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Tödliche Radunfälle mit Lkw Diskussion über Bike-Flash in Garbsen

Bike-Flash, Verkehrswarnanlage Foto: Bike-Flash

34 Radfahrer kamen 2018 bei Lkw-Unfällen bundesweit ums Leben. Die Verkehrswarnanlage Bike-Flash soll weitere Unfälle verhindern – doch das Ministerium hat Bedenken.

Exakt 34 Radfahrer kamen 2018 nach Angaben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) auf Deutschlands Straßen bei Lkw-Abbiegeunfällen ums Leben. Die Politik hat die Brisanz des Themas erkannt. So arbeitet Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf eine europaweite Pflicht zur Einführung von Abbiegeassistenten hin. In Baden-Württemberg gibt es ein Programm zur Förderung der Nachrüstung mit Abbiegeassistenten. Und auch auf kommunaler Ebene zeigt sich Aktivität: Bereits im Herbst hat die Stadt Garbsen bei Hannover das Verkehrswarnsystem Bike-Flash installiert. Es befindet sich an einer gefährlichen Kreuzung an der Burgstraße in der Nähe des Amazon-Versandlagers. Das ist zugleich der erste Standort der Lösung. Die Kosten von 34.000 Euro haben sich die Region Hannover und die Stadt Garbsen hälftig geteilt. Bike-Flash ist im Grunde eine Stele, die durch Wärmesensorik permanent den toten Winkel bis zu einer Entfernung von 40 Metern überwacht. Erkennt das System einen ankommenden Radfahrer oder Fußgänger im Wärmebild, aktiviert es vier Leuchtbügel. Diese blinken in unterschiedlichen ­Höhen, sodass sie während des gesamten Abbiegevorgangs sowohl für höher sitzende Lkw-Fahrer als auch für Fahrer von Kleinwagen zunächst im Sichtbereich der Frontscheibe erkennbar bleiben, dann im Beifahrerfenster und anschließend auch im Rückspiegel.

Evaluierung bis Sommer

Das Ziel des Modellversuchs: Die Kreuzung soll dauerhaft sicherer werden. Fahrradfahrer sollen hier vor allem von den Lastwagenfahrern, die auf das Amazon-Betriebsgelände fahren, besser gesehen und dauerhaft geschützt werden. Momentan evaluiert ein Hamburger Büro im Auftrag der Region Hannover das Projekt. Mit ersten Ergebnissen des Gutachters rechnet Garbsen bereits für Ende März. „Eine abschließende Evaluierung ist bis zu den Sommerferien 2019 vorgesehen. Danach entscheiden wir über einen dauerhaften Betrieb“, erklärte der Sprecher der Stadt Garbsen, Benjamin Irvin, gegenüber trans aktuell. Die Rückmeldungen seien bisher überwiegend positiv, berichtet Irvin. Das Husumer Unternehmen MRS Mobile Road Safety vertreibt das Warnsystem Bike-Flash seit Januar 2018 europaweit. Erfinder Martin Budde erklärt: „Ich freue mich sehr, dass meine Idee in die Tat umgesetzt worden ist. Während in Deutschland ständig über ­Abbiegeassistenten diskutiert wird, um Radfahrer im toten Winkel zu erkennen, gibt es mit dem Bike-Flash jetzt eine präventive ­Sofortmaßnahme.“

Prüfung noch nicht abgeschlossen

Doch dass die Anlage dauerhaft in Garbsen stehen bleiben kann, ist nach Ansicht des Landesverkehrsministeriums Niedersachsen nicht sicher. „Wir prüfen derzeit die Bike-Flash-Anlage in Garbsen, und diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen“, teilte das Ministerium auf Anfrage von trans aktuell mit. „Grundsätzlich gilt, dass solche Anlagen für alle Verkehrsteilnehmer verständlich sein müssen und keine Scheinsicherheit hervorrufen dürfen“, so das Ministerium. „Diese und weitere Faktoren müssen bei dem neuartigen Bike-Flash erst einmal geprüft werden.“

Änderung der StVO nötig

Das Ministerium beschreibt den weiteren Verfahrensweg wie folgt: „Für die Straßenverkehrsordnung (StVO) ist der Bund Verordnungsgeber. Damit der Bund neue Verkehrszeichen aufnimmt, müssen diese hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihrer Ungefährlichkeit im Regelfall von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) überprüft und für gut befunden werden. Die Länder müssen dieser Änderung im Bundesrat zustimmen.“ Ein anderer Weg ist laut Ministerium, dass die Länder über ein Bundesratsverfahren die Änderung der StVO anstreben, indem sie den Bund auffordern, entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Die Anforderungen an die technische Zulassung einer neuen Verkehrseinrichtung oder eines neuen Verkehrszeichens bleiben aber bestehen. Weitere Voraussetzung: Die Mehrheit der Bundesländer muss zustimmen. Nach Ansicht des CDU-Regions­verbands Hannover zeigen die positiven Reaktionen der Verkehrsteilnehmer, dass die Anlage vor dem Amazon-Logistikgebäude bisher offensichtlich zuverlässig arbeitet. Daher ist die CDU dafür, den Modellversuch so lange weiterzuführen, bis „aussage­kräftige Ergebnisse vorliegen“. Jedoch erachtet die Partei eine Anlage wie Bike-Flash nur an besonders Lkw-belasteten Verkehrspunkten für sinnvoll. Bei normalen Verkehrsverhältnissen soll nach Auffassung der Christ­demokraten weiterhin der Einbau eines Abbiegeassistenten bei großen Lkw ausreichen.

Interesse aus dem Ausland

In der FDP-Regionsfraktion gebe es eine breite Unterstützung für die Fortführung dieses Modellversuchs, teilte die Partei gegenüber trans aktuell mit. Die Firma MRS Mobile Road Safety zeigt sich mit Blick auf die Bedenken des Ministeriums irritiert und verweist auf zahlreiche Anfragen nach dem System Bike-Flash, etwa aus Berlin, München oder Bonn. In der Planungsreife seien Hannover-Mitte und Osnabrück gewesen. Beide hätten jedoch nun das Projekt auf „Stand-by“ gestellt. Im Ausland sei das Interesse nach wie vor sehr groß, erklärt der Bike-Flash-Anbieter. „Dort kann man die Bedenken der Politik hierzulande überhaupt nicht nachvollziehen.“ MRS Mobile Road Safety fordert nun eine Anpassung der StVO. „Denn bei der Erstellung der StVO hat niemand daran gedacht, dass eine Anlage wie Bike-Flash eines Tages notwendig sein könnte, um Leben zu retten“, ­argumentiert das Unternehmen. Und weiter: „Wir meinen, dass Bike-Flash eine Ausnahmegenehmigung gemäß der StVO erhalten sollte. Die StVO ist ein über Jahre kaum verändertes Werk.“

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
trans aktuell 07 2019 Titel
trans aktuell 07 / 2019
15. März 2019
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