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"Fahrer wie Aussätzige behandelt" Logistik in Zeiten von Corona

Foto: industrieblick - Fotolia

Der freie Warenverkehr und die Versorgung der Bürger sind gesichert – aber die Lieferketten zumindest für manche Produktgruppen und auch die Arbeit vieler Logistikbeteiligten sind von der Pandemie betroffen. trans aktuell hat sich bei Verladern und Logistikern umgehört.

Internationale Logistikunternehmen wie Geodis haben schon vor einigen Wochen reagiert. Nach eigenen Angaben hat der französische Logistiker bereits im Februar „auf die Covid-19 bedingten Kapazitätsengpässe“ die bestehenden Angebote erweitert und unter anderem neue Charterflüge zwischen Europa, Asien, USA und Lateinamerika eingerichtet. Auch den Bahntransport als Transportalternative von Ost nach West pusht Geodis, und kündigt an, die Zahl der Ganzzüge von China nach Europa zu steigern, um vor allem eilige Güter zu befördern. Die Transitzeit für Standard-Dienste per Bahn beträgt demnach 18 Tage, der Express-Service zwischen dem chinesischen Wirtschaftszentrum Xi'an und Hamburg lediglich zwölf Tage.

Messelogistik: Auslastung gegen Null

Ganz massiv sind die Folgen der Covid-19-Pandemie für Unternehmen, die mit Events und Veranstaltungen ihr Geld verdienen – Messelogistiker etwa. „Grundsätzlich ist die Lage natürlich schlecht“, sagt Christoph Rauch, Geschäftsführer der BTG Messe-Spedition in Langweid und Vorstand im Verband der internationalen Messelogistiker IELA. „Im Prinzip sind fast alle Messen angesagt beziehungsweise verschoben worden und entsprechend ist die Auslastung, nämlich tendierend gegen Null.“ Es seien nur noch Kleinigkeiten zu tun, Rücksendungen zu koordinieren etwa stornierte Sendungen wieder aus dem Hafen holen. Da die Entwicklung im Osten angefangen habe, sei dieser Prozess für Asien fast abgeschlossen, „nun gibt es noch eine Restarbeiten für den Bereich Nord- und Südamerkia und dann ist Schluss“. An die Politik richtet Rauch den Appell, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen. „Wir sind ein kerngesundes Unternehmen mit ausreichend Liquidität, aber momentan im Prinzip ohne Beschäftigung, da uns durch die Messeabsagen die Geschäftsgrundlage entzogen wurde. Wir können die Zeit sicherlich überbrücken, aber für die Mitarbeiter wäre ein erhöhtes Kurzarbeitergeld direkt von Nutzen!“

Neue Aufträge bei Konsumgüter

Events sind bei der Maintaler Group nur ein Geschäftsbereich – der Wegfall dieses Geschäfts wird laut Geschäftsführer Markus Grenzer durch neue Aufträge im Bereich Konsumgüter aufgefangen. Aktuell seien „für vier namhafte Hersteller rund 15 Lkw von Maintaler am Laufen". Auch in das Risikogebiet in Norditalien fährt die Maintaler Group – ausgestattet mit einem Schreiben für die Kontrollbehörden, das die Dringlichkeit der Transporte für den Produktionsbetrieb eines Automobilherstellers darlegt.

Was Grenzer ärgert: Dass die Fahrer bei den Entladestellen auch in Deutschland mit Hinweis auf das Gesundheitsrisiko der Zugang zu Toilettenräumen beziehungsweise Waschbecken versagt wird, „teilweise werden sie wie Aussätzige behandelt. Das Thema Wertschätzung müssen wir nach der Krise auf jeden Fall wieder bearbeiten.“

Keine Pharma-Rohstoffe aus China

Negativ betroffen von der weltweiten Krise ist der Pharmabereich: Laut André Reich, Gründer und Geschäftsführer der UNITAX-Pharmalogistik in Berlin, hat das eigene Unternehmen zwar zum Glück keine Ausfälle zu verzeichnen, weder bei den Fahrern, noch im Lager. Schwierig sei hingegen die Situation bei manchen Kunden. „Rohstoffe und Fertigarzneimittel aus China und Indien kommen nicht nach“, sagt er. Um die Rohstoffversorgung besser abzusichern, werde die EU laut Reich ein Konzept auflegen, damit in Europa selbst wieder wichtige Rohstoffe hergestellt werden.

Friesland Campina richtet Produktionskapazitäten nach Nachfrage

Auch in puncto Lebensmittel müssen sich Verbraucher laut den Herstellern keine Sorge um Mangel machen. Der Milchkonzern Friesland Campina etwa hat bestehende Planungsszenarien aktiviert und ist in ständigem Kontakt mit den Milchviehhaltern sowie den Lieferanten und Dienstleistern in Bereichen wie zugekaufte Zutaten, Verpackungen und Logistik. Die Produktionskapazitäten werden laut dem Hersteller auf die Nachfrage ausgerichtet.

Für die Sicherheit etwa der Fahrer und zum Schutz vor einer Ausbreitung des Virus „haben wir – zusätzlich zu unseren bereits bestehenden, sehr strengen Hygieneregeln – weitere Maßnahmen in unseren Produktionsstätten ergriffen“, teilt der Konzern auf Anfrage von trans aktuell mit. Dazu gehört beispielsweise, dass der direkte Kontakt zwischen Lieferanten und Logistikern mit der Belegschaft vermieden wird, zudem sind Externe zu einer Selbstauskunft verpflichtet zu Themen wie „Gesundheitszustand“, „Kontakt zu erkrankten Personen“ oder „Reisen in Risikogebiet“. Darüber hinaus seien die Reinigungs- und Desinfektionsintervalle deutlich erhöht.

Dass sich Menschen über den Verzehr kontaminierter Lebensmittel infiziert haben, davon gibt es laut Friesland Campina noch keine Fälle, daher gebe es auch keine spezifischen Handlungsempfehlungen für Lebensmittelbetriebe. Dies gelte ebenso für einen haptischen Kontakt mit Verpackungen.

Lebensmittellogistik: Kontrollen bei Belieferung

Logistiker, die etwa temperaturkontrollierte Lebensmittel fahren, haben derzeit mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen: Die Mitglieder der Kooperation Dialog etwa machen die Erfahrung, dass die „normale Anzahl“ an Stopps in der Flächenverteilung schon jetzt nicht mehr bewältigt werden kann, da viele Empfänger beispielsweise umfangreiche Kontrollen bei der Belieferung eingeführt haben und teils nicht mehr bereit sind, Zustellungen auf Lieferscheinen und/oder Scannern zu quittieren, sagt der Dialog-Vorstand Uwe Komma. „Es muss demensprechend disponiert werden, dies führt natürlich zu weiteren wirtschaftlichen Nachteilen, wobei ich dies im Moment nicht in den Vordergrund stellen möchte. Es werden sich jedoch gravierend negative und vielmals existenzielle Auswirkungen ergeben.“

Durchaus von der Krise profitieren die Logistikanbieter auf der letzten Meile – wenn der stationäre Handel bis auf die Lebensmittelversorgung dicht ist, verlagern sich viele Leute auf den E-Commerce und nehmen dabei gerne auch mal längere Lieferzeiten in Kauf. Das Unternehmen Liefery etwa, das für großer Onlinehändler die letzte Meile übernimmt, hat bei der Versorgung mit Lebensmitteln seit Anfang März einen Nachfrageanstieg von 70 Prozent erfahren. Diese Steigerung gehe mit einem mit einem logistischen Aufwand einher, den auch die Technologie- und Serviceplattform für Logistik von Liefery spüre.

Toilettenpapier-Produktion auf dem Höchststand

Im Mittelpunkt der Corona-Berichterstattung stehen schon seit Wochen die Toilettenpapier-Firmen. Ihre Produkte werden von den Kunden buchstäblich aus den Regalen gerissen, und die Händler kommen mit dem Nachfüllen nicht nach. So stellt sich schnell die Frage, wie es um die Produktion der weißen Rollen steht. Der Hygienepapier-Hersteller Essity mit Konzernzentrale in Stockholm bestätigt auf Nachfrage, dass die Maschinen in Deutschland voll genutzt werden und durch den Verzicht auf Wartungsabläufe durchgehend im Einsatz sind. Zudem sei das Lager des Unternehmens, das unter anderem Produkte der Marken Zewa und Tempo fertigt, gut gefüllt.
Auch beim Anliefern der Rohmaterialien und dem Ausliefern würden die Abläufe störungsfrei sein. „Unsere Logistik funktioniert. Hunderte Lkw verlassen täglich das Werk“, erklärt eine Essity-Sprecherin. Die Produktion befindet sich so allerdings am Maximum und kann nicht weiter gesteigert werden. Damit die Versorgung zukünftig wieder normal und flächendeckend ablaufen könne, richtet Essity deshalb einen Appell an die Kunden: Für Hamsterkäufe von Toilettenpapier gibt es keinen Grund. Man treffe alle Vorsichtsmaßnahmen bei der Produktion, um die Versorgung auch künftig zu sichern.

Fashion: Auswirkungen noch im Juli

hDas auf Supply Chain Management-Software spezialisierte Unternehmen Setlog warnt vor langanhaltenden Folgen etwa für den deutschen Fashionbereich, mit Auswirkungen auch auf den Transport. In Analysen hat demnach Setlog berechnet, dass die Lieferverspätungen für Waren aus Asien derzeit im Durschnitt 20 Tage betragen, für die Sommermonate könne es sogar vereinzelte Verspätungen von bis zu 50 Tagen geben. Vor allem in Asien sei damit zu rechnen, dass die Transportkapazitäten in den kommenden Monaten nicht ausreichen werde: „Nach derzeitigem Stand wird die Lage für Unternehmen, die insbesondere aus China beliefert werden oder Rohwaren von dort für ihre Produktionen beziehen, ab Juli besonders eng“.

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