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Dachser-Studie zu Wasserstoff Lohnt sich die eigene Produktion?

„Crowd Oil“ Foto: KIT/Anne Behrendt

Der Straßentransport braucht dringend eine bessere Umweltbilanz, Dekarbonisierung ist angesagt, und Wasserstoff gilt als Hoffnungsträger. Logistikdienstleister Dachser hat hierzu eine Studie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse sind eher ernüchternd.

Auf der Suche nach einem sauberen Kraftstoff für die Zukunft testet Dachser 2023 nicht nur zwei Lkw mit Wasserstoff-Brennstoffzelle. Das Unternehmen hat auch eine Studie „H2 Infrastruktur und Logistik“ in Auftrag gegeben. Sie zeigt: Bei allem Optimismus bleiben große Herausforderungen und Ungewissheiten auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

Günstige Standorte für H2-Lkw

Die Hochschule Kempten sollte im Auftrag von Dachser günstige Standorte für den möglichen Einsatz von Brennstoffzellen-elektrischen Lkw finden. Zu klären war, wo und wie derzeit überhaupt Wasserstoff hergestellt wird, wo H2-Lkw betankt werden können und wie diese Standorte mit Blick auf das Jahr 2025 zum Firmen-Netzwerk passen. Insgesamt wurde der Zeitraum bis 2030 betrachtet.

Lohnt sich die Eigenproduktion?

Unter der Leitung von Prof. Werner Mehr haben die Wissenschaftler des Forschungszentrums Allgäu außerdem untersucht, ob am Standort Freiburg im sonnigen Baden eine Eigenproduktion von Wasserstoff technisch und wirtschaftlich machbar ist. Die letzte Frage ist schnell beantwortet – mit einem klaren "Nein". Denn derzeit nutzt Dachser seinen mit Photovoltaik erzeugten Strom direkt intern für Maschinen, Beleuchtung oder Kühlung.

Herstellung unwirtschaftlich

Was dann noch übrigbleibt, macht in Freiburg zwischen 7.000 und 8.000 Jahrestonnen aus. „Die maximal mögliche Menge der Wasserstoff-Produktion reicht lediglich, um einen einzigen Wechselbrücken-Gliederzug im Jahr rund 80.000 Kilometer zu bewegen“, sagt Andre Kranke, der beim Unternehmen den Bereich Forschung und Entwicklung vertritt. Eine eigene Herstellung sei zwar technisch, aber derzeit nicht wirtschaftlich darstellbar, ergab die Studie. Die Erzeugungskosten von Wasserstoff sind sehr hoch, der Prozess ist mit einem signifikanten Energieverlust verbunden.

Keine konkreten Tankstellen-Pläne

Was die Tankstellen angeht, so gibt es der Untersuchung zufolge europaweit derzeit 168 öffentliche Wasserstoff-Tankstellen, die mit 700 bar aber hauptsächlich auf Pkw ausgelegt sind. Immerhin knapp die Hälfte dieser Tankstellen steht in Deutschland, aber nur an 56 Tankstellen in ganz Europa könnten Nutzfahrzeuge mit der Druckstufe 350 bar betankt werden. „Bisher gibt es keine konkreten Pläne zum Ausbau der Tankstellen-Infrastruktur für Nutzfahrzeuge in Europa“, heißt es in der Studie.

46 Dachser Standorte geeignet

Als „besonders geeignet“ für einen Betrieb von Wasserstoff-Brennstoffzellen-Lkw haben sich die vier Dachser-Standorte Hamburg, Magdeburg, Köln und Herne erwiesen. Sie erfüllen die in der Studie festgelegten drei Kriterien der maximalen Entfernung von 200 Kilometern zu einem Produktionsstandort, eine räumliche Nähe zum geplanten Pipeline-Netz „European Hydrogen Backbone“ sowie Lkw-Tankstellen in einem Radius von maximal zehn Kilometern. Insgesamt 42 Standorte gelten als geeignet, da sie die ersten beiden Punkte abdecken.

Klimaschädlich grau

Mit Tankstellen allein ist aber noch kein Schritt in Richtung Klimaschutz getan. Derzeit werden in der EU zwar pro Jahr etwa zehn Millionen Tonnen Wasserstoff hergestellt, dabei handelt es sich aber überwiegend um grauen Wasserstoff, hält die Studie fest. Das heißt im Klartext: Für die Produktion wird zu annähernd 95 Prozent fossiles Gas verwendet. Und das wird auch erst einmal so bleiben.

Nach und nach grün

„Zunächst kann aufgrund der verfügbaren Mengen nur auf grauen Wasserstoff zurückgegriffen werden. Dieser soll nach und nach durch grünen Wasserstoff ersetzt werden“, wird in der Studie ein Experte von des Technologiekonzerns Linde zitiert, die unter dem Dach von H2 Mobility Deutschland neben Air Liquide, Daimler, Hyundai, OMV, Shell und Totalenergies am Ausbau des Tankstellennetzes in Deutschland beteiligt ist.

2030 soll der Ausgleich erreicht sein

„Nach und nach“ ist ein weites Feld, zumal einige der Unternehmen durchaus Interesse haben könnten, weiterhin fossile Energieträger einzusetzen. Die EU strebt an, dass bis 2030 zu derzeit zehn Millionen Tonnen grauem Wasserstoff zehn Millionen Tonnen grüner Wasserstoff hinzukommen sollen. Dann würden sich klimazerstörerisches und klimafreundliches H2 die Waage halten. Für die künftige Produktion von grünem Wasserstoff müsse die Versorgung mit erneuerbarem Strom sichergestellt werden, so die Forscher.

Trinkwasser kontra Tank

Da Europa künftig viel mehr Wasserstoff nutzen will, muss das „grüne“ Gas importiert werden. Nordafrikanische und arabische Staaten sehen hier ein Geschäftsmodell, und die Studie hält diesen Raum langfristig für „am aussichtsreichsten“. Grundsätzlich gilt die Region aber als politisch sehr instabil, und bevor im großen Stil auf Wasserstoff-Importe gesetzt werde, müsse die EU vorher sicherstellen, „dass nicht neue und vor allem exklusive Abhängigkeiten in der Energieversorgung entstehen“, betonen die Autoren. Problematisch sei zudem, dass für die Wasserstoffproduktion Trinkwasser gebraucht werde, in Ländern „die schon heute unter einer extremen Wasserknappheit leiden“. Das Wasser für die Elektrolyse kann nur mit Anlagen zur Entsalzung von Meerwasser hergestellt werden, die selbst viel Energie fressen.

Energieintensiv verflüssigt

Während die Speicherung als Druckwasserstoff eine langjährig erprobte und marktfähige Technologie sei, ist Flüssigwasserstoff im Nutzfahrzeugbereich immer noch ein Entwicklungsthema, geht aus der Studie hervor. Für die Verflüssigung wird zudem noch einmal enorm viel Energie benötigt, weil der Wasserstoff dafür auf minus 235 Grad heruntergekühlt werden muss. Aber Flüssigwasserstoff könnte die Reichweiten auf bis zu 1.000 Kilometer in die Höhe treiben, ist die dahinterstehende Hoffnung.

Pipelines sind nicht da und teuer

Wer den Stoff als Gas transportieren will, tut das bei großen Mengen und Entfernungen am wirtschaftlichsten in einer Pipeline, haben die Wissenschaftler herausgefunden. Die Kosten hierfür seien aber hoch, und aufgrund der noch fehlenden Infrastruktur müsse der Transport zwischen Produktionsanlagen und Anwendern mittelfristig fast ausschließlich per Lkw mit Trailer erfolgen. Beim Wasserstoffantrieb müsse das Henne-Ei-Problem gelöst werden, sagt Prof. Mehr. Der Batterieelektrische Antrieb koste Nutzlast und Volumen.

Diesel zunächst unersetzlich

Kranke betont, wie wichtig es ist, Erfahrungen in der Wasserstoffanwendung zu sammeln. „Wir stehen am Anfang eines Transformationsprozesses in der Logistik.“ Die beiden neuen Lkw seien mit Reichweiten von 400 Kilometern ja noch keine wirklichen Fernverkehrsfahrzeuge, aber viele Dachser-Standorte befänden sich an der richtigen Position, „sodass wir dieser Technologie begegnen können“. Moderne Euro-6-Diesel-Lkw werden Kranke zufolge in diesem Jahrzehnt noch die wichtigsten Fahrzeuge sein. Es handele sich derzeit um die einzige in Europa flächendeckend verfügbare, umweltfreundliche Technologie.

Dacher ist technologieoffen

Der Manager zeigt sich zudem offen für den Einsatz von Oberleitungs-Lkw auf Autobahnen, bei denen der Strom direkt und ohne Umwandlungsverluste genutzt werden kann. „Wir sind auch mit Scania und Siemens in Kontakt“, sagt er. „Am Ende ist uns als Logistikern die Technologie egal, wenn Fahrzeuge und Infrastruktur einsetzbar und verfügbar sind, nutzen wir das gerne. Wir brauchen aber eine europäische Lösung.“ Beim Wasserstoff sehe man derzeit auf EU-Ebene wesentlich mehr Aktivitäten und Planungen als beim Oberleitungs-Lkw.

Studie aus Cambridge zeigt neue Probleme

Wie schwierig die Auswirkungen der Wasserstofftechnologie einzuschätzen sind, zeigt eine kürzlich erschienene Studie im Auftrag der britischen Regierung. Darin halten unter anderem Wissenschaftler der Universität Cambridge fest, dass Wasserstoff ein sehr flüchtiges Gas sei und man bislang kaum verhindern könne, dass es tonnenweise in die Umwelt gerät. In der Atmosphäre reagiert es mit anderen Gasen und kann dann schädlichere Effekte haben als CO2. Indirekt erhöht Wasserstoff danach unter anderem die Lebensdauer des stark klimaschädlichen Methans.

Wasserstoff schädlicher als CO2?

„Durch das Entweichen von Wasserstoff in die Atmosphäre während der Produktion, Speicherung, Verteilung und Nutzung werden Vorteile einer wasserstoffbasierten Wirtschaft teilweise wieder zunichte gemacht“, schreiben die Forscher. Das H2-Erderwärmungspotenzial sei etwa doppelt so hoch als bislang angenommen. Über 100 Jahre erwärme eine Tonne Wasserstoff in der Atmosphäre die Erde etwa elfmal stärker als eine Tonne CO2, mit einer Unsicherheit von ± 5. Die Minimierung von Leckagen müsse eine Priorität sein, wenn Wasserstoff als große Energiequelle eingesetzt werden soll. Vorangegangene Studien hatten die Reaktion in der Stratosphäre nicht berücksichtigt

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