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Hochwasser bei Spedition Dreimüller Kampf um die Zukunft der Spedition

Dreimüller Lkw unter Wasser Foto: Dreimüller

Vor rund vier Wochen ist eine Flutkatastrophe über Teile Deutschlands hereingebrochen. Die mittelständische Spedition Erich Dreimüller aus Bad Neuenahr-Ahrweiler ist stark von den Folgen des Hochwassers betroffen. Über die Katastrophe und die aktuelle Lage spricht Unternehmenschef Arnd ­Dreimüller mit der Fachzeitschrift trans aktuell.

trans aktuell: Konnten Sie sich auf das Hochwasser vor­bereiten?

Dreimüller: Wir wurden von einem befreundeten Bauunternehmer angerufen, dass an der Ahr Hochwasser zu erwarten ist. Wir kannten das aus dem Jahr 1993, da hatte das Wasser bei uns zehn Zentimeter hoch im Keller gestanden. Wir dachten deshalb, wenn wir jetzt alles einen Meter hochstellen, auch im Büro, dann dürfte nichts passieren. Das hat sich als Irrglaube herausgestellt.

Was ist passiert?

In der Nacht hatten wir eine Spätverladung, und der Fahrer hat mich um 0.30 Uhr angerufen mit der Nachricht, dass Wasser auf den Hof läuft. Wir wohnen direkt auf dem Firmengelände, und als ich aus dem Haus trat, stand das Wasser 20 Zentimeter hoch. Ich dachte, ich könnte im Büro noch die Computer hochstellen, und habe damit angefangen. Dann wurde mir klar, dass das Wasser so schnell steigt, dass ich besser ins Wohnhaus zurückkehre. Damit hatte ich große Mühe, denn mir kamen schon die ersten Pkw entgegengeschwommen. Die Strömung war stark, der Wasserstand inzwischen bei 1,5 Metern.

Was dann?

Meine Frau und ich saßen eingefangen vom Wasser im Haus. Irgendwann ist man froh, wenn es nicht weiter steigt, und wir hatten große Mühe, zu realisieren, was da gerade geschieht. Am nächsten Morgen haben wir festgestellt, dass es keinen Strom gibt, kein Wasser, kein Gas, man kann das Haus nicht verlassen, und die Mitarbeiter können nicht zur Arbeit kommen. Das war schockierend und auch beängstigend.

Hatten Sie noch Kontakt zur Außenwelt?

Als das Wasser zurückgegangen ist, sind wir so weit gelaufen, bis wir wieder ein Funknetz hatten. Dann haben wir angefangen, mit dem Handy Mitarbeiter anzurufen, und versucht, einen Notfallplan aufzustellen. Der Mitarbeiter aus der Spätverladung hatte es geschafft, sich auf eine Anhöhe zu retten. Ein anderer, der im Lkw schlief, hatte das Glück, dass das Wasser nur bis zum Wagenboden stand. Es hat dann zweieinhalb Tage gedauert, bis das Wasser wieder abgeflossen war. Erst dann haben wir das ganze Dilemma ­gesehen.

Können Sie das beschreiben?

Ich hätte mir so etwas niemals vorstellen können. Eine Umgehungsstraße ist zur Hälfte verschwunden, Brücken sind weg, es ist ein unglaubliches Bild der Verwüstung. Bei uns war das Lager unter Wasser, die Werkstatt, das Büro. Das Wohngebäude liegt zum Glück etwas höher. Dort stand das Wasser bis unter die Kellerdecke. Da die Überschwemmung nach Mitternacht kam, standen auch neun Lkw auf dem Hof. Alle Fahrzeuge haben laut Sachverständigem einen Totalschaden, aber sie waren versichert. Das war bei Werkstatt und Büro nicht der Fall. Es geht uns wie vielen Kollegen hier im Ahrtal. Wir haben uns alle gedacht, wir brauchen keine Versicherung, denn hier ist ja noch nie etwas passiert. Jetzt sind wir eines Besseren belehrt worden.

Sie haben ja sicherlich auch mit traumatisierten Mitarbeitern zu tun …

Leider ja. Mit Menschen, die Angst um ihr Leben hatten und in höhere Stockwerke geflüchtet sind – das ist schon eine schwierige Situation. Manche Mitarbeiter haben ihr komplettes Haus verloren, es wurde einfach weggespült. Bei anderen sind die Wohnung oder das Auto zerstört. Von insgesamt 40 Mitarbeitern sind 10 betroffen. Wir haben versucht, für alle eine gute Lösung zu finden. Dabei haben wir ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Manche finden es toll, zu arbeiten, um auf andere Gedanken zu kommen. Andere wollen erst einmal schauen, wie sie ihr Leben wieder in den Griff bekommen.

Haben Sie das Geschehen für sich selbst verarbeiten können?

Ich habe sicher erst drei Tage später bewusst wahrgenommen, was passiert ist. Man reagiert wie im Krisenmodus, schaut, was das Wichtigste ist, und arbeitet eine To-do-Liste ab. Das Realisieren passiert so nach und nach. Sehr, sehr gut war, dass Kollegen uns direkt Hilfe angeboten haben.

In welcher Form ist das ge­schehen?

Bekannte, Freunde oder auch andere Spediteure sind von weit her gekommen, haben sich vier, fünf Stunden ins Auto gesetzt, um uns zu unterstützen. Aggregate und Wasserpumpen beispielsweise wurden gebracht, das war schon toll. Sie haben Aufträge übernommen, uns Fahrzeuge ausgeliehen, sodass wir dann relativ schnell wieder weiterarbeiten konnten – auch weil wir das Glück haben, dass es noch einen zweiten Standort in Bad Breisig gibt, der nicht unter Wasser stand.

Wie haben Sie sich organisiert?

Wir haben es innerhalb von drei Tagen geschafft, das Geschäft dort umzugestalten. Von da aus konnten wir neu starten, sodass wir mit über der Hälfte wieder unterwegs sind. Auch die Kunden waren sehr offen und haben gefragt, was sie tun können. Die Hilfsbereitschaft ist wirklich sehr groß, sowohl vonseiten der Kunden als auch vonseiten der Kollegen. Alle haben angerufen und gefragt: Wo brauchst du Unterstützung, wie können wir dir helfen? Das ist echt toll.

Die Branche fängt Sie also auf …

Ja, das ist so.

Können Sie die prekäre Lage wirtschaftlich stemmen?

Der Schaden ist groß, aber wir werden das schaffen. Bei den Lkw haben wir Glück, die sind vollkaskoversichert. Es ist natürlich schwierig, jetzt auf die Schnelle Ersatz zu finden. Da sind wir aktuell dran. Den restlichen Schaden können wir bewältigen, aber das wird uns um Jahre zurückwerfen. Gut ist, dass der andere Standort nicht betroffen ist. Der hilft uns jetzt enorm.

Hätte Ihrer Einschätzung nach der Bund bei der Bewältigung der Katastrophe präsenter sein müssen?

Das ist im Nachhinein schwer zu sagen. Es waren ja alle Hilfsorganisationen hier, und das war auch sehr gut. Es ist natürlich schwierig, wenn Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Polizei oder Rotes Kreuz alle auf einmal versuchen, an einem Ort zu helfen. Da entstehen auch Reibungsverluste, und Dinge können unglücklich laufen. Aber das hat ja vorher keiner geübt. Dass 63 Brücken zerstört werden? Dass Straßen verschwinden, dass es keine Gasleitung mehr gibt und Wasser- und Stromleitungen zerstört werden? Dass die Infrastruktur so beschädigt wird, damit hat ja kein Mensch gerechnet. Das war in der Organisation sicher total schwer.

Wie sehen Sie die Lage für die Region?

Es gibt eine große Spendenbereitschaft, und wir hoffen, dass sie anhält. Viele Menschen brauchen weiter Hilfe. In manchen Dörfern, wo alles zerstört wurde, stehen die Menschen immer noch buchstäblich vor dem Abgrund.

Zur Person

Firmenchef Arnd ­Dreimüller beschäftigt 40 Mitarbeiter und verfügt über einen Fuhrpark von 16 Fahrzeugen. Die Spedition Erich ­Dreimüller ist ein Familienunternehmen, das vor mehr als 50 Jahren gegründet wurde. Der Wandel vom reinen ­Transportdienstleister zum Anbieter von Mehrwertdienstleistungen in der Logistik ist bereits vor Jahren ­eingeleitet worden.

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