Polizeikontrolle Fahrerhaus oder Wohnung?

07_FF_Recht_aktuell Foto: Marc Albrecht 2 Bilder

Während einer Unfallaufnahme sollen Polizeibeamte in Abwesenheit des Fahrers im Lkw eine ausgestöpselte LED-Innenbeleuchtung aktiviert haben. Das geht so nicht.

Ein wahrer Fall: Der Fahrer eines Mineralölhandels war in einen Unfall verwickelt. Von ihm unverschuldet hatte ein Wohnmobil beim Überholen den linken Spiegel seines Scania abgefahren. Die Polizei kam und wollte, um einen Geschwindigkeitsverstoß des Wohnmobils festzustellen, auch den Lkw-Tacho auslesen. Da die beiden Beamten vor Ort das nicht konnten, holten sie Verstärkung durch das Autobahnpolizeirevier. Zu diesem Zeitpunkt war der Fahrer mit den anderen beiden Polizisten an die Unfallstelle zurückgelaufen. Der Autobahnpolizist saß schon im Fahrerhaus, als der Fahrer zurück zu seinem Lkw kam. Der Skandal: "Nach Angaben des Fahrers ist die Polizei in seiner Abwesenheit ins Fahrerhaus geklettert, ohne ihn um Erlaubnis zu fragen, und hat dort eine ausgestöpselte LED-Innenbeleuchtung in den Zigarettenanzünder gesteckt und eingeschaltet", berichtet Rechtsanwalt Matthias Pfitzenmaier. Wenig später erhielt der Fahrer eine Anhörung zum Bußgeldverfahren mit dem bekannten Text: "Sie nahmen den Lastkraftwagen in Betrieb, obwohl die Betriebserlaubnis erloschen war. Die Verkehrssicherheit war dadurch wesentlich beeinträchtigt (laut § 19 Abs. 5, § 69a STVZO)." Die Faustregel: Bei einer Schwerlastkontrolle etwa gilt ein Lkw als "Betriebsstätte". Hier darf die Polizei laut der Fahrpersonalverordnung in Anwesenheit des Fahrers etwa auf dem Tritt zum Fahrerhaus den digitalen Tacho auslesen.

Auch die Polizei muss sich an Spielregeln halten

Lässt ein Fahrer selbst die Polizei ins Fahrerhaus, ist das freiwillig. Sonst gilt der Lkw vom Prinzip her in der Tat als "Wohnung". Zutritt zum Fahrerhaus kann die Polizei dann nur aus zwei Gründen erlangen: entweder mit einem richterlichen Durchsuchungsbeschluss oder bei Gefahr im Verzug. Mit anderen Worten: Grundsätzlich dürfen die Beamten den vorschriftsmäßigen Zustand des Fahrzeugs überprüfen. Dazu gehört zum Beispiel die Überprüfung der HU-Plakette am Nummernschild oder die Kontrolle, ob der Fahrer Verbandskasten und Warndreieck dabei hat.

Die Polizei darf den Fahrer auch auffordern, das Fahrzeug zu verlassen. Die Polizei darf auch nach Beweisen suchen, das ist ihre Aufgabe. "Sie muss sich aber an die Spielregeln halten", sagt Pfitzenmaier. Darf ein Polizeibeamter beispielsweise einen sogenannten Baumann-Schalter aktivieren, um dem Fahrer zu beweisen, dass er eine unzulässige Zusatzbeleuchtung am Lkw hat? "Nein, der Fahrer hat auch keine aktive Mitwirkungspflicht. Es kann aber sein, dass es die Polizei dennoch macht – mit der Begründung, Gefahr im Verzug.

Zutritt zur Kontrolle von Lenk- und Ruhezeiten oder Arbeitszeit immer erlaubt

Aber Achtung: Während der Betriebs- und Arbeitszeit können das BAG laut Paragraf 12 GüKG und die zuständigen Aufsichtsbehörden und deren Beauftragte laut Paragraf 4 (5) Fahrpersonalgesetz den Lkw betreten. Dies allerdings nur zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben, das heißt, zur Kontrolle gemäß VO (EG) 561/2006 und EWG 3821/85 + AETR und FPersV, insbsondere also zur Auslesung des Digitachos zwecks Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten, der Arbeitszeit oder der ordnungsgemäßen Bedienung des Fahrtenschreibers.

Im vorliegenden Fall sei die Art der Beweiserhebung jedoch auch aus einem anderen Grund unzulässig, argumentiert Pfitzenmaier: "Der Beamte ist ja ins Fahrerhaus geklettert, weil er Beweismittel gegen den Wohnmobilfahrer und gar nicht gegen den Fahrer sammeln wollte – und hat quasi erst bei der Gelegenheit, den Tacho auszulesen, die Leuchte bemerkt." Auch hier gibt es wiederum einen Haken: "Es sind zwei juristisch verschiedene Punkte, nämlich die Beweiserhebung, die hier unzulässig ist, und die andere Frage, ob ein unzulässig erhobener Beweis auch nicht verwertet werden darf. Hier ist die Rechtsprechung wachsweich, es wird abgewogen, wie schwer der Verfahrensverstoß auf der einen Seite und das Interesse an einer geordneten Strafverfolgung auf der anderen Seite wiegt."

Matthias Pfitzenmaier Foto: Matthias Pfitzenmaier
Fragen zum Verkehrsrecht ­beantwortet Matthias Pfitzenmaier aus dem Haus des Rechts auf unserem Expertenportal unter ww.eurotransport.de/experten.

Ob ein Einspruch Erfolg hat, bleibt abzuwarten. "Wir werden sicherlich die Verfahrensmängel rügen, des Weiteren sehe ich nicht, weshalb bei einer nicht betriebsfertigen im Fahrzeugführerhaus innen angebrachten Lampe die Betriebserlaubnis erlöschen soll." Mittlerweile hat auch der Halter, Marc Albrecht, einen Anhörungsbogen erhalten, weil er den Lkw so fahren ließ. "Für mich artet es langsam zu einer großen Witzveranstaltung aus", sagt Albrecht.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
FERNFAHRER 07 2019 Titel
FERNFAHRER 07 / 2019
1. Juni 2019
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