Fahrer vor Gericht Der Wahrheit die Ehre

Foto: Continental

Rechtsanwalt Peter Möller verhandelt eine harte Nuss vor dem Amtsgericht mit 28 Tatvorwürfen und einem Bußgeld von knapp über 2.000 Euro. Sowohl die Ermittlungsbehörde als auch das Amtsgericht gehen von einem völlig verdrehten Sachverhalt aus.

Richard* ist ein Fahrer und Inhaber einer kleinen Spedition, der stets um Ruhe, Ordnung und Sicherheit bemüht ist. Er hat null Punkte im Register, hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, schon gar nicht irgendwelche Verstöße gegen Lenk- und Ruhezeiten. In den 25 Jahren, die Richard fährt, hat er nicht einen einzigen Bußgeldbescheid bekommen. Jetzt auf einmal kommt ein bösartiger Vorwurf daher. Nun wird’s deftig. Ein Fahrer von ihm soll 28 Lenkzeitüberschreitungen begangen haben. Für Richard ist das ein unvorstellbarer Vorwurf, für das Amt für Arbeitsschutz jedoch ein klarer Fall. Die Zeiten seien so kalkuliert, dass er das hätte gar nicht schaffen können. Richard ist entsetzt.

Die Sache hat nur einen Haken. Richard ist zwar Inhaber der Spedition, die Geschäftsführung hat aber seine Frau inne und im fraglichen Zeitraum hat Richard nichts, aber auch gar nichts in der Firma gemacht, weil er nämlich über ein dreiviertel Jahr schachmatt gestellt war. Er war lange Zeit in der Klinik, hat Chemotherapien über sich ergehen lassen und war froh, dass er da lebendig wieder raus gekommen ist. An Disposition in seiner kleinen Spedition war unter diesen Umständen gar nicht zu denken. Das hat alles seine Frau übernommen. Die hat sich – so wie seine zwei Kinder – den geplanten Urlaub tüchtig verdient. Der steht aber nun in Frage. Müssen 2.000 Euro berappt werden, ist das Urlaubsgeld weg.

Mit Arzt- und Krankenhausattesten ausgestattet, fahre ich zum Gerichtstermin. Ich bin froh, dass Richard von der Anwesenheitspflicht befreit ist. Diese kühle Funktionalität des Neubaus erschlägt einen förmlich. Außerdem hat der Fahrstuhl eine deutliche Macke. Es dauert nämlich circa zwei Minuten bis die Tür zum Flur im ersten Obergeschoss geöffnet wird. Dann beginnt das Gesuche nach Saal 120. Der befindet sich allerdings im rechten Teil des Gebäudes und im zweiten Obergeschoss. Völlig verwirrend das Ganze und ich kann mich gut daran erinnern, dass ich hier schon einmal wegen Abwesenheit verworfen wurde, nur weil die Tür vom Fahrstuhl sich nicht geöffnet hat und ich sozusagen eingesperrt war. Also keine sonderlich positiven Gefühle, die ich habe, als ich in den Gerichtssaal gehe.

Die Richterin ist an Souveränität kaum zu toppen. Ich erläutere ihr, dass endlich die Wahrheit in den Prozess eingeführt werden muss. "Der Wahrheit die Ehre, Frau Richterin!" Ich erkläre, dass Richard mit den Tatvorwürfen nichts, aber auch gar nichts zu tun hat, weil er schwerstens erkrankt im Krankenhaus lag. Irgendwie prallt das ab, wie ein Flummi gegen eine Betonwand. Es scheint die Richterin in keiner Weise zu interessieren. Das wiederum bringt mich innerlich zum Beben und ich denke mir, wenn das so ist, probieren wir es eben auf die andere Tour. Ich erkläre der forschen Richterin, dass ich mir unter keinen Umständen erklären kann, wie es denn dazu kommt, dass die Anhörung zunächst an die Firma und danach an die Ehefrau von Richard geschickt wurde. Richard selbst ist uberhaupt nicht angehört worden. Jetzt wird er im Gerichtssaal angehört, aber auch nicht korrekt. Denn es macht nicht den Eindruck, als dass seine Argumente wirklich wahrgenommen werden.

Ich stelle eine juristisch etwas haarsträubende These auf. Aber ich denke mir, probieren kann ich es ja mal. Wenn Richard gar nicht angehört wurde, dann kann auch der Bußgeldbescheid ohne Anhörung keinerlei Wirksamkeit entfalten. Das ist zwar juristisch nicht richtig, aber wer es nicht probiert – verliert. Die Richterin fängt an, etwas wild im Ordnungswidrigkeitenkommentar zu blättern. Nach wenigen Minuten erweckt sie den Eindruck, als hätte sie eine Textstelle gefunden, die meine Meinung unterstützt. Das ist zwar schwer vorstellbar, aber bitte. Sie ruft nun die Vertreterin des Amtes für Arbeitsschutz herein. Die wird sofort belehrt, dass der Bußgeldbescheid nichtiger ist als ein Bescheid überhaupt nichtig sein kann. Der Betroffene sei ja gar nicht angehört worden. Die Beamtin versteckt für einen Moment etwas verschämt den Kopf hinter ihren ausgestreckten Händen. Die Richterin erklärt: "Unter diesen Umständen wäre die Konsequenz für mich klar." Die Beamtin nickt.

Die Richterin fragt, ob sie einer Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG zustimmen würde. Sie nickt noch einmal. Die Richterin verkündet den Beschluss, mit dem das Verfahren eingestellt wird. Noch aus dem Auto auf der Fahrt zum nächsten Gerichtstermin rufe ich Richard an. Der ist überglücklich, denn damit ist eine Urlaubsreise, die finanziell auf wackligen Füßen stand, gesichert. "Ich freue mich unendlich", sagt er "aber was glaubst du, was meine Kinder und meine Frau erst sagen werden!" Also dann: "Schönen Urlaub!"

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
ETM
FERNFAHRER 2-3 / 2024
1. Februar 2024
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