Remanufactoring Wie neu im zweiten Leben

ZF Bielefeld arbeitet gebrauchte Getriebekomponten nachhaltig auf. Dafür hat das ZF-Remanufacturing-Werk Bielefeld die Cradle-to-Cradle-Zertifizierung für nachhaltige Kreislaufwirtschaft erhalten. Foto: Thomas Küppers 10 Bilder

Die Cradle-to-Cradle-Zertifizierung ist der Ritterschlag für eine nachhaltige Produktion. Diesen erhielt kürzlich das Aufarbeitungswerk von ZF in Bielefeld. Wir waren dort und haben einen Blick hinter die Kulissen geworfen.

Lange hielt sich das Gerücht, dass es Bielefeld nicht gibt. Entgegen aller Verschwörungstheorien ist die Stadt im Norden von Nordrhein-Westfalen aber durchaus real. Das belegt zum Beispiel der dort ansässige ZF-Standort, der vor Kurzem für die nachhaltige Aufarbeitung von Getriebekupplungen ausgezeichnet wurde. Ein guter Grund, den Standort genauer unter die Lupe zu nehmen.

Begleitet von Jörg Witthöft, Leiter des ZF-Standorts und André Temme, Teamleiter Altteilemanagement, sowie Industriemeister und Old­timerexperte Gerd Bobermin geht es durch das weitläufige Außenlager von ZF-Bielefeld. Schnell wird dabei deutlich, dass für die Aufarbeitung eine Menge Platz vorhanden sein muss. „Die Anlieferung durch die Kunden ist für uns unerlässlich“, bestätigt Bobermin. Täglich kommen dabei am Standort in Bielefeld 40 bis 50 Tonnen Material zusammen. „Bei 250 Arbeitstagen ergibt das jährlich rund 10.000 Tonnen Stahl“, erklärt der Experte für Automatikwandler und Oldtimer-Aggregate. So viel wiege in etwa auch der Eifelturm in Paris.

Darunter sind aber auch Kupplungen, für die es momen­tan keine Nachfrage gibt. „Tatsächlich kann es ein bis zwei Jahre dauern, bis sich die Nachfrage nach einer bestimmten aufgearbeiteten Kupplung entwickelt“, erklärt Witthöft, als er an schier unzähligen Gitterboxen mit gebrauchten Getriebekomponenten entlang geht. Deshalb kalkuliere man am Standort bei der Bevorratung mit dem Herstellungszenit eines Getriebes, ergänzt Temme, während er die Tür in den Produktionsbereich öffnet. „Ab diesem Zeitpunkt ist dann der Vorrat an Getrieben groß genug, damit wir mit dem Aufarbeitungsprozess beginnen können.“

Von einem anstrengenden Leben gezeichnet

Und der beginnt mit der Demontage der außen gelagerten Kupplungen und Wandler. Beim Betreten des Hallen­Komplexes begrüßen Witthöft, Temme und Bobermin alle Mitarbeiter mit Namen – man kennt sich. „Die Fluktuationsquote der Stammbelegschaft liegt bei uns unter ein Prozent. Die meisten Mitar­beiter bleiben ihr gesamtes Berufsleben bei uns“, erklärt Witthöft.

Hierarchisch sei man in diesem Werk zudem recht flach aufgestellt. Einen großen Wasserkopf wolle der Standort sich auch nicht leisten. „Da wenige Leute ganz unterschiedliche Aufgaben übernehmen können, ist das Werk ziemlich effizient“, ergänzt Getriebefachmann Bobermin. So komme man, bei einer Gesamtfläche und 37.000 und einer Produktionsfläche von 24.000 Quadratmetern mit lediglich 219 Mitarbeitern aus.

In der Demontage zeigt sich, dass einige der Kupplungen bereits ein anstrengendes Leben hinter sich haben. Kraftfluss zwischen Motor und Getriebe unterbrechen, Gangwechsel durchführen und Drehmoment auf das Getriebe übertragen – all das hat tiefe Kerben in den Tellerfedern der Druckplatten hinterlassen. „Doch nicht nur die Druck­platten blicken auf eine be­wegte Geschichte zurück“, erklärt Standortleiter Witthöft.

Gegründet 1933 durch August Rabeneick produzierte der Standort zunächst Polier- und Schleifmittel, aber auch Zweiradprodukte und -komponenten für die gleichnamige Motorradlegende der Nachkriegszeit. Das änderte sich 1963 als Rabeneick durch Fichtel & Sachs übernommen wurde. Während die Zweiradfertigung langsam auslief, begann der Standort zunehmend mit der Kupplungsaufarbeitung. „Sozusagen die Basis dafür, was wir hier heute noch machen“, berichtet Witthöft stolz, als er die Waschstation betritt, in der die Kupplungs- und Wandlerkomponenten nach der Demontage von Flugrost und Öl befreit werden.

„Nach der Umbenennung in Mannesmann Sachs 1997 fiel nur ein Jahr später der Startschuss für die Wandlerauf­arbeitung am Standort Bielefeld“, berichtet Witthöft. Nachdem Mannesmann ins Mobilfunkgeschäft einstieg, sei der Konzern von Vodafone 1999 dann schließlich aufgekauft worden. Vodafone übernahm die Unternehmensbereiche der Telekommunikation, während ein Konsortium von Bosch und Siemens sich die Bereiche Anlagenbau und Automotive sicherten. „Nach kurzer Zugehörigkeit zum Siemens-Konzern fand Bielefeld dann 2001 sein heutiges Zuhause unter dem Dach von ZF Friedrichshafen.“ Acht Jahre später gliederte ZF den Aufarbeitungsstandort in den Unternehmensbereich Nkw-Kupplungssystem von ZF Sachs ein. 2011 verschmolz die ZF Sachs AG mit der ZF Friedrichshafen AG und das Werk Bielefeld zog einmal mehr mit.

Seit 2015 wird hier auch das pneumatische Ausrücksystem ZF ConAct – Teil des ZF-Traxon-Getriebes – aufgearbeitet. Und wie viel letztendlich von einer Traxon-Kupplung aufgearbeitet wird, demonstriert Teamleiter Temme in der Demontage anschaulich. „Lediglich 254 Gramm der gesamten Traxon-Kupplung wandern letztendlich ins Altmetall“, erklärt der Fachmann für Altteilemanagement, während er die acht kleinen Montageplättchen und vier kleinen Nieten auf eine bereitgestellte Digitalwaage legt.

In der Prüfabteilung werden defekte Bauteile aussortiert

Dass diese Traxon-Kupplung allerdings nicht die einzige Getriebekomponente ist, die in Bielefeld aufgearbeitet wird, zeigt sich in der an die Waschung anschließenden Prüfabteilung. Hier kommen alle Getriebekomponenten zusammen, defekte Komponenten werden aussortiert und durch neue, ebenfalls aus der Aufarbeitung gewonnenen Teile, ersetzt. „Zu unseren Kunden gehören alle großen Nutzfahrzeughersteller mit Ausnahme von VW Nutzfahrzeuge“, berichtet Witthöft.

Zum Aufarbeitungsportfolio gehören Schlepperkupplungen und Doppelkupplungen für Nebenan­triebe sowie Pkw-Getriebekomponenten wie Dreh­momentwandler und Zweimassenschwungräder für Busse. Jährlich werden in
Bielefeld rund 177.600 Kupplungsdruckplatten, 171.700 Kupplungsscheiben, 6.600 Drehmomentwandler, 1.020 Zweimassenschwungräder und 27.100 pneumatische Ausrücker aufgearbeitet. „Damit sind wir im Konzern der Aufarbeitungsstandort mit dem größten Ausstoß pro Jahr.“

Trotz der hohen Stückzahlen hält sich der Robotereinsatz im Werk Bielefeld in Grenzen. Das zeigt sich nach der Aussortierung beim nächsten Arbeitsschritt – nämlich der mechanischen Bearbeitung. Hierbei fräst eine computer-gesteuerte Einheit unter heftigem Funkenflug die Tellerfeder der Getriebedruckplatten auf den Millimeter genau ab.

Maschine trägt Material ab, Kerben verschwinden

Die Maschine trägt aber nur so viel Material ab, dass die durch den Kupplungsvorgang entstandenen Einkerbungen des Drucklagers optisch und physisch ausgeglichen werden. „Ziel ist es dabei, den Nachmarktkunden die gleiche Qualität anbieten zu können, wie sie eine neuwertige Kupplung verspricht. Diese sind heute für Laufleistungen von bis zu 500.000 Kilometer ausgelegt“, erklärt Witthöft. Um diese Qualität gewährleisten zu können, wird die technische Funktionalität nach der Aufarbeitung mit dem Hersteller zusammen geprüft.

Hierbei steht Bielefeld im engen Dialog mit der jewei­ligen Entwicklungsabteilung, um zu klären, bei wie viel Abschliff eine Beeinträchtigung eintritt. Denn jedes aufgearbeitete Bauteil muss am Ende den gleichen Kräften standhalten können, wie ein neues Bauteil aus den Regalen der Hersteller.Neben der Produktqualität stellt Witthöft einen Trend zu nachhaltigen Lösungen fest. Gerade Kunden aus Nord­europa seien daran sehr inte­ressiert und die Nachfrage nach aufgearbeiteten Komponenten ist dort entsprechend groß. „Besonders Flottenkunden aus Skandinavien legen ein hohes Bewusstsein für Umwelt und Ressourcenschonung an den Tag“, berichtet der Werksleiter. Deshalb seien Scania und Volvo im Segment der Gebrauchtteileaufarbeitung sehr stark, dicht gefolgt von Mercedes.Nach dem Bearbeiten der Kupplungsdruckplatte werden die Komponenten anschließen komplettiert. Das heißt: Verschlissene Bauteile werden durch funktionsfähige und geprüfte, ebenfalls auf­gearbeitete Teile ersetzt und zu vollständigen Bausätzen zusammengestellt.

Cradle-to-Cradle-Zertifikat in Gold für MFZ 430

„Was wir hier betreiben ist eine Art Kreislaufwirtschaft“, erklärt Bobermin. Wie im Lebenskreislauf in der Natur kehren auch die ZF-Getriebekomponenten an ihren Ursprung zurück, um nach der Aufarbeitung ein neues Leben zu beginnen. „Durch die Wiederverwendung von Bauteilen werden dabei Energieverbrauch und CO2-Ausstoß um bis zu 90 Prozent verringert“, resümiert Gerd Bobermin. „Für die Aufarbeitung der Kupplungsdruckplatte MFZ 430 haben wir aufgrund dieses Prozesses auch das Cradle-to-Cradle-Zertifikat in Gold erhalten“, ergänzt Jörg Witthöft.

Alte Bekannte stoßen in der Montage wieder hinzu

Es folgt die Montage. Dort werden die einzelnen, inzwischen aufgearbeiteten Komponenten wieder zusammengefügt. Es kommen alte Bekannte zum Einsatz: die in der Demontage entfernten Montagebolzen und -plättchen. „Sie erinnern sich an die etwa 250 Gramm Alt­metall?“, fragt Vermarktungsexperte Temme.

„Für die die Zertifizierung nach Vorgaben des Cradle to Cradle Products Innovation ­Institute mit Sitz in Oakland, Kalifornien, muss ein Hersteller rund 95 Prozent der Materialien wieder verwenden“, erklärt Temme. Schließlich kenne die Natur auch keinen Abfall. „Mit einer Hand voll Nieten und Metallplättchen sind wir schon sehr nah an der vollständigen Wiederverwertung dran.“

Doch das Zertifikat wird nur für die Dauer von zwei Jahren vergeben. Danach müsse sich das Werk Bielefeld für die Aufarbeitung der Kupplungsdruckplatte MFZ 430 erneut auditieren lassen, ergänzt Witthöft. „Wichtig ist dabei zudem, dass wir bei der Aufarbeitung auch in Sachen Umweltfreundlichkeit nicht locker lassen“, erklärt der Werksleiter weiter. Ob das aufgearbeitete Produkt den Ansprüchen genügt, prüfen die Mitarbeiter der Endkontrolle. Sie nehmen jede Kupplung unter die Lupe und testen deren Funktion.

Endkontrolle stellt die Funktionstüchtigkeit sicher

Derweil beschreibt Witthöft die strengen Vorgaben des Cradle to Cradle Products Innovation Institute: „Dort wird peinlich genau auf die Verwendung von gesundheitlich unbedenklichen und wiederverwendbaren Roh- und Inhaltsstoffen geachtet.“ Die Vorteile dieser Kreislaufwirtschaft liegen für Witthöft auf der Hand: „Wir leben in Zeiten, in denen Ressourcen immer knapper und damit immer teurer werden.“ Deshalb sei eine effiziente und nachhaltige Aufarbeitung ein klarer Wettbewerbsvorteil, wenn das erneuerte Produkt mit einem fabrikneuen qualitativ mithalten kann. „Und genau das gewährleisten wir mit unseren aufgearbeiteten Getrieben und Komponenten. Dafür stehen wir ein!“

Das Aufarbeitungswerk von ZF liefert den Beweis, dass nachhaltige Produktion und ein nachhaltiger Nachmarkt nicht nur Utopie, sondern Realität sind. Dies können sich die Fahrzeugbetreiber dann auf ihre Fahnen schreiben, wenn sie auf eben solchermaßen zertifizierte Produkte zurückgreifen.

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