Assistenzsysteme ABA jetzt!

Daimler Trucks Foto: Daimler Trucks
Meinung

Auch die Sicherheit für Fußgänger hat bei Daimler im New Actros, der im Frühjahr mit innenliegenden Außenspiegeln und dem Active Brake Assist 5 auf den Markt kommt, ihren Aufpreis. Kunden, die das Zusatzpaket nicht wollen, erhalten weiterhin den gesetzlich vorgeschriebenen Notbremsassistenten als Serienausstattung.

Das Kind steht still neben dem roten Wagen, einem schicken Mercedes-Benz natürlich. Der gelbe Sattelzug mit dem New Actros als Zugmaschine nähert sich mit 30 Stundenkilometern. Plötzlich, am Seilzug geführt, „rennt“ das Kind auf die Straße, direkt vor den Laster. Der bremst zum Glück sofort ab. Wie von Geisterhand. Radar, und zum ersten Mal überhaupt bei Daimler, eine synchron vergleichende Kamera, haben die Figur anhand ihrer Silhouette als relevantes Hindernis erkannt.

Der im New Actros verbaute Active Brake Assist (ABA) 5 bremst punktgenau ab. Ein wohl tödlicher Aufprall wurde verhindert. Passiert ist dies bereits als Demonstration im September 2018 auf dem Gelände des ADAC-Fahrsicherheitszentrums in Linthe bei Berlin. Dort hatte Daimler seinen innovativen Truck mit den ungewöhnlichen innenliegenden Außenspiegeln, der nun im Frühjahr auf den Markt rollt, ausgewählten Journalisten vorgestellt. Selber testen durften diese allerdings nicht, ob der ABA 5 wirklich für Fußgänger jeglicher Größe bremst. Versicherungsfragen, na klar. Vorerst bleibt es ein Versprechen.

Viele Radfahrer, weniger Fußgänger

Mitten in die anhaltende Diskussion um die Abbiegeassistenten und ihre staatlichen Fördermöglichkeiten, bringt der Nutzfahrzeugkonzern Daimler, der natürlich auch die Mutter aller Abbiegeassistenten auf Radarbasis ist, also jetzt den Schutz für Fußgänger im Geradeausverkehr. Ob das eine sinnvolle technische Ergänzung zur Sicherheit im Straßenverkehr ist, müssen Unfallforscher vielleicht erst noch untersuchen. Die meisten Meldungen über Lkw-Unfälle im Stadtbereich betreffen nach wie vor Abbiegeunfälle mit Radfahrern.

Expertentreffen in Goslar

Die erste Möglichkeit zur Diskussion bietet vom 23. bis 25. Januar der bereits 57. Verkehrsgerichtstag in Goslar, an dem ich zum ersten Mal teilnehme. Ein Arbeitskreis dort, mit Politikern, Polizisten, Juristen und hochrangigen Experten, setzt sich mit dem Thema der Notbremsassistenten auseinander. Allerdings für mein Dafürhalten leider immer noch unter der etwas falschen Prämisse - dass die technischen Helfer in Zukunft nicht mehr komplett abschaltbar sein dürfen. Für mich persönlich eine Diskussion in der Sackgasse. Denn das Deaktivieren per Schalter ist, wie bereits mehrfach beschrieben, nicht das tatsächliche Problem.

Problem der Übersteuerung

Das Problem ist die mögliche Übersteuerung durch einen möglicherweise panischen Fahrer in der buchstäblich letzten Sekunde vor dem Einschlag ins Heck eines stehen Lkw oder Pkw. Der im letzten Moment im Reflex entweder Gas gibt, lenkt, blinkt oder, wie nur beim ABA 3 von Daimler und beim AEB von Scania, auch durch Bremsen übersteuernd eingreift statt. Anstatt nicht mehr zu agieren und dem Assistenten zu vertrauen - was natürlich eine geradezu übermenschliche Disziplin erfordert. Aus dieser Prämisse erst entsteht meine Forderung nach einer dringend gebotenen Aufklärung über das jeweils verbaute System. Vielleicht gibt es dazu in Goslar einen Ansatz.

Denn was sich einfach nicht wiederholen darf, sind Unfälle wie der aus dem Sommer 2017, der am Freitag, 25. Januar, vor dem Amtsgericht Mannheim weiter verhandelt wird. Dort geht weiter um die Frage, ob das Radarsystem selbst versagt hat oder der ABA 3 übersteuert wurde. Im Recht Aktuell des FERNFAHRER 3/2019 zeige ich auf, dass das für den Fahrer, der immer noch jederzeit Herr über die Technik sein muss, am Ende beim Vorwurf der fahrlässigen Tötung wohl keine große Rolle spielen wird.

New Actros mit Wermutstropfen

Doch nun, so hat es mir die Pressestelle von Daimler Trucks bestätigt, kommt ebenjenes Technologiewunderwerk New Actros mit einem Wermutstropfen auf den Markt. Zumindest für mich. Neben dem ABA 5 gibt es, wie in allen relevanten Daimler-Lkw seit dem verpflichtenden Einbau eines Notbremsassistenten seit November 2015, weiterhin den ABA 0 als Serienausstattung. Der macht nichts weiter, als bei einer drohenden Kollision die Geschwindigkeit zu reduzieren. Im New Actros bedeutet das nach der geltenden Vorschrift von November 2018: eine Kollisionsvermeidung bei 80 km/h auf einen mit 12 km/h vorausfahrenden Pkw sowie eine Geschwindigkeitsreduzierung von 80 km/h auf 60 km/h auf einen stehenden Pkw.

Unterschiedliche Philosophie

Der Grund für das Mehr an Sicherheit gegen Aufpreis ist laut der verantwortlichen Manager: Daimler habe sehr viel Geld in die Entwicklung des ABA 5 gesteckt.

MAN, Renault, Scania und Volvo nutzen bereits ein gut funktionierendes Radar-Kamera-System. Der Unterschied zum neuen System von Daimler ist auch eine Frage der Philosophie des jeweiligen Herstellers. DAF und Iveco haben nur ein radarbasierte Technik - die bremst, aber eben nicht bis zum Stillstand.

Der neue Unterschied ist die Fußgängererkennung. Der ABA 5 wird allerdings nur zu einem noch nicht genannten Aufpreis, laut Daimler mit 30 Prozent Nachlass, in einem wie auch immer benannten Safety Paket zu kaufen sein. (Mein Vorschlag wäre hier: "Pedestrian Plus".) Die Strategie des Managements ist klar: Daimler will sich von den überwiegend deutschen und westeuropäischen sicherheitsbewussten Kunden unter den Frachtführern die Weiterentwicklung erstmal bezahlen lassen. Kann man sicher machen.

Auch wird damit die Legende widerlegt, dass der verheerende Lkw-Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt durch einen normalen Notbremsassistenten im Tatfahrzeug abgemildert worden sei. Wenn überhaupt, dann könnte tatsächlich nur der New Actros Fußgänger erkennen.

Große Flotten kaufen weiter billig ein

Die Gefahr besteht jedoch, so wie derzeit mit ABA 3 und ABA 4 von Daimler, dass vor allem die großen Flotten aus Osteuropa beziehungsweise die deutschen Flottenbetreiber, die ihre im 500er- oder 1000er-Pack erworbenen Lkw gleich wieder an ihre litauischen oder rumänischen Niederlassungen weiterreichen, auch beim New Actros weiterhin nur die billige Serienausstattung bestellen und dabei gleich weitere Millionen Euro zu den Mengenrabatten ihrer Lkw mit der sowieso meist knauserigen Innenausstattung sparen. Und wahrscheinlich bestellen sie auch vorerst noch mit konventionellen Außenspiegeln.

Die falsche Entscheidung

Ich persönlich finde es die falsche Entscheidung, aber offenbar hört man bei Daimler trotz mehrerer intensiver Hintergrundgespräche doch nicht auf mich. Damit kann ich leben. Fakt ist aber auch: Die allermeisten schweren Lkw-Unfälle passieren seit mehreren Jahren - und leider jedes Jahr immer öfter - auf der Autobahn. Und mit ihnen steigt die Zahl der getöteten Lkw-Fahrer.

Aus vielen Gesprächen mit Fahrern weiß ich, dass der Kenntnisstand über die Wirkungsweise eines Notbremsassistenten nur rudimentär vorhanden ist. In vielen Flotten wird oft der Lkw gewechselt. Und dann kommt eines Tages, so mein Horrorszenario, ein Fahrer von einem vertrauten Lkw mit ABA 3 oder ABA 4 auf einen Truck mit ABA 0 und rast just an diesem Tag auf ein Stauende zu.

Unfälle am Stauende kann der aufpreispflichtige ABA 5 auf der Autobahn besser verhindern als der serienmäßige ABA 0. Auf der Autobahn dagegen haben Fußgänger nichts zu suchen. Außerdem bremst der ABA 5 nur bei maximal 50 km/h für Fußgänger. Also höchstens im Stau. Für Kommunalfahrzeuge, die an den meisten innerstädtischen Radfahrerunfällen beteiligt sind, wäre daher so ein zusätzlicher Personenschutz nach vorne sicher sinnvoll. Auch für Lieferfahrzeuge.

Warum, liebe Daimler-Leute, nicht vorerst zwei getrennte Systeme anbieten, wenn Ihr den ABA 5 nicht gleich in der Verantwortung als Technologiemarktführer komplett in den Preis des Neufahrzeuges einrechnet? ABA 5 mit Fußgängererkennung für die Stadt und ohne Fußgängererkennung für den Fernverkehr. Wenn das technisch möglich ist. Oder wenigstens den voll entwickelten ABA 4 als Serie einbauen. Es geht immerhin um Menschenleben. Gern möchte ich den Entscheidern in Stuttgart für ein Umdenken zurufen: „ABA jetzt!“

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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