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Stefan Thyroke von Verdi „Verbot von Werkverträgen“

Citroen Jumper Foto: Karl-Heinz Augustin

Stefan Thyroke, Verdi-Bundesfachgruppenleiter Speditionen, Logistik und KEP, über prekäre Arbeitsverhältnisse und einen neuen Gesetzesvorschlag.

trans aktuell: Herr Thyroke, auch die Fleischverarbeitende Industrie hatte ein Problem mit prekären Arbeitsverhältnissen, die Folge war das Arbeitsschutzkontrollgesetz 2021. Ist das für die KEP-Branche geplante Gesetz daran angelehnt?

Stefan Thyroke: Ja, daran angelehnt, aber zugeschnitten auf unsere Branche, denn wir beschränken uns bei unserer Forderung nun auf zwei wesentliche Punkte: erstens ein Verbot des Einsatzes von Subunternehmen und Werkverträgen und zweitens eine Gewichtsbegrenzung auf 20 Kilogramm in der Paketzustellung. Befristungen und Leiharbeit sind in der KEP-Branche zwar auch problematisch, aber mit unseren zwei Punkte treffen wir eher den Kern des Problems. Daher ist ein Vergleich zur Fleischindustrie zwar angebracht, wenn es um die katastrophalen Arbeitsbedingungen angeht. Die Punkte, wie das gelöst werden soll, sind allerdings andere.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat sich schon einmal mit dem Thema Zusteller befasst, erst 2019 wurde das Paketbotenschutzgesetz erlassen. Wieso genügt das nicht?

Tatsächlich führt das BMAS gerade eine Evaluierung des Paketboten-Schutzgesetzes durch, um dessen Wirkung zu kontrollieren. Dieses Gesetz setzt aber ganz woanders an – es sollte sicherstellen, dass Subunternehmer auch die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten zahlen. In dieser Hinsicht haben das Gesetz und die Kontrollmechanismen durchaus Wirkung entfaltet: Zum Beispiel durch die Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung durch die Sozialversicherungsträger im Vorfeld wurden säumige Betriebe offenbar ausfindig gemacht und nicht mehr als Subunternehmen berücksichtigt. Wir stellen aber leider immer wieder andere arbeitsrechtliche Verstöße bei Subunternehmen fest, die offensichtlich mit diesem Gesetz nicht gelöst wurden, zum Beispiel Betrug um den Mindestlohn. Das Gesetz hatte zudem überhaupt keine Wirkung auf die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Unser Vorschlag beinhaltet daher auch Themen des Gesundheits- und Arbeitsschutzes. Man muss sich das vorstellen: Um Zeit zu sparen, tragen viele Zusteller Pakete mit mehreren Kilogramm Gewicht gestapelt auf ihren Armen, meist ohne ausreichende Hilfsmittel, und das unter Umstände über viele Meter bis zur Haustür.

Foto: Matthias Rathmann
Will Subunternehmer in der Zustellung verbieten. Stefan Thyroke, Verdi-Bundesfachgruppenleiter Speditionen, Logistik und KEP.
Welchen politischen Weg geht der Vorschlag von Verdi jetzt?

Bereits im Sommer 2022 haben wir zu einer Auftaktkonferenz geladen und über unseren Vorschlag informiert. Dabei waren alle eingeladenen Bundestagsfraktionen anwesend, bis auf die FDP, die kurzfristig absagen musste. Der Tenor war zustimmend, alle Teilnehmer erklärten ein solches Gesetz für sinnvoll. Wir erwarten auf jeden Fall die Zustimmung des BMAS und in der Folge einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Der Koalitionsvertrag hat ebenfalls zum Inhalt, dass der Missbrauch von Werkverträgen eingedämmt werden soll. Die Umsetzung sollte nicht sehr lange auf sich warten lassen: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat schon bei anderen Gesetzesvorhaben gezeigt, dass sein Haus sehr schnell ist. Wenn es nach uns geht, kann das Gesetz gerne zum 1. Januar 2024 umgesetzt werden.

Das würde den betroffenen Unternehmen aber wenig Zeit für die Umsetzung lassen.

Die Erfahrungen aus der Fleischindustrie haben zeigt, dass dieser Zeitraum für die Umsetzung ausreichend ist; die fleischverarbeitenden Unternehmen hatten damals sogar noch weniger Zeit zur Verfügung. Aber wenn es gute Gründe dafür gibt, dass die KEP-Unternehmen mehr Zeit für eine ordentliche Abwicklung brauchen, ist das in Ordnung, solange das Problem endlich behoben wird. Letztendlich geht es darum, dass die KEP-Dienstleister ihren Subunternehmen kündigen und den dort beschäftigten Zustellern einen Betriebsübergang nach Paragraph 613a BGB anbieten und die neuen Arbeitnehmer dann ordentlich in ihre Betriebe eingliedern.

Die Branche hat sich schon bemüht, das Problem durch Zertifizierungen zu lösen – welchen Wert messen Sie solchen Siegeln bei?

Wie viel wert ist ein Siegel, das man selbst in Auftrag gegeben hat und das die Themen beinhaltet, die man selbst vorgibt? Nach meinem Dafürhalten klingt das wie mittelalterlicher Ablasshandel. Die KEP-Unternehmen können das Zertifikat vorweisen und tun dann so, als hätten sie nichts mehr mit schlechten Arbeitsbedingungen zu tun. Aber die Verantwortung für Menschen sollte nicht abgegeben werden. Das beste Qualitätssiegel für jeden Betrieb ist noch immer ein von den Kolleginnen und Kollegen gewählter und akzeptierter Betriebsrat, der ihre Interessen vertritt.

Letztlich wären doch auch die Versender als Auftraggeber der KEP-Dienste in der Pflicht, mehr für die Zustellung zu bezahlen und dafür den Besteller auch in die Pflicht zu nehmen …

Leider können die Konsumentinnen und Konsumenten sich im Onlinehandel in der Regel nicht den KEP-Dienstleister aussuchen, der ihnen ihre Ware bringt. Aktuell wissen Kundinnen und Kunden weder, welcher KEP-Dienstleister ihr Paket zustellt, noch wie die Arbeitsbedingungen bei den einzelnen Unternehmen sind. Da ist es äußerst schwierig, als Kundin oder Kunde Einfluss zu nehmen. Der Versender setzt aber natürlich den KEP-Dienstleister ein, der das günstigste Angebot macht, und das geschieht meist auf Kosten der Beschäftigten. Es besteht daher ein schwieriges Dreiecksverhältnis, das es für die Kundinnen und Kunden bislang unmöglich macht, Einfluss zu nehmen. Anders als beim stationären Handel können wir als Verdi beim Onlinehandel uns nicht vor die Geschäfte stellen und die Konsumentinnen und Konsumenten über die Arbeitszustände informieren. Daher ist es absolut notwendig, dass der Gesetzgeber entsprechende Regelungen schafft.

Wie verhält es sich denn mit Amazon, der zunehmend selbst die letzte Meile übernimmt?

Amazon hat seinen Lieferdienst Amazon Flex zum 31. Juli des vergangenen Jahres eingestellt – das Programm zielte ja eigentlich auf Solo-Selbstständige ab, die über eine App sich Stundenkontingente mit Aufträgen aussuchen konnten. Dabei stand aber immer die Frage der Scheinselbstständigkeit im Raum. Amazon ist daher eine Vereinbarung mit der Deutschen Rentenversicherung eingegangen und hat den Betrieb des Programms eingestellt. Mit dem Ergebnis, dass viele Fahrer bei diversen Subunternehmen angefangen haben. Aber nicht nur in der Zustellung, auch im Frachtbereich sucht Amazon immer wieder nach Frachtpartnern. Voraussetzung sind nicht mehr als 20 Fahrzeuge, so will Amazon vermeiden, sich abhängig zu machen. Die Nachfrage von Amazon auf der letzten Meile nimmt weiter zu, und wohin der Weg geht, sieht man in den USA, wo Amazon schon als größter Logistiker agiert. Das ist auch für Deutschland zu befürchten.

Wo ist Verdi bei Amazon aktiv?

Wir sind in den Logistikzentren, in denen die Ware konsolidiert und verpackt wird, mit Betriebsräten vertreten. Im Bereich der Sortier- und Verteilzentren sind wir gerade dabei, die Kolleginnen und Kollegen dabei zu unterstützen, an einem zweiten Standort einen Betriebsrat zu wählen.

Welche Rolle spielt es, dass ein Großteil der Zusteller im KEP-Markt aus dem Ausland kommt?

Es spielt eine große Rolle. Der Anteil der Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund wird immer größer. Mangels Bewerbungen von Menschen, die in Deutschland leben, rekrutieren die KEP-Unternehmen mittlerweile nicht mehr nur aus Osteuropa, sondern auch aus Drittstaaten außerhalb der EU – auch aus Asien und Afrika. Das schafft wieder eine ganze neue Art von Abhängigkeiten für die Beschäftigten. Wir müssen davon ausgehen, dass die Menschen, die zu uns kommen, vielleicht gerade noch wissen, was eine Gewerkschaft ist. Aber dass sie sich ihr anschließen können, ohne dass ihnen Gewalt widerfährt, sind viele dann doch nicht gewohnt.

Wäre es dann nicht sinnvoller, den Empfänger beim Thema letzte Meile miteinzubeziehen, um die Anzahl der Fahrten zu verringern?

Natürlich, vor allem auch im Hinblick auf den Retouren-Prozess, der die Fahrerinnen und Fahrer zusätzlich stresst. Dass Retouren bei vielen Händlern noch kostenlos sind, führt dazu, dass viele Kundinnen und Kunden Pakete bei den Zustellern abgeben, was eine große Belastung darstellt. Hier könnte man etwa über die Preisgestaltung eingreifen. Das könnte zu neuen Ideen der KEP-Dienstleister führen, gerade für die letzte Meile.

Das Thema Paketstationen etwa ist bisher nicht von Erfolg gekrönt.

Was wäre, wenn wir flächendeckend Paketboxen hätten? Das würde sehr viel CO2 reduzieren, weil viel weniger Stopps notwendig wären, und auch für die Zustellerinnen und Zusteller wäre es eine Entlastung, wenn sie hauptsächlich Stationen mit Paketen bestücken müssten. Jeder Empfänger und jede Empfängerin wüsste dann verlässlich, wo das Paket ist. Aber die Frage ist nicht nur, ob die Kommunen so etwas an ihren Straßenecken wollen, sondern vor allem, ob von den Dienstleistern eine solche Zusammenarbeit auf der letzten Meile überhaupt gewollt ist und auch durch die EU nicht untersagt werden kann.

Zur Person

Stefan Thyroke ist seit 2016 Leiter der Fachgruppe Speditionen, Logistik, Kurier-, Express- und Paketdienste bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi

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