Alkohol am Lkw-Steuer Ernüchternde Bilanz

Foto: Jan Bergrath

Auf den ersten Blick sind es Einzelfälle. Aber von 60 lokalen Pressemeldungen des Jahres 2016 mit den Stichworten "Lkw-Fahrer" und "Promille" sowie "Alkohol" betreffen fast 90 Prozent Fahrer aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Das gibt Anlass zur Sorge. 

"Lkw-Fahrer klaut Schnaps". Das klingt auf den ersten Blick wie eine der vielen skurrilen Randmeldungen der lokalen Presse. Doch der 23 Jahre junge Mann, der Mitte April diesen Jahres laut Angaben des Nordbayrischen Kuriers auf der Raststätte Frankenwald an der A 9 in der Tankstelle eine Flasche Wodka entwendet hatte und kurz darauf von der Polizei nach der Anzeige durch die Verkäuferin an seinem geparkten Lkw aufgefunden wurde, hatte nach einem Alkoholtest bereits 3,2 Promille im Blut. Nach meiner Nachfrage bei der Autobahnpolizei Hof ist es gewiss – der Pole hatte dort sein Wochenende verbringen müssen. 

Auf den ersten Blick sind es lauter Einzelfälle

Wenige Wochen später verweigerte die Polizei wiederum einem polnischen Fahrer am Sonntagabend auf dem Autohof Berg die Weiterfahrt, nachdem dieser, wie die lokale Presse mit Ironie gemeldet hat, 3,2 Promille "getankt" hatte. Ebenfalls an einem langen Wochenende prügelten sich betrunkene Fahrer aus Litauen nach Meldungenaus Bayern um eine Flasche Whiskey. Auch in einem Duisburger Industriegebiet kommt es an einem Samstag zu einer Schlägerei. Diesmal verprügelten Kollegen einen stark angetrunkenen Rumänen und hinderten ihn an der Weiterfahrt in seinem Lkw. 

Auf den zweiten Blick eine auffällige Häufung

Der Grund, warum ich dieses Thema nun in meinem Blog aufgreife, ist wiederum eine recht aktuelle Meldung aus der Presse, die auf Facebook diskutiert wurde. Anfang November hat ein Sattelzugfahrer auf der B 30 bei Biberach seinen Sattelzug mit 2,5 Promille in den Graben gesetzt. Der Geschäftsführer des Unternehmens, zeigt sich nach meiner Anfrage geschockt: "Der Trailer wurde von einem Unternehmer aus Rumänien gezogen, der seit vielen Jahren ohne Auffälligkeiten für uns tätig ist. Die Geschichte ärgert niemanden mehr als mich. Sie stellt einen so noch nie dagewesenen Einzelfall dar, der von uns dennoch genauestens analysiert wird, um daraus zu lernen." 

Dieser Unfall ist glimpflich abgelaufen. In meiner Liste finden sich aber auch krasse Beispiele mit tödlichem Ausgang so wie dieser dramatische Unfall in Saarbrücken. So hatte laut Bild der "Todes-Trucker" aus Rumänien, der in Saarbrücken einen jungen Radfahrer über 100 Meter mitschleifte, 2,4 Promille im Blut.

Eine besorgniserregende Sammlung

Ich habe mir deshalb einmal die Mühe gemacht und bei Google die Stichworte "Lkw-Fahrer" und "Promille" sowie "Alkohol" eingegeben. Beim Lesen war ich selber entsetzt. Denn das Ergebnis ist ein langes besorgniserregendes Word-Dokument, das hier unten mit verfügbaren Links angehängt ist. Es sind 60 Pressemeldungen lokaler Medien allein aus dem Jahr 2016. Ich bin sicher: Mit anderen Stichworten würden sich noch weitere Treffer ergeben. Und die Dunkelziffer der nicht entdeckten Fälle dürfte weitaus größer sein. Und noch eins: Es handelt sich um Meldungen, bei denen die Polizei eingeschaltet war und die Presse informiert wurde. Also schon besonders schwere Fälle.

Es gibt darunter einige krasse Fälle wie von der B247 und der A 7, da ist keine Nationalität genannt, es sind dabei auch wenige als "deutsch2 gekennzeichnete Fahrer dabei, wie dieser Fahrer aus Hamm, der auf der B 326 aufgegriffen wurde. Doch, so die leider ernüchternde Bilanz meiner Internetrecherche, rund 90 Prozent der hier verzeichneten Meldungen betreffen die Fahrer aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Mein "Favorit", wenn man das angesichts dieses traurigen Themas überhaupt sagen darf, ist die über den Sattelzug einer Spedition aus Kaufungen, dessen arg betrunkener Fahrer, der "keinen Wohnsitz in Deutschland" hatte, mit zwei Promille im Baldinger Tor in Nördlingen stecken geblieben ist.  

Krasses Video auf Facebook

Ebenso bin ich bei Facebook auf ein undatiertes Video gestoßen: es zeigt einen sturzbetrunken Fahrer, der auf dem ausländischen Firmengelände einer großen deutschen Spedition versucht, in seinen Lkw zu kommen – vergeblich. Es ist hier zu sehen. Es ist schockierend. Dazu passt die Meldung von der A 44, wo den Beamten, die einen bereits in Schlangenlinien fahrenden polnischen Lkw anhielten, die Schnapsflasche aus dem Fahrerhaus entgegenkullerte. Bei Landau fiel an einem Sonntag dann gleich ein Fahrer – hier aber ebenfalls ohne Angabe der Nationalität - der Polizei mit drei Promille aus dem Fahrerhaus in die Arme. 

Ein lange bekanntes Problem 

Ich sehe hier ein soziales Problem, dass bislang in der internationalen Logistik verschwiegen wird. Es geht dabei auch nicht um das landläufig kolportierte Trinkverhalten mancher Nationen. Es geht um tatsächlich erwiesene Fälle. Mich beschäftigt dieses Problem bereits geraume Zeit. Schon im FERNFAHRER 4/2015 habe ich über dramatische Todesfälle oder Schlägereien unter Fahrern aus Osteuropa berichtet. Diese Meldungen tauchen immer wieder auf. Erst vor wenigen Wochen kam auf der Rastanlage Hohenlohe-Süd an der A 6 ein 46-jähriger Pole ums Leben. Nach dem Polizeibericht hatte er sich am Wochenende, offenbar bereits stark alkoholisiert, geweigert, in den Bus zu steigen, der ihn nach Hause bringen sollte – er wurde erst geschlagen und dann von seinen "Kollegen" liegengelassen. Sie wollten weiter zu den anderen Wechselplätzen der Lkw. 

Folge des Sozialdumpings

Für mich sind diese Fälle auch ein klares Zeichen dafür, dass das Thema Sozialdumping weit mehr bedeutet, als darüber zu streiten, ob Fahrer ihre regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw verbringen dürfen oder nicht. Sie sind meines Erachtens eine unmittelbare Folge der Langeweile auf den Rastplätzen am Wochenende. Wer, wie ich, immer wieder an einem Wochenende über die bis auf den letzten Platz besetzen Raststätten an den deutschen Transitautobahnen streift und die leeren Schnapsflaschen und Bierdosen sieht, kann keine andere These aufstellen: Es handelt sich dabei wohl oft um Frustsaufen aus Langeweile oder aus Verzweiflung. So sieht es auch der belgische Hauptinspektor Raymond Lausberg. Immer wieder ermittelt er anhand seines Computerprogramms, dass die Fahrer aus Osteuropa, die er an der E 40 bei Lüttich kontrolliert, sechs bis acht Wochen am Stück quer durch Europa unterwegs sind. Immer wieder findet er in den Fahrerhäusern oder den Staukästen Flaschen mit Hochprozentigem.

Alle schauen weg

Nur in einem Fall ist bekannt geworden, dass die Polizei, wie hier in Grünstadt nach dem 1. Mai die Lkw kontrolliert hat. Von der Autobahnpolizei Köln weiß ich, dass sie gelegentlich am Sonntagabend mit ihren Fahrzeugen in der Ausfahrt eines mit Lkw aus Osteuropa vollbesetzten Parkplatzes an der A 4 steht. Doch viele Kontrollorgane schauen scheinbar weg, wenn entlang der deutschen Transitautobahnen die Fahrer aus Osteuropa gerade während des Winters unter erbärmlichen Umständen auf die Weiterfahrt warten. Zwar bieten die schwedischen Hersteller Scania und Volvo optional schon seit zehn Jahren ein gut funktionierendes Alkolock-System an. Vor Jahren habe ich so ein System in einem Scania selber getestet. Doch außerhalb von Skandinavien ist die Einbaurate leider sehr niedrig bis nicht existent. Schlicht, weil es im Rest Europas nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist. 

Nur drei Prozent alkoholbedingte Lkw-Unfälle

Für mich sind diese erschreckenden Meldungen über die Fahrer aus den MOE-Ländern, die hierzulande betrunken am Lkw aufgegriffen werden, nur vordergründig Zufallstreffer. Eine aktuelle Statistik von Destatis aus 2016 zeigt auf Seite 25 zwar, dass bei allen Unfällen im Transport lediglich drei Prozent auf Alkoholeinfluss zurückzuführen sind. Auffälliges Verhalten von Lkw-Fahrern oder vor einem Unfall ertappte Alkoholsünder weist sie aber nicht aus. 

Kein Kavaliersdelikt

Alkohol am Steuer ist kein Kavaliersdelikt. Wer erwischt wird, verliert seine Fahrerlaubnis. Für Lkw-Fahrer bedeutet das oft den Verlust des Jobs. Zum Thema Alkohol am Lkw-Steuer gibt es klare Regeln. Natürlich kann sich ein Unternehmer aus den MOE-Staaten herausreden, er habe keinen unmittelbaren Einfluss, was sein Fahrer in seiner Freizeit macht. Anders sei es, wenn ausländische oder auch deutsche Fahrer unmittelbar im Einflussbereich des Unternehmers arbeiten, erläutert Matthias Pfitzenmaier. "Setzt ein Firmenchef, Disponent oder Verkehrsleiter einen Fahrer ein, von dem er weiß oder wissen konnte, dass er bereits in der Vergangenheit mit Alkohol am Steuer unterwegs war, riskiert er für den Fall eines alkoholbedingten Unfalls des Fahrers, bei dem ein Dritter verletzt oder getötet wird, eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung, wenn er nicht unterbunden hat, dass dieser Fahrer alkoholisiert am Steuer sitzt", erklärt der Anwalt.

Nur ein kleiner Trost

Ich bezweifle, dass das Verbot, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, in naher Zukunft kommt. Und klar – selbst im Hotel kann man aus Frust oder Lust trinken. Aber die Gesellschaft kann nicht ständig wegschauen und dieses Problem verdrängen. Dieser Tage bereiten sich deutsche Fahrer wieder darauf vor, die Kollegen aus den mittel- und osteuropäischen Ländern an Weihnachten auf den deutschen Raststätten mit Gebäck und anderen Dingen zu erfreuen. Einige TV-Sender wollen sogar darüber berichten. Am Missstand selbst wird das leider nichts ändern. Denn die europäische Politik ist weit davon entfernt, durch eine klare Regelung dafür zu sorgen, dass die Fahrer aus Osteuropa ein – nach unserem Standard – würdiges Leben unterwegs führen können. 

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