Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte bereits 2017 klargestellt, dass es eigentlich schon mit dem Inkrafttreten der VO (EG) 561/2006 verboten war, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen. Sie beginnt mit der 45. Stunde. Die reduzierte wöchentliche Ruhezeit dauert mindestens 24 Stunden und darf maximal 44 Stunden und 59 Minuten lang sein. Doch weil es mit Beginn der ersten EU-Osterweiterung im Jahr 2004 nie kontrolliert wurde, entstanden sukzessive die Bilder von meist osteuropäischen Lkw-Fahrern, die am Wochenende unter teils unwürdigen Umständen im Lkw hausen.
Mit dem Inkrafttreten der ersten Stufe des europäischen Mobilitätspakets 1, der Änderungen ebenjener Sozialvorschriften, im August 2020 wurde nicht nur ausschließlich die Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw verboten, es wurde gleichzeitig für diesen Fall eine konkrete Alternative im überarbeiteten Gesetzestext festgeschrieben. Diese (laut Definition) "Unterkunft mit angemessener Schlafgelegenheit" muss, das ist ebenfalls festgelegt, vom Arbeitgeber bezahlt werden.
Das erste Unternehmen, das diese neue Möglichkeit nun tatsächlich anbietet, ist die Roatel GmbH aus Düsseldorf. Im GVZ Bremen (A 1), auf den Autohöfen Shopsdorf (A 2) und Lutterberg (A 7) sowie an der B 213 in Löningen wird das "Schlafen an der Autobahn" bereits umgesetzt. Bis Sommer sollen weitere zehn deutsche Standorte ans Netz gehen. Das mittelfristige Ziel sind 30 dieser 45-Fuß-High-Cube-Seecontainer mit jeweils vier Zimmern, die am Standort Löningen mit Bett, Sanitäreinrichtung und Satellitenfernsehen umgebaut werden. Der Preis beträgt 49 Euro brutto ohne Frühstück. Buchen kann sie der Unternehmer oder der Fahrer über die Seite www.roatel.com. Nach Angaben von Roatel nutzen derzeit viele Handwerker auf Montage diese günstige Übernachtung. Frühstück gibt es im GVZ Bremen bei einer Bäckerei in der Nähe.
Arbeitgeber nicht zur Kostenübernahme verpflichtet
Unter deutschen Fahrern ist diese Alternative zum Lkw umstritten und wurde in den sozialen Netzwerken diskutiert. Dabei sind deutsche Fahrer im nationalen Fernverkehr mit einem regelmäßigen Wochenende daheim nicht betroffen. Im internationalen Fernverkehr im Rahmen von 14 Tagen in der Regel laut Artikel 8 Absatz 6 der VO (EG) 561/2006 nur dann, wenn tatsächlich eine 45er-Pause anliegt. Gegen eine freiwillige Übernachtung im Rahmen einer täglichen Ruhezeit spricht nichts – doch hier ist der Arbeitgeber aber nicht zur Kostenübernahme verpflichtet.

So wie bei der bereits am 2. Februar 2022 in Kraft getretenen Entsenderichtlinie zielt die Maßnahme in erster Linie auf die Fahrer der osteuropäischen Frachtführer, die, jedenfalls bei Unternehmen aus Litauen und Polen, immer öfter aus Ländern wie Belarus oder Ukraine kommen. Doch nun wird es komplex. Denn ebenfalls als Kompromiss wurde seit August 2020 neu geregelt, dass ausschließlich die Fahrer im grenzüberschreitenden Güterverkehr im Rahmen von vier Wochen auch zweimal hintereinander eine reduzierte wöchentliche Ruhezeit einlegen können. In der Praxis hieße es: Nutzt ein Fahrer nach seinem Heimaturlaub diese Möglichkeit gleich zu Beginn der vier Wochen und bleibt dabei ganz legal weiter im Lkw, so müsste er im Laufe der dritten Woche wieder an den Standort zurückfahren, um dort den fälligen Ausgleich und die nächste regelmäßige Ruhezeit von 45 Stunden zu nehmen. Bliebe er nun ein Wochenende in einem Hotel oder einem Hotelcontainer, so kann der Fahrer die vollen vier Wochen auf Tour unterwegs sein.
Girteka und Hegelmann wollen eigene Übernachtungsmöglichkeit bauen
Hier kommt eine zweite wichtige Änderung ins Spiel, mit der das Recht der Fahrer nach der Rückkehr in ihre "Heimat" nach eben spätestens vier Wochen in einem Kompromiss aus den Trilog-Verhandlungen den Unternehmen nun eine Alternative bietet. Es ist der auslegbare Begriff der "Betriebsstätte des Unternehmens, der sie normalerweise zugeordnet sind". Im Zuge der Umsetzung des Mobilitätspaktes haben die großen litauischen Frachtführer Girteka und Hegelmann nun offiziell angekündigt, in Polen nahe der deutschen Grenze Standorte mit eigenen Übernachtungsmöglichkeiten für ihre Fahrer zu bauen. Das bedeutet vor allem für die Fahrer aus Belarus und der Ukraine: Sie reisen in der Regel auf eigene Kosten zu diesem Standort an, brechen von dort entweder direkt mit dem Lkw nach Westeuropa auf oder pendeln im Minibus dorthin, wo der Lkw steht. Nach drei oder vier Wochen können sie an die Betriebsstätte in Polen zurückkehren – und von dort nach der vorgegebenen Pause wieder drei bis vier Wochen auf Tour gehen.
In ihre Heimat kommen sie auf diese Weise natürlich erst nach rund zwei Monaten. Für den deutschen EU-Parlamentarier Ismail Ertug, einen der Verhandlungsführer in den Trilogen, sind diese Standorte im Hinblick gerade auf das Rückkehrrecht der Fahrer insbesondere aus den Drittstaaten allerdings eine potenzielle Umgehung der Regeln. "Denn der Artikel 8 Absatz 8a der geänderten Verordnung 561/2006 bezieht sich tatsächlich auf zwei mögliche Orte, an die eine Rückkehr vom Arbeitgeber angeboten und organisiert werden muss", sagt Ertug, "nämlich die im Mitgliedstaat der Niederlassung gelegene Betriebsstätte des Verkehrsunternehmens, der der Fahrer normalerweise zugeordnet ist, oder den Wohnsitz des Fahrers, wenn dieser vom Ort der Niederlassung des Arbeitgebers abweicht."
Wohn-Containeranlage nahe Venlo von Reining
Da es aber im Erwägungsgrund 14 der Verordnung wiederum heißt, den Fahrern sollte es freigestellt sein, zu wählen, wo sie ihre Ruhezeit verbringen, sei es also Sache des Fahrers, zwischen den beiden vom Arbeitgeber angebotenen Optionen zu wählen. Dies bedeute, dass der Fahrer vom Arbeitgeber nicht verpflichtet werden kann, die Niederlassung des Arbeitgebers als Ort der Rückkehr zu wählen. "Nur weil es mittlerweile gängige Praxis wurde, den Fahrer nur an die Betriebsstätte zurückkehren zu lassen, ändert es nichts daran, dass das nicht im Sinne des Gesetzgebers und somit illegal ist", so Ertug. Viele machen es "freiwillig".

Unter diesem Aspekt ist auch die Wohn-Containeranlage des niederländischen Logistikers Reining in Brüggen-Bracht nahe Venlo noch zu prüfen. Auf der Website heißt es: "Auf einer Fläche von mehr als zwei Hektar bietet dieser Standort Platz für 120 Fahrzeuge, sodass die Fahrer diesen für ihre Ruhezeiten nutzen können. Der Standort bietet Einrichtungen für die Fahrer in Form von Übernachtungsmöglichkeiten, Kochgelegenheiten, Sozial- und Sanitärräumen."
Auf Anfrage wollte Reining zunächst nicht beantworten, warum dort vor allem Fahrer aus Serbien und Ungarn auf in Deutschland zugelassenen Lkw am ersten Sonntag im Januar 2022 anzutreffen waren. Diese haben, auch das ist geregelt, in ihrer Freizeit zwar die Möglichkeit, das Gelände zu verlassen, dürfen laut BAG ihren Lkw aber nicht betreten, um sich dort tagsüber aufzuhalten. Hinter ihrem meterhohen Zaun wirkt die gesamte Anlage dennoch wie ein Lager. Auf der einen Seite können Fahrer bei einer späteren Kontrolle etwa durch das BAG zwar den Beleg der Übernachtung vorlegen, nach der VO (EG) 165/2014 sind sie dazu aber nicht verpflichtet, was daher die Beweislast im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht (OWiG) dem BAG aufbürdet. Ein Ortstermin mit der Geschäftsleitung ist nun allerdings auf Rückfrage nach Erscheinen dieser Ausgabe des FERNFAHRER möglich.
Grenzerfahrungen
Seit dem 2. Februar 2022 ist die Entsenderichtlinie als Lex specialis im Rahmen des Mobilitätspaketes 1 europaweit in Kraft. Das bedeutet, dass seither Lkw-Fahrer den Lohn des Landes bekommen müssen, in dem sie eine Beförderung durchführen. Fahrten im Transit sind davon ausgenommen – so wie reine bilaterale Transporte. Das zielt natürlich in erster Linie auf die Fahrer osteuropäischer Frachtführer, die unter den niedrigen Löhnen und sozialen Standards ihrer Länder in Westeuropa Kabotagetransporte durchführen. Die legale Möglichkeit, nach der beladenen Einfahrt in ein Land dort drei nationale Transporte durchzuführen, wurde ab dem 21. Februar durch eine viertägige „Abkühlphase“ ergänzt. In dieser Zeit darf der Lkw in diesem Land nicht mehr für Kabotage eingesetzt werden. Bei Transporten in Deutschland müssen die Fahrer für den Zeitanteil ihres Aufenthalts mindestens den Mindestlohn bekommen.
Um diese beiden Vorgaben besser zu kontrollieren, spielt der intelligente digitale Tacho der ersten und ab 21. August 2023 der zweiten Version eine entscheidende Rolle. Bis zur endgültigen Einführung des „smarten Tachografen“, der den Grenzübertritt automatisch festhält, müssen die Fahrer laut EU-Vorgabe den Grenzübertritt entweder an der Grenze oder am „nächstmöglichen Haltepunkt nach der Grenze“ vorerst manuell dokumentieren.
Die erste Woche nach der Einführung war laut Rückmeldungen von Fahrern aus Europa noch von Ignoranz und Unwissenheit geprägt. Entweder fuhren viele, bis auf Frankreich, einfach durch oder, so wurde vor allem von Fahrern aus Osteuropa berichtet, sie stellten sich hinter der Grenze unter Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer kurz auf den Standstreifen. Auf Bundesstraßen zwischen Deutschland und den Niederlanden gebe es teilweise gar keine geeigneten Halteplätze.
Nach Beobachtungen des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG) hätten 50 bis 80 Prozent der Fahrer bereits den Tacho umgestellt, berichtete BAG-Präsident Andreas Marquardt in der 76. Sendung von FERNFAHRER LIVE und sprach von Luft nach oben. Während offenbar Länder wie die Niederlande oder Dänemark vorerst auf Kontrollen verzichten wollen, wird das BAG dagegen zunächst bis Ende Februar mündliche Ermahnungen bei nicht korrekter Bedienung des Tachos aussprechen, dann eine Verwarnung mit Kosten von 35 Euro und ab etwa Ende März den dann möglichen Höchstsatz von 250 Euro für die Fahrer als Bußgeld einfordern. Auch der mehrmalige Verstoß kann geahndet werden. Das kann in der Summe ganz schön teuer werden.