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Spedition John im Portrait Vom Hub Eichenzell weiter in die ganze Welt

Lkw, Cargoline, Hub Foto: Johannes Roller

Bei der Spedition John muss auch nachts alles wie am Schnürchen laufen − sie betreibt das Zentralhub von Cargoline.

Hin und her, vor und zurück – wie von einer verborgenen Macht gesteuert, bewegen sich die Ameisen in einem schwungvollen Takt, den keiner kennt. Ameisenballett im Hub-Umschlaglager des Cargoline-Partners John Spedition in Eichenzell. Die Halle scheint zu vibrieren vor wuselnden Flurförderzeugen. Andocken und – das Ganze videoüberwacht − abladen, einscannen, verfahren, ausscannen und beladen. Eine klare Dokumentation ist zentral, um Fehlladungen oder Schäden zu ermitteln. "Ab dem dritten Schaden haben die Jungs einen Kaffee und ein Gespräch bei mir gewonnen", sagt die John-Geschäftsführerin Birgit Bergemann mit vielsagendem Lächeln.
Hinter dem bunten Treiben im hessischen Zentral- und Europa­hub der Stückgutkooperation Cargoline steckt nicht nur jahrelanges Üben, sondern auch eine gute Prise Intuition. In nur viereinhalb Stunden müssen heute die 55 Lagermitarbeiter rund 850 Tonnen Stückgut umschlagen. Dass es dabei manchmal knirscht, ist nicht verwunderlich und auch sichtbar – jeder Stapler trägt ein paar Schrammen davon wie ein Boxer nach einem nächtlichen Kampf. "Ernsthaft passiert ist bei uns zum Glück noch nie etwas", sagt Bergemann.

Seit 2011 leitet die 52-Jährige die Geschicke der John Spedition, die vergangenes Jahr ihren 70. Geburtstag feierte. Sie übernahm das Ruder, nachdem sie jahrelang die Bereiche Personal und Managementsysteme verantwortet hatte, als ihr Vorgänger in den Ruhestand wechselte. Als eine der ersten Amtshandlungen holte sie den Europa-Hub von Cargoline wieder zurück nach Eichenzell.
Während an vielen Orten in Deutschland Ruhe einkehrt, beginnt hier in Eichenzell ab 21 Uhr die heiße Phase. Bis 20 Uhr erhält die John Spedition alle Frachtdaten. 42 Mitarbeiter nehmen in dieser Montagnacht die 2.359 Paletten und 810 Kolli entgegen, die die Partner aus dem ganzen Bundesgebiet an den 66 Toren anliefern. 13 weitere Mitarbeiter kümmern sich um die 664 Paletten und 361 Colli, die die internationalen Cargoliner an weiteren 48 Toren anliefern. Das System ist strikt organisiert, für reibungslose Prozesse erhalten die Lkw-Fahrer Zeitfenster, bei Nichteinhaltung gibt es Strafgelder.

Das Unternehmen wächst

Europaweit sind dem Cargo­line-Verbund 71 Partnerunternehmen angeschlossen, davon 47 in Deutschland. Wer den weitesten Weg hat, wird als Erstes abgewickelt und wie bei Tetris möglichst passgenau wiederbeladen. Mindestens 75 Lkw fahren in den viereinhalb Stunden die zwei Lagerhallen mit 6.500 und 3.500 Quadratmetern für nationale und internationale Sendungen an, die nur 300 Meter voreinander entfernt sind. Zusätzlich zu den Systemverkehren von Cargoline disponieren die Mitarbeiter täglich 15 Fernverkehrs- und 38 Nahverkehrs-Lkw, um John-Kunden zu bedienen. Dabei sind nur noch zehn eigene Lkw mit elf Fahrern unterwegs. Doch auch mit den Subunternehmern geht Bergemann "gemeinsam durch dick und dünn", wie sie betont. Seine internationalen Landverkehre hat John komplett vergeben, je zur Hälfte an Cargo­line-Partner und andere Spediteure. "Eigene Lkw senden wir nicht ins Ausland", sagt Bergemann.
"Cargoline wächst, besonders international", sagt Netzwerk-Sprecherin Sandra Durschang. Weil das Hub 2008 aus allen Nähten platzte, wurde der Europaumschlag interimsmäßig an einen externen Dienstleister ausgelagert, jedes Stückgut mit internationalem Ziel wurde in Eichenzell ausgeladen, gescannt und per Shuttle rund 60 Kilometer weit ins zweite Hub gefahren. Seit 2012 ist das Europa-Hub wieder bei John, durch die Bündelung beider Hubs an einem Standort sparen die Cargoline-Partner Zeit und Geld. "Das ist ökonomisch, ökologisch und qualitativ ein Fortschritt", sagt Bergemann.

Night Line Europe

Ganz reibungslos lief der Neustart an einem Freitag leider nicht. "Wir hatten einen echten Vorführ-effekt." Heute kann Bergemann herzlich darüber lachen, dass die Lkw zeitweise eine lange Staukette bildeten, der damals scheidende Chef Klaus Schröder den Verkehr regelte, manche Lkw den Weg nicht fanden und kurzzeitig die IT ausfiel. Es wurde improvisiert und die Daten händisch ausgedruckt, in der Folgewoche lief alles problemlos.
Der Europahub profitiert von neuen Dienstleistungen der Kooperation – und umgekehrt. "Seit Herbst 2014 bieten wir für 30 Länder feste Regellaufzeiten an. Damit sind Fixtermine und Lieferscheinquittung nun auch international Standard", ergänzt Durschang. "Nightline" beziehungsweise "Night Line Europe" heißen die extra Services für Kunden, die ihr Stückgut am selben Tag, nach 24 Stunden oder mit Quittung senden wollen. Rund 40 Prozent der John-Kunden fragen dies laut Bergemann nach, die meisten laufen über den Hub.
Seit der Wirtschaftskrise 2009 achtet die Spedition noch stärker auf eine breite Streuung der Kunden nach Branchen. "Die ersten Top-20-Kunden machen heute noch jeweils fünf bis acht Prozent des Gesamtumsatzes aus. Wir haben aus der Krise gelernt", sagt Bergemann. Der Fuhrpark wurde von 24 auf 10 kleine und größere Lkw abgespeckt, um Fixkosten zu senken. "Bei zehn Fahrzeugen war unser Break-even."
Der Wandel vom Transport- zum reinen Logistikunternehmen könne sich jedoch auch wieder ändern. Denn viele Subunternehmer leiden laut der Speditions-Chefin zunehmend unter dem Fahrermangel. Was passiert, wenn daraufhin auch die Qualität leidet? "Wir wollen unsere Transportunternehmen unterstützen, auch bei der Ausbildung, etwa durch Inhouse-Schulungen bei der Ladungssicherung." In Fulda herrscht quasi Vollbeschäftigung, drei Prozent Arbeitslosenquote.

Faire Löhne, Flüchtlinge und Nachhaltigkeit

Auch der Mangel an Unternehmensnachfolgern sorgt für Probleme. Bergemann will den Markt kritisch im Auge behalten. "Vielleicht müssen wir in fünf Jahren wieder selbst ausbilden und unseren eigenen Fuhrpark erweitern." Dann müsse aber auch der Lohn stimmen, "unsere Fahrer bezahle ich vernünftig – das sage ich auch unseren Kunden. Wer Qualität will, kann nicht Dumping bezahlen."
Birgit Bergemann hat eine zupackende Art. Als Frau in einer stark von Männern geprägten Branche musste sie zu Beginn viele Vorurteile aus dem Weg räumen, freundlich aber bestimmt. Auch das Thema Flüchtlinge will sie als Chance begreifen, "junge Leute zu gewinnen, die wir doch brauchen". So unterstützt sie eine Praktikumsbörse für jugendliche Flüchtlinge und will selbst Plätze anbieten. Seit vielen Jahren bildet John Speditionskaufleute und BA-Studenten für Logistik aus. "Dass alle geblieben sind, spricht dafür, dass wir Perspektiven eröffnen können", freut sich die selbsternannte "Bildungsfetischistin".
Wie Cargoline insgesamt, arbeitet auch John an einer Nachhaltigkeitsstrategie. Der kleine Fuhrpark ist auf Euro 5 und 6 umgestellt. Seit diesem Jahr fließt Ökostrom durch die Kabel der Hallen und Gebäude. Von 25 Gas-Gabelstaplern wurden die ersten vier elektrifiziert, um den CO2-Ausstoß zu verringern.
Die Kontraktlogistik spielt eine wichtige Rolle. Seit 15 Jahren betreibt John für einen Kunden dessen Lager in Fulda mit technischen Textilien, in Eichenzell stehen weitere 8.000 Quadratmeter zur Verfügung. 2017 soll ein neues Lager für zusätzliches Wachstum sorgen – doch auch hier gilt für die Geschäftsführerin: "Gesundes Wachstum geht vor schnellen Gewinnen."

Alles muss immer schneller gehen

Vor rund vier Jahren ist John als Expressdienst gestartet für ­einen Kunden, "one way, was sehr teuer ist. So kam uns die Idee, an einem Stückgutverbund für Kurierfahrten teilzunehmen, Cargo­mando", erklärt Bergemann. Seit Dezember 2015 ist John offizielles Mitglied, erledigt Kurierfahrten in einem festgelegten Gebiet und nutzt das Partnernetz. "Es ist entwickelbar, weil immer noch alles schneller gehen muss", sagt Bergemann.
Ein Mitarbeiter kümmert sich exklusiv um die Expressfahrten, es gibt einen eigenen Sprinter und sonst externe Dienstleister. "Bisher machen wir rund 40 Fahrten pro Woche – meist empfindliche und schnelle Güter. Wir wollen diese 2016 aber mindestens verdoppeln", gibt Bergemann das Ziel vor. "Selbst bis Ungarn und Slowenien wickeln wir Expressdienste für Stückgut ab. Das Interesse steigt."

70 Jahre Spedition John

  • 1945: Horst John gründet mit sechs Lkw eine eigene Spedition für die Region Osthessen und startet drei Jahre später regelmäßige Linienverkehre von Fulda aus
  • 1979: Vom Azubi zum Geschäftsführer – Klaus Schröder wird Nachfolger des Firmengründers und bleibt dies für 32 Jahre
  • 1993: Neue Speditionsanlage in Eichenzell. John wird Gründungsmitglied der Cargoline Stückgut-Kooperation
  • 1996: Zentral-Hub für Cargoline
  • 2010/11: Klaus Schröder übergibt die Geschäftsleitung und seine Anteile an Birgit Bergemann
  • 2012: Europa-Hub für Cargoline
  • 2015: 70-jähriges Firmenjubiläum; 200 Mitarbeiter, 10.000 m2 Umschlag und 8.000 m2  Logistiklager

Strategische Ziele bis 2017

  • Preisgestaltung: Prozesskosten beim Stückgut besser abbilden angesichts immer kleinerer, leichterer Ware, zugleich Lieferketten und -kosten optimieren
  • Kontraktlogistik: neues Lager 2017
  • Wachstumsziele 2016: Expressdienst plus 50 Prozent, Stückgut national fünf Prozent und international 15 Prozent
  • Personalentwicklung  weiter ausbauen
  • Nachhaltigkeit noch stärker leben
Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
Titel ta 02/3 2016
trans aktuell 02 / 2016
Invalid date
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