Das Coronavirus bringt Lebensmittellogistikern einen Mengenschub. Carsten Taucke, CEO der Nagel-Group, spricht im Umgang mit der Fachzeitschrift trans aktuell über die Ausnahmesituation.
Taucke: Wir wissen, wie relevant wir für die Versorgung unserer Mitmenschen sind. Deshalb versuchen wir mit aller Kraft, die Versorgung der Bevölkerung in Europa aufrecht zu erhalten. Als besondere Herausforderung stellen sich dabei besonders die Hamsterkäufe vieler Menschen dar, die ich für außerordentlich bedenklich halte.
Das gelingt uns gut. Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten Großartiges – an allen Standorten und Einheiten, ob im Büro, im Lager oder unterwegs, um besonders auch unsere Fahrer zu erwähnen. Die Nagel-Group steht zusammen.
Wie können Sie in dieser schwierigen Situation Mengen und Linien überhaupt planen?Wir fahren auf Sicht und erhalten regelmäßig Updates, um die Lage immer wieder neu beurteilen zu können. Die Nagel-Group verfügt über ein Krisenteam, das sich aus Mitarbeitern aus unterschiedlichen Bereichen und Ebenen zusammensetzt und sich mehrfach täglich austauscht.
Was ist dabei die größere Herausforderung – die Bevölkerung zu versorgen oder ein Unternehmen mit mehr als 12.000 Mitarbeitern am Laufen zu halten?Beides ist sehr herausfordernd. Aber klar ist, dass wir als erstes schauen müssen, dass unsere Mitarbeiter maximal geschützt sind, sie Mindestabstände und Hygienevorschriften einhalten und die administrativen Funktionen räumlich besser verteilt werden – zum Beispiel wo es geht ins Homeoffice. Leider ist das nicht möglich, wenn wir beispielsweise an den gewerblichen Bereich, also Lagermitarbeiter und Fahrer denken. Klar ist auch, dass das Ganze in der Hektik des Tagesgeschäfts mit den unglaublichen Volumina nicht so ganz einfach herzustellen und aufrecht zu erhalten ist.
Es gibt tägliche Erinnerungen und Schulungen, in denen wir an die Mitarbeiter appellieren: Denkt auch an Euch und beachtet die Hygienevorschriften! Wie gesagt: Wir sind uns unserer unglaublichen Verantwortung bewusst, dass wir ein kritischer Baustein in der Versorgung der Menschen sind. Und wir wollen unsere Kollegen bestmöglich vor Risiken bewahren. Als Schutz vor Corona sind beispielsweise große Mengen an Desinfektionsmittel in unseren Standorten verfügbar gemacht worden.
Über welche Mengenzuwächse reden wir im Zeichen von Corona eigentlich genau?Wir haben ein deutlich höheres Volumen gegenüber dem Vorjahr beziehungsweise gegenüber dem März 2019. Konkret sind wir bisher auf dem Niveau eines sehr guten Ostergeschäfts. Bisher ist es uns auch gut gelungen, diese Mengen abzuwickeln und zu transportieren.
Können Sie das konkretisieren, um eine bessere Vorstellung über die zusätzlichen Volumina zu bekommen?Wir liegen etwa 15 bis 20 Prozent über Vorjahr. Diesen März waren die Mengen schon extrem hoch.
Und wie bekommen Sie diese Mengen abgewickelt?Durch eine flexible Organisation. Dazu gehört auch eine gute Mischung aus Eigenfuhrpark und Unternehmerfuhrpark, aus eigenen und gecharterten Linien. Und es hilft uns im Trockenbereich, dass krisenbedingt zusätzliche Kapazitäten an Unternehmern, die sonst im Industriebereich unterwegs wären, verfügbar sind.
Wie stark stocken Sie Ihre Kapazitäten auf, um die Zusatzmengen in Griff zu bekommen?Beim Aufbau von Kapazitäten agieren wir immer vorsichtig. Wir müssen schließlich auch unsere Kosten im Griff behalten. Die ganzen Maßnahmen kosten schon heute viel Geld. Die Prozesse laufen nicht im Normalzustand, das schmälert die Produktivität deutlich. Also fahren wir auch beim Steuern der Kapazitäten auf Sicht.
Gibt es viele kritische Stimmen, die Sie mitverantwortlich dafür machen, dass die Regale, etwa bei Mehl und Milch, leer sind?Nein, wir werden zum Glück nicht angefeindet, weil vereinzelt die Regale leer bleiben. Im Prinzip ist jeder dankbar, dass wir liefern. Jedem ist doch die besondere Situation bewusst. Und jeder muss sich in dieser Situation auch fragen, wie er sich selbst beim Einkaufen verhält. Da habe ich wie wahrscheinlich viele andere Konsumenten meine ganz eigenen Erfahrungen gemacht. Kaum wird die Palette Toilettenpapier eingeräumt, wird die Ware der Mitarbeiterin ohne jegliche Distanzwahrung aus Händen gerissen. Das ist ein vielleicht menschliches, aber unangebrachtes Verhalten.
Toilettenpapier hat ein Frischelogistiker wahrscheinlich nicht im Portfolio. Aber was sind in Zeiten von Corona Ihre Schnelldreher?Wir sind ja nicht nur temperaturgeführt, sondern auch im Trockensegment unterwegs. Darauf bezogen sind Milch, Mehl, Nudeln und Reis aber auch Konserven zurzeit am stärksten gefragt.
Wir stellen uns darauf ein, dass die Lage angespannt bleibt und es dynamisch weiter geht. Unser Krisenstab tagt weiterhin regelmäßig, es gibt tägliche Abstimmungen mit den operativen Einheiten und Ländern sowie Volumen- und Mengen-Updates. Die schlimmsten Szenarien in der Bevölkerung, nämlich dass alles dicht macht, haben sich zum Glück nicht bewahrheitet. Wir können weiterhin Lebensmittel einkaufen. Deshalb hoffe ich, dass die Hamstermentalität etwas abnimmt und wir auf eine stabilere Versorgung und eine stabile Steuerung der Warenströme hinauslaufen.
Zur Person
- Carsten Taucke ist seit Dezember 2018 CEO der Nagel-Group mit Sitz in Versmold. Der Lebensmittellogistiker beschäftigt an mehr als 130 Standorten rund 12.000 Mitarbeiter und erzielte zuletzt einen Jahresumsatz von rund zwei Milliarden Euro.
- Taucke war zuletzt CEO bei Imperial Logistics International; seit 2010 war er bei Imperial tätig. Zuvor hatte er Führungsfunktionen bei anderen Logistikunternehmen ausgeübt, unter anderem als Deutschland-Chef von Fiege.
- Der 54-Jährige ist gelernter Logistiker. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder
