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Dumpingverdacht auch in Deutschland? Kontrollbehörden ermitteln bei NTG

Skandal um Kurt Beier weitet sich aus: Das gleiche Ausbeutungsmodell nutzt die dänische Firma, um Menschen im Auftrag der deutschen Firma NTG Logistics arbeiten zu lassen.
Foto: Faire Mobilität 4 Bilder

Der Skandal um die philippinischen Lkw-Fahrer des dänischen Transportunternehmens Kurt Beier weitet sich aus. Nun haben BAG, Polizei und Zoll auch die Situation beim Auftraggeber bei NTG Logistics in Ense unter die Lupe genommen.

Bereits am Montag hat eurotransport.de darüber berichtet, dass beim dänischen Unternehmen Kurt Beier Transport aus Padborg, Lkw-Fahrer von den Philippinen unter erschreckenden Arbeitsbedingungen beschäftigt waren. Mittlerweile soll man den neun betroffenen Fahrern immerhin eine Hotelunterkunft besorgt haben. Nun hat sich der Skandal auch nach Deutschland ausgeweitet. Mitarbeiter der niederländischen Gewerkschaft FNV und des DGB-Projekts „Faire Mobilität“ betreuen derzeit 16 philippinische Fahrer, die bei NTG Logistics in Ense nach demselben Modell beschäftigt sein sollen. Sie saßen seit Samstag auf dem Betriebsgelände fest. Beamte von Bundesamt für Güterverkehr (BAG), Polizei und Zoll waren bereits vor Ort. Zunächst haben erst zwei der Fahrer ihren Dienst im Lkw wieder aufgenommen.

Schwere Vorwürfe der Gewerkschaften

Weil diese Fahrer bisher in Europa während ihrer gesamten Beschäftigung noch nie einen festen Wohnsitz oder eine Unterkunft außerhalb des Lkw hatten, so der massive Vorwurf der beiden Gewerkschaften, „mussten sie sich auf dem Parkplatz des Betriebsgeländes aufhalten und waren unter Kontrolle desjenigen Arbeitgebers, gegen denen laut Gewerkschaft in zwei Ländern wegen Menschenhandels ermittelt wird. Ein Fahrer war rund 18 Monate im Lkw unterwegs.“

Die Vorwürfe im Einzelnen: Die Fahrer wurden unter Vortäuschung falscher Tatsachen auf den Philippinen angeworben. Sie mussten hohe Summen ausgeben, damit der Recruiter der dänischen Firma ihnen scheinlegale Papiere in Polen besorgen konnte. Die Fahrer haben einen Arbeitsvertrag in Polen unterschrieben, bei einer Briefkastenfirma der dänischen Firma Kurt Beier. Ansonsten haben sie keinen Bezug zu Polen und arbeiten auch nie dort, sondern lediglich in Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Belgien. Sie leben bis zu 18 Monate im Lkw, haben keinen anderen Zufluchtsort und verbringen auch ihre langen Wochenendruhezeiten illegalerweise im Lkw. Sie werden zu Mehrarbeit angehalten, die zu Überschreitungen der Lenk- und Ruhezeiten führen.

Das BAG sprach davon, dass es hohe Strafen geben könnte. Für einen Fahrer hat der DGB eine Lohnkalkulation gemacht – er hätte für seine reine Arbeitszeit einen Mindestlohnanspruch auf etwa 2.300 Euro, hat aber nur 1.000 Euro erhalten. Das Unternehmen hat sich kurzfristig nicht zur schriftlichen Anfrage geäußert, distanziert sich telefonisch gegenüber eurotransport.de aber von den Praktiken bei Kurt Beier.

Intervention durch die Behörden

„Obwohl seit Sonntag eine Intervention der Polizei, des Zolls, BAG, des Ordnungsamts, der philippinischen Botschaft und der Ausländerbehörde läuft“, so berichtet Michael Wahl von „Faire Mobilität“ vor Ort, „haben es die Behörden noch nicht geschafft, ihnen Schutzrechte einzugestehen oder für eine sichere Unterkunft außerhalb der extrem angespannten Situation zu sorgen. Nach Prüfung ihrer Papiere wurde ihnen gestern daher erlaubt, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Das ist skandalös, denn die Fahrer befinden sich weiterhin in der extremen Zwangssituation, die sich durch die Ermittlungen weiter verschärft hat.“

All diese Hinweise reichen laut Auffassung der Gewerkschaften aus, dass die Straftatbestände Menschenhandel (§ 232 StGB), Zwangsarbeit (§232b StGB) sowie Ausbeutung der Arbeitskraft (§233 StGB) erfüllt sind. Edwin Atema hat daher bereits gegen Kurt Beier, NTG und die Tochterfirma von Kurt Beier in Polen, HBT Internationale Transporte in Warschau, Strafanzeige erstattet. Für Wahl unfassbar: „Am Dienstag haben die Behörden den Fahrern mitgeteilt, dass alle ihre Papiere in Ordnung sind. Daher sehen die Behörden keine Handhabe, den Fahrern die Weiterfahrt zu verbieten.“

Bedenken gegen die Vorgehensweise

Aus Sicht der Gewerkschaften sei das aus mehreren Gründen nicht die angemessene Vorgehensweise:

- die Ausländerbehörde hat unserer Einschätzung nach auf Grund von §59 Aufenthaltsgesetz klar die Möglichkeit, den Beschäftigten Schutz durch eine Bedenkfrist zu gewähren (mehr zum § unten)

- die Fahrer haben seit Monaten keine 45 Stunden Pause außerhalb ihres Lkw verbracht, allein deswegen müssten sie endlich eine Bleibe außerhalb der immer noch auf dem Betriebsgelände stehenden Lkw bekommen, um sich vernünftig ausruhen zu können. Das BAG weiß um die Verstöße, hat auch signalisiert, hohe Bußgelder zu verhängen. Dennoch habe man keine Handhabe, die Weiterfahrt aus Gründen der Verkehrssicherheit zu verhindern. Das ist nach Rücksprache mit dem BAG tatsächlich der Fall.

- die Fahrer stehen unter enormem Stress. Sie werden seit drei Tagen von Polizei, BAG und anderen Behörden belagert. Neben der illegal im Lkw verbrachten Ruhepausen sei es auch nach einer solchen Stresssituation in Bezug auf die Verkehrssicherheit vollkommen unverantwortlich, die Menschen wieder zurück an ihre Arbeit zu lassen

Aufklärung über die Arbeitsrechte

„Wir möchten die Fahrer über ihre Arbeitsrechte aufklären und sie unterstützen, zumindest ihren gerechten Lohn zu bekommen“, so Michael Wahl. „Um sie aus der Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung zu befreien, brauchen wir aber die Hilfe der Behörden. Sie haben unserer Einschätzung nach alle Möglichkeiten, für die Menschen zumindest für einen sicheren Aufenthalt zu sorgen und ihnen zu Sozialleistungen zu verhelfen. Im Moment sehen wir nicht, dass die Behörden diese Möglichkeiten nutzen – im Übrigen anders als im zweiten Fall in Dänemark und den Niederlanden, wo inzwischen neun Fahrer von den Philippinen nach Intervention der Gewerkschaften unter Schutz stehen, die von der gleichen Firma und nach dem gleichen Muster ausgebeutet wurden.“

Vor einer schriftlichen Stellungnahme äußert sich Rüdiger Senger, einer der beiden Geschätsfüher von NTG, per Telefon zu den Vorwürfen: Kurt Beier sei lediglich ein Frachtführer für die Touren der NTG vornehmlich nach Südeuropa, die oft mit zwei Fahren im Rahmen der bestehenden Gesetze abgewickelt würden. Man distanziere sich ausdrücklich von den Praktiken bei Kurt Beier und habe die Geschäftsbeziehung beendet.

Der genaue Wortlaut der schriftlichen Stellungnahme: "Hiermit möchten wir Ihnen mitteilen, dass die unten getroffenen Aussagen in keiner Weise stimmen. Unser Herr Senger hat sie hierzu bereits telefonisch kontaktiert. Wir als NTG beschäftigen keine Fahrer. Die Firma Kurt Beier in Dänemark ist einer von zig Subunternehmern, die für uns fahren. Die Firma Kurt Beier zieht unsere Auflieger für unsere internationalen Transportrelationen u.a. Spanien, Italien, Dänemark. Da diese Linien Zeit getaktet sind werden hier Zugmaschinen mit zwei Fahrern Besatzungen benötigt.

Die Nationalitäten der Fahrer sind uns teilweise überhaupt nicht bekannt. Die Kommunikation führen wir komplett mit der dänischen Firma. Wir haben alle nötigen Unterlagen wie Milog, Versicherungsnachweise, Code of Conduct der Firma Kurt Beier vorliegen. Die Firma in Polen ist uns nicht bekannt. Die vertragliche Vereinbarung mit der Firma Kurt Beier ist bereits zum nächstmöglichen Termin gekündigt. Wir sehen davon ab mit Kurt Beier weiterhin zu arbeiten, bis dieser Vorfall gründlichst geklärt ist. Gleichlautende Aussagen zu diesem Vorfall haben wir gegenüber dem BAG, der Polizei, dem philippinischem Konsulat und weiteren Behörden getätigt."

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