Fahrer vor Gericht Eine bemerkenswerte Verkehrskontrolle

Foto: Autobahnkanzlei

Ein Kocher im Fahrerhaus von Holger löst eine juristische Lawine aus, die erst im Gerichtssaal gestoppt werden kann.

Samstagvormittag in der Autobahnkanzlei Mellingen. Holger* hat mich gestern Abend angerufen. Verstört redet er davon, dass er einen Bußgeldbescheid bekommen habe, der zehnmal so hoch sei, wie er erwartet habe. Alle seine Freunde waren sich einig: Das kann nur eine kleine Verwarnung geben, wenn überhaupt. Er hat sich deswegen auch gar nicht erst an die Autobahnkanzlei gewandt. Er dachte, das gehe schon so in Ordnung. Wenn die ihm die Verwarnung über 30,00 Euro schickten, dann zahle er das eben.

Gestern Abend ist er aus seinem Urlaub in Tschechien zurückgekommen. Da war – wie er sagt – die Welt noch in Ordnung. Alles war gut und er war lustig drauf. Das hat sich schlagartig geändert, als er den gelben Umschlag aus dem Briefkasten geholt und geöffnet hat. Holger hat mich dann gleich angerufen und wir haben uns für den nächsten Morgen in der Autobahnkanzlei Mellingen verabredet. Die Sache erlaubt keinen Aufschub bis zum Montag. Das Wochenende von Holger wäre sonst völlig vergeigt gewesen.

Polizeikontrolle erfolglos

Nun sitzt er mir gegenüber. Ein gestandener Kerl. 58 Jahre alt. 40 Jahre Lkw-Fahren hat er auf dem Buckel. Er hat schon viel erlebt. "Jeder Tag", sagt er, "ist ein Erlebnis, jeder Tag ein Abenteuer und als Fahrer bist du jeden Tag gefordert und du musst immer das Beste daraus machen." So etwas wie diese Polizeikontrolle hat er allerdings noch nie erlebt. Er erzählt von seinem Leben als Fahrer. Es macht ihm auch nach 40 Jahren noch Spaß, obwohl er doch viele Opfer bringen müsse. Seine Ehe ist daran zugrunde gegangen, dass er selten zu Hause war. Die Gerichtsverhandlung über die Scheidung war ein sehr gruseliges Erlebnis für ihn. Getoppt wird das jedoch von dieser Polizeikontrolle.

Eine Stunde haben die seinen Lkw durchsucht und sie haben nichts, aber auch gar nichts gefunden, noch nicht einmal eine Minute Fahrzeitüberschreitung. Der Zustand seines Lkw ist picobello. Es ist kein Lämpchen zu viel. "Der Beamte war sauer, weil er nichts gefunden hatte. Der wollte irgendetwas nachweisen. Die Kontrolle war für mich persönlich eine Schikane." So ist das eben, wenn man nicht fündig wird. Man wird sauer.

Das polizeiliche Verhalten – so wie es Holger erzählt – ähnelt irgendwie dem Verhalten meiner Kinder an Ostern, wenn die Eltern die Ostereier zu gut versteckt haben und sie nichts finden. Irgendwann jubilierte der Beamte, so empfand es Holger innerlich. Er hatte einen Gaskocher im Fahrerhaus gefunden. In diesem Moment ging wohl die Fantasie mit ihm durch und der Behördenstrang einschließlich der Zentralen Bußgeldstelle des Landes Brandenburg sind ihm gefolgt.

So heißt es jetzt im Bußgeldbescheid: "Sie unterließen es als Fahrzeugführer, unverpackte gefährliche Gegenstände durch geeignete Mittel, die in der Lage sind, die Güter im Fahrzeug oder Container zurückzuhalten, zu sichern. Bei der Kontrolle wurde im Fahrerhaus zwischen den beiden Sitzen ein ungesicherter Gaskocher festgestellt."Nahezu skurril wird die ganze Nummer, wenn man berücksichtigt, dass weder unter oder in dem Gaskocher eine Gaskartusche war. Ich kann nur den Kopf schütteln über das, was hier passiert ist. Mit Gefahrgut hat das Ganze nichts zu tun. Mit Ladungssicherung auch nicht. Zukünftig muss ich wohl das Fahrtenbuch, das auf dem Beifahrersitz liegt, angurten.

Akteneinsicht lässt Zweifel aufkommen

Ärgerlich für mich ist, dass sich hier nicht nur ein Beamter völlig verrannt hat, sondern der nachfolgende gesamte Behördenstrang und auch das Gericht diese Angelegenheit bis zum Termin weiterverfolgt haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer, Holger nervlich wieder zusammenzusetzen. Ich kenne ihn schon seit vielen Jahren. Er ist ein sehr lustiger Typ und so verlässt er auch die Autobahnkanzlei in Mellingen. Gegen den Bußgeldbescheid lege ich Einspruch ein.

Als ich die Akte bekomme, drängen sich weitere Zweifel auf. Die Postzustellungsurkunde ist nicht ordnungsgemäß unterschrieben. Selbst wenn man den Namen des Zustellers kennt, der unter der Unterschrift aufgedruckt ist, kann man ihn auch mit großer Fantasie in der Unterschrift nicht wiedererkennen. Die formellen Anforderungen an eine Postzustellungsurkunde sind groß, weil dieser nahezu absolute Beweiskraft zukommt. Dass Holger auf dem Parkplatz stehend einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen wurde und somit in den Sternen stand, wie der Gaskocher beim Fahren untergebracht war, ist ein weiterer Baustein in diesem völlig skurrilen Fall.

Die Verhandlung wird auf die erste Februarwoche angesetzt. Innerhalb von fünf Monaten ist der Termin anberaumt. Das ist zügig. Ich telefoniere mit meinem Kollegen Silvio Lange aus der Autobahnkanzlei Neustadt-Glewe. Der hat zur Vorbereitung unseres Gesprächs die Akte rechtlich auseinandergenommen. Er kommt zum selben Ergebnis wie ich. Das Telefonat endet damit, dass er mir sagt: "Hör mal, Peter, auf das Ding freue ich mich wirklich!" Die Verhandlung ist auf 13:30 Uhr angesetzt.

Silvio ist um 13 Uhr vor dem Gericht. Holger hat er von der Anwesenheitspflicht befreien lassen. Der ist zwar in der Regel gut drauf, aber immer noch stark emotional, wenn er an die Kontrolle denkt. Daher bleibt er besser zu Hause. Autobahnanwalt Lange wird pünktlich in den Gerichtssaal gerufen. Der ist derart monumental, dass er einem die Sprache verschlägt. Irgendwo am Ende des Saals wirkt die adrette Richterin mit ihren blonden Haaren ganz klein. Es ist doch alles glasklar, meint sie. Darauf antwortet Silvio Lange: "So sehe ich das auch! Vielleicht beschäftigen wir uns zunächst erst einmal mit den ‚Vorschriften über die Beförderung und die Be- und Entladung sowie die Handhabung gefährlicher Güter‘."

Tatvorwurf bleibt unbewiesen

Vorgeworfen werde, führt Autobahnanwalt Lange aus, ein Verstoß gegen Paragraf 7.5.7.1. Den liest die Richterin jetzt vor. Sie verzieht dabei das Gesicht und versteht offensichtlich beim Lesen, dass hier etwas ganz anderes als ein Gaskocher gemeint ist. Der Blick ist ein wenig entschuldigend. Silvio Lange legt noch einen drauf. Er meint, selbst wenn die Norm hier Anwendung finden würde, sei doch in keiner Weise bewiesen, dass unter oder neben dem Gaskocher eine Gaskartusche gewesen sei. Es sei lediglich das Kochfeld fotografiert. In dem Lkw habe es möglicherweise kein einziges Gramm Gas gegeben.

Der Richterin bleibt die Spucke weg. Sie stellt fest, dass der Zeuge nicht geladen ist. Die Formalien sind immer noch nicht durchgezogen. Autobahnanwalt Silvio Lange ermahnt vorsichtig, dass doch jetzt einmal die Personalien abgefragt und der Bußgeldbescheid verlesen werden solle. Danach könne man weiter zur Sache verhandeln. Die Richterin holt das hektisch nach, bedankt sich für den Hinweis. Jetzt geht’s weiter. Die Fotos werden in Augenschein genommen. Auf denen findet sich rein gar nichts Belastendes für Holger. Keine Gaspatrone. Keine Gasflasche. Keine Gaskartusche. Auch in der Anzeige steht nichts Konkretes. Der Tatvorwurf bleibt völlig unbewiesen. Die Richterin runzelt die Stirn. Autobahnanwalt Silvio Lange wird um sein Plädoyer gebeten. Er beantragt Freispruch, hilfsweise die Einstellung des Verfahrens. Dem folgt die Richterin und stellt das Verfahren ein.

Die Anwaltskosten und die Auslagen werden der Landeskasse auferlegt. Im unmittelbaren Anschluss an die Urteilsbegründung schaut Silvio Lange noch einmal zum Richtertisch. Er fragt, ob er noch eine kurze Erklärung abgeben könne. Autobahnanwalt Lange führt aus: "Schade, dass der Zeuge nicht da gewesen ist. Seine Anwesenheit hätte sicherlich auch eine erzieherische Wirkung auf ihn gehabt."

*Namen wurden von der Redaktion geändert.

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