Mobilitätspaket im EU-Parlament Ausgebremst

Jan Bergrath Foto: Jan Bergrath
Meinung

Die Zeit für eine Einigung, um in Brüssel das EU-Mobilitätspaket zu verabschieden, läuft ab. Mittlerweile scheint es so, als solle sie so lange verzögert werden, damit am Ende doch alles beim Alten bleibt. Das aber wäre fatal.

Ende des vergangenen Jahres haben viele zu früh gejubelt. Damals hieß es, die Verkehrsminister der Europäischen Union hätten sich im Rat auf auf bessere Sozialstandards für alle europäischen Lkw-Fahrer geeinigt. Das ist grundsätzlich auch richtig, hat aktuell aber noch keine Auswirkung auf die Praxis. Denn am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens steht noch der sogenannte „Trilog“. Dann verhandeln je ein Vertreter des Rates, der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments mit einem Vertreter desjenigen Landes, das den halbjährlichen Vorsitz der Ratspräsidentschaft ausübt, um aus den jeweiligen Vorschlägen der genannten EU-Institutionen am Ende eine neue Verordnung zu beschließen.

Gezielte Verzögerung durch Änderungsanträge

Seit Ende Mai 2017, als die EU-Kommission ihre Vorschläge auch zur Neuregelung der Lenk- und Ruhezeiten ins Spiel brachte, wurde nun vor allem im Parlament mit immer neuen Änderungsanträgen unter dem Deckmantel der Demokratie gezielt das Spiel verzögert. Und nun geht das Match in die Endphase: Schiedsrichter, um im Bild zu bleiben, ist Rumänien – ein Land, dessen kürzlich angetretene Ratspräsidentschaft umstritten ist. Kommt es bis zum Ende der fünfjährigen Legislaturperiode des EU-Parlaments Ende Mai 2019 nicht zu einem tragfähigen Kompromiss, dann ist das Spiel aus. Eine Verlängerung wird es nicht mehr geben. Mit dem zu erwarteten Erstarken EU-kritischer und nationalistischer Parteien steht möglicherweise die Konstruktion der Europäischen Union selbst auf dem Spiel.

Kompromisse in den Ausschüssen erneut abgelehnt

Nachdem das Parlament bereits tragfähige Lösungen für die Kabotage und die Bekämpfung von Briefkastenfirmen gefunden hatte, erzielten die Fachausschüsse am 11. Januar erneut keine Einigung über die Entsendung von Fahrern im Straßengüterverkehr und über die Lenk- und Ruhezeiten. Die beiden Berichterstatter, Wim van de Camp für die Lenk- und Ruhezeiten sowie Merja Kyllönen für das Lex Spezialis, haben keine Mehrheit gefunden – auch nicht alle alternativen Vorschläge dazu.

Nur der Bericht zur Kabotage mit der Klausel, dass das Fahrzeug alle vier Wochen mindestens eine Transportdienstleistung in demjenigen Mitgliedsland erbringen muss, in dem es registriert ist, ging offenbar durch die Abstimmung. Momentan, so klagt ein Insider aus dem EU-Parlament, weiß niemand so recht, wie es in den Ausschüssen weitergehen soll.

Deutsche Branchenverbände sind enttäuscht

Das Scheitern des Mobilitätspakets sei keine Option, ließ der Deutsche Speditions- und Logistikverband (DSLV) sofort per Pressemeldung wissen. Brüssel habe sich angesichts der selbst gestellten hohen Ansprüche an ein umfassendes Reformpaket für den europäischen Straßengüterverkehr verhoben. „Die Parlamentarier haben den Blick für das Verhältnis der Instrumente zu ihren Zielen aus den Augen verloren und riskieren den Fortbestand des europäischen Flickenteppichs mit einem bestehenden Wirrwarr an Regelungen“, erklärte DSLV-Hauptgeschäftsführer Frank Huster. „Ein Scheitern des gesamten Pakets wäre für alle Betroffenen das schlechteste Szenario.“ Bisher habe es dazu zwischen den beteiligten Parteien einen Konsens gegeben, der diese Option ausgeschlossen habe.

Auch Prof. Dr. Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), ist enttäuscht: „Hier wurde eine echte Chance vertan, dem sich verschärfenden Fahrermangel in Europa entgegenzuwirken und Versorgungsengpässe zu verhindern. Gerade die Zustimmung zu den Lenk- und Ruhezeitenregelungen hätte die Rückkehrpflicht der Fahrer alle vier Wochen in ihre Heimat eingeführt und einen wichtigen Baustein im Kampf gegen Sozialdumping und Fahrernomadentum bedeutet. Zugleich hätte sie die Work-Life-Balance der Fahrer und damit das Image der Branche verbessert.“

Nur die Gewerkschaften feiern die erneute Rückweisung als Teilsieg. „Das Ergebnis ist gekennzeichnet von Chaos und Unentschlossenheit. Aber die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften sind erfreut, dass es keine Mehrheit für Reformen gibt, die Ausbeutung. Sozialdumping und gefährliche Arbeitsbedingungen legalisieren“, sagt der Präsident der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft ETF, Frank Moreels. Der angenommene Kompromiss zur Kabotage sei ausgewogen. Jetzt müssten die Parlamentarier ein faires Ergebnis in den anderen Punkten erreichen, betont die ETF.

Verhärtete Fronten auf allen Ebenen

Doch die Fronten sind auf allen Ebenen total verhärtet. Auf der einen Seite stehen die Verfechter des Vorschlags, dass die Fahrer definitiv bereits alle zwei Wochen wieder daheim sein müssen. Eine Forderung, die besonders von den westeuropäischen Gewerkschaften und deren in Brüssel beheimateter Dachorganisation ETF mit andauernden Demonstrationen in Brüssel und Straßburg unterstützt wird. Auf der anderen Seite die marktliberalen Vertreter aus den südosteuropäischen Ländern, für die selbst die Rückkehrpflicht nach vier Wochen noch zu lange ist. Ich fürchte, dass eine Einigung, anders als es die Verbände wünschen, in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist. Auch weil einige Vertreter im Parlament einen sinnvollen Kompromiss so lange blockieren, bis am Ende doch alles so bleibt, wie es ist.

Das totale Chaos steht zu befürchten

Dann gäbe es vor allem um den weiter hoch umstrittenen Punkt der Verbringung der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeit im Lkw dasselbe Chaos, das wohl auch bei einem ungeordneten Brexit kommen wird: Im Ärmelkanal gibt es nicht genug Fähren und in den Häfen vor allem zu wenig Parkmöglichkeiten, um alle gestrandeten Lkw-Fahrer, die dann wieder Ware verzollen müssen, aufzunehmen. Und entlang der deutschen Autobahnen gibt es nicht genug Hotels, wenn die Fahrer ihre 45-stündige Pause nicht mehr im Lkw verbringen dürfen. Was dann nicht nur durch einzelne nationale Gesetze, sondern vor allem durch die Klarstellung des EuGH unumkehrbar festgeschrieben ist.

Zurück zur Drei-Wochen-Lösung

Und so bin ich weiter davon überzeugt, dass der ursprüngliche Vorschlag der Kommission, dass die Fahrer – und das betrifft nun mal überwiegend die aus Osteuropa – schon spätestens nach drei Wochen wieder nach Hause müssen, genau in der Mitte liegt. Mehr denn je sogar. Daheim müssten sie auch alle anfallenden Ausgleichszeiten nehmen, wenn sie, so lautete der Plan, in diesen drei Wochen zweimal hintereinander die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit verkürzen dürfen.

Schon früh hatte ich das als Taschenspielertrick der Kommission bezeichnet – sehr zum Ärger der Gewerkschaften. Auch wenn die Kommission mir gegenüber immer bestritten hat, dass dieser Hintergedanke vorhanden war: Das glaube ich bis heute nicht. Das Konstrukt hat sich bestimmt nicht rein zufällig ergeben.

Es hat nämlich entgegen aller Berechnungen keine Auswirkungen auf die Lenkzeiten an sich. Denn wie es auch das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) immer wieder betont und derzeit leider auch so kontrolliert, könnten vor allem eben die Fahrer aus Osteuropa bei einer reduzierten wöchentlichen Ruhezeit jeweils 44:59 Stunden in ihren Lkw bleiben. Dazu ein wenig anschließende Bereitschaftszeit – schon ist das Problem mit den bei Fahrern unbeliebten und für Unternehmer kaum zu disponierenden Hotels am Wochenende erledigt.

Nomandetum light als letzte pragmatische Lösung

Es ist ein Fakt: Ohne die Lastzüge aus Osteuropa würde die internationale Logistik nicht mehr funktionieren. Der internationale Transport ist für das deutsche Transportgewerbe ohnehin längst „verloren“. Immer mehr deutsche Speditionen konzentrieren sich auf nationale oder sogar regionale Transporte, weil sie kaum noch deutsche Fahrer bekommen, die länger als eine Woche am Stück unterwegs sein wollen – Ausnahmen bestätigen die Regel. Ein solcher Kompromiss entspräche auch der Tatsache, dass rund 20 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Fahrer in Deutschland mittlerweile aus Osteuropa stammen. Da sie nicht nach Deutschland übersiedeln wollen, bevorzugen sie den Rhythmus „Drei zu eins“.

Ja, es wäre gewissermaßen ein „Nomadentum light“, mit weiterhin allen Gefahren wie auch dem Alkoholismus, die ich ebenfalls immer wieder beschreibe. Aber es wäre doch sehr viel besser als die derzeit praktizierte Regel „Sechs zu Zwei“, also sechs Wochen auf Tour und zwei Wochen Urlaub daheim. Oder vielleicht noch längere Zeiträume.

Die nahe Zukunft wird sehr wahrscheinlich zeigen, dass wir ohne tragfähigen Kompromiss, dem sich offenbar vor allem die osteuropäischen Länder verweigern, den Status Quo beibehalten werden. Und der ist für die westeuropäischen Frachtführer keine Lösung, sondern ein Fortschreiben des harten Wettbewerbs. Für die Fahrer aus Osteuropa bedeutet er eine Verlängerung der oft miserablen Arbeitsbedingungen.

Doch ohne ein Mandat des Europäischen Parlaments wird es keinen "Trilog" geben. Die buchstäblich letzte Chance gibt es nun beim Treffen der Koordinatoren am 21. Januar in Brüssel, wo entschieden wird, ob es Vorschläge der Ausschüsse gibt, die ins Plenun nach Straßburg gehen können. Ein Funken Hoffnung bleibt also.

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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