christian Vorländer, sicherheitspolitischer Sprecher und Initiator des Antrags, zitiert: „Eine Umsetzung durch die EU liegt noch in viel zu weiter Ferne! Es gab in einem Jahr drei schwere, davon einen tödlichen Unfall, die mit einem Abbiegeassistenten – oder einem Rechtsabbiegeverbot – hätten verhindert werden können."

Tödlicher Unfall als Argument

Das ist sicher richtig – aber eine einseitige Schuldzuweisung. Anlass für die Forderung war der tragische Unfall am Münchener Hauptbahnhof. Also just einer dieser Unfälle beim Rechtsabbiegen, bei der selbst die Polizei der verstorbenen Radfahrerin attestierte, sie hätte den Unfall selbst vermeiden können, wenn sie nicht am haltenden Lkw vorbeigefahren wäre und sich genau vor ihn gestellt hätte. Was den Fahrer selbstverständlich nicht von seiner Aufmerksamkeitspflicht entbindet. Gleichwohl ruft Polizeihauptkommissar Michael Reisch in einem Video, das auf Twitter veröffentlicht wurde, zu mehr Rücksicht und Vernunft beider Verkehrsteilnehmer – Lkw- UND Radfahrer – auf.

Es ist, auch wenn ich mich vielleicht wiederhole, derselbe Appell, den ich in meinem Film „Augen Blicke" an die Radfahrer richte: Es ist Euer Leben! Passt besser auf im Straßenverkehr! Auf der NUFAM in Karlsruhe habe ich genau darüber nicht nur mit der Rüdiger Heiler von der Verkehrspolizei Karlsruhe, sondern auch mit Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg e.V., diskutiert. Tenor: Was nützt mir die Vorfahrt, wenn ich sie „rücksichtslos“, also ohne den Blick auf den stärkeren Verkehrsteilnehmer, in Anspruch nehme und dann unter dem Lkw lande?!

Erschreckende Sorglosigkeit

An die Vernunft der erwachsenen Radfahrerinnen und Radfahrer zu appellieren, ist eine Sache. Vor allem der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hat mit seiner permanenten Forderung nach mehr Rechten für Radfahrer eine Selbstüberschätzung dieser Zielgruppe befördert, die dazu führt, dass selbst die Berliner Polizei anlässlich einer Kontrolle im April warnend schreiben musste: „An vielen Kontrollorten war die Feststellung erschreckend, wie sorglos und leichtfertig Radfahrende die Fahrbahn selbst unmittelbar vor abbiegenden Lkw queren – in Anbetracht der hohen Selbstgefährdung mehr als unverständlich. Die Polizei Berlin rät deshalb eindringlich, sich an Kreuzungen und Einmündungen besonders sensibel zu verhalten, möglichst Blickkontakt zu den Abbiegenden aufzunehmen, das stark eingeschränkte Sichtfeld bei Lkw zu berücksichtigen und im Zweifelsfall lieber auf den eigenen Vorrang zu verzichten. Kraftfahrzeugführende sollten bereits im Vorfeld des beabsichtigten Abbiegevorganges aufmerksam auf den parallelen Radfahrverkehr achten und im Moment des Abbiegens bremsbereit und sorgfältig Rückschau halten.“

Unfälle mit Kindern ausgenommen

Allerdings: Unfälle mit Kindern, das macht die Sache kompliziert, sind davon ausgenommen. Ihnen fehlt oft noch die Einschätzung der Gefahr. Während ich diesen Blog schreibe, läuft im Radio die Meldung, dass ein elfjähriges Mädchen in Leverkusen von einem Lkw überrollt und tödlich verletzt wurde. Warum der Fahrer das Kind übersehen hat, wird vom Unfallanalyseteam der Kölner Polizei ermittelt. Dass das junge Mädchen die potentielle Gefahr des Lkw, der von einer Tankstelle links auf die Straße fuhr, um danach rechts abzubiegen, erkannt hat, darf bezweifelt werden.

Tragisch war auch ein Unfall mit einem achtjährigen Jungen in Köln-Widdersdorf, der mit seinem Rädchen auf dem Bürgersteig blind seinem vorausradelenden Vater gefolgt war. Erst in einem aufsehenerregenden Prozess konnte bewiesen werden, dass der Fahrer des Econic-Müllwagens den Jungen definitiv nicht sehen konnte. Mittlerweile hat dessen Arbeitgeber, die AWB, beschlossen, alle 115 Müllsammelfahrzeuge mit dem reinen Kamerasystem Birdview nachzurüsten – ganz ohne Fördergelder. In der medialen Nachbetrachtung derartiger Unfälle geht das in der Regel unter.

Fixierung auf die technische Lösung

Und so hat sich in den letzten Monaten eine für mich doch etwas unglückliche Diskussion entwickelt. Vor allem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will den Abbiegeassistenten früher als möglich, also 2024, auf freiwilliger Basis einführen, die zehn Millionen Euro, die er dafür zur Verfügung gestellt, hat, sind bereits gebunden – aber nur zu einem Bruchteil auch im Straßenverkehr sichtbar. Nun hat er sich einen genialen Coup einfallen lassen, und will sie bei Lang-Lkw bereits verpflichtend einführen, jenen Fahrzeugkombinationen also, für die in der Regel die Innenstädte verboten sind. Deren Halter müssen die Assistenten nun also wieder aus eigener Tasche bezahlen.

Durch diese Fixierung auf die rein technische Lösung und die ewige Betonung, dass die Transportunternehmen, die das nicht täten, unverantwortliche Zeitgenossen wären, die bei jeder Fahrt das Leben der innerstädtischen Bevölkerung mutwillig aufs Spiel setzten, gerät auch die Logistik selbst bei jedem Unfall negativ in die Schlagzeilen – und hat dem derzeit nichts entgegenzusetzen. Das geplante Rechtsabbiegeverbot trifft nämlich auf eine ebenfalls besorgniserregende Debatte, die sich mir immer wieder sonntags im inneren Kölner Grüngürtel zeigt, wenn schwer bepackte Lastenfahrräder mit Kindersitzen Aufkleber tragen mit der eindeutigen Botschaft: Lkw raus aus der Stadt.

Ein Radfahrerverband dominiert die Lkw-Debatte

Diese Diskrepanz, mehr Assistenten oder besser aufpassen, taucht allerdings in keiner öffentlichen Debatte auf. Die Verbände der Logistik, die doch so sehr um ihr gutes Image bemüht sind, haben sich in der Frage der Deutungshoheit über Radfahrerunfälle vom kleinen ADFC längst den Schneid abkaufen lassen. In diesem vergifteten Klima ist zu beobachten, dass das Transportgewerbe mittlerweile eine vollkommen unterwürfige Haltung einnimmt und sich wahrscheinlich auch noch diesem drohenden Rechtsabbiegeverbot in München klaglos beugen wird – sollte es denn umgesetzt werden.

Derweil laufen die Lkw-Fahrer in den sozialen Medien Sturm, weil sie in den immer komplexer werdenden Situationen im Stadtverkehr nicht noch weiter drangsaliert werden wollen. Sie fühlen sich im Stich gelassen – sind sie es doch, die nach einem derartigen Unfall immer auf der Anklagebank landen.

Mehr Öffentlichkeitsarbeit für die Logistik tut not

Daher mein Appell an die Kommunikationsprofis der Verbände: Fordert die Politiker in den Städten und Kommunen auf, ihre Bürger aufzuklären: „Wir sind es, die Eure Waren bringen. Dafür müssen wir in Eure Städte. Und wir verlangen von Euch, dass Ihr auch auf unsere Lkw und deren Fahrer Rücksicht nehmt, wenn Ihr an einer roten Ampel auf Grün wartet. Rücksichtnahme ist keine Einbahnstraße. Und es ist Euer Leben, das Ihr aufs Spiel setzt, wenn Ihr einfach blind, taub und rechthaberisch drauflos fahrt.“

Links, vorwärts, rückwärts - ein Probetag in München

Jeder weiß, politische Streiks sind in Deutschland verboten. Aber Sie, liebe Verbände, lassen sich von diesem grünen innerstädtischen Bürgertum an der Nase über die Radwege führen. Warum machen Sie nicht mal einen Tag des Rechtsabbiegeverbots und demonstrieren das zu erwartende Chaos?! Fahren Sie nur links, vorwärts oder rückwärts. Konkret: Warum zeigen Sie nicht einmal, wenn Lkw-Fahrer nicht mehr rechts abbiegen dürfen, dann kommen sie einfach gar nicht mehr in die Stadt? Dann können die Lkw-Gegner mir ihren Lastenrädern im Regen zu den Lagern des Einzelhandels fahren und ihr Zeug selber abholen. Vergessen Sie einmal die Angst vor den Auftraggebern, beweisen Sie einmal, dass es mehr gibt als nur launige Sprüche auf dem Heck der Laster à la „Wenn wir nicht kommen, dann bliebt der Kühlschrank leer.“!

Zeigen Sie der saturierten urbanen Bevölkerung einmal, was passiert. Gerne mit einem Brummi auf dem Heckportal: „Liebe Verbraucher, laut eines Vorschlags Ihrer Münchener SPD sollen wir in Zukunft nicht mehr rechts abbiegen dürfen. Es tut uns herzlich leid, wenn wir dadurch ihren bevorzugten Lebensmittelladen nicht mehr beliefern können. Suchen Sie sich besser schon heute einen Laden, den wir mit links erreichen. Ihre Logistik.“

Das wäre Rückgrat statt Rückrad.

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