Verbreitete Manipulation mit Adblue-Emulatoren Nachweis vorerst nicht gelungen

Foto: Jan Bergrath

Bei einer gemeinsamen Kontrolle der Uni Heidelberg und der Autobahnpolizei Chemnitz an der A 4 stellte sich heraus, dass auch ein auf die Suche nach Emulatoren spezialisiertes Diagnosegerät die These nicht belegen kann, dass bei rund 20 Prozent aller osteuropäischen Lkw auf deutschen Autobahnen die Adblue-Anlage manipuliert sein soll.

Die beiden Reportagen bei ZDF Zoom und Frontal 21 im Januar 2017 sorgten für Furore. Mit einem Transporter und einer selbst entwickelten Messanlage hatte der Wissenschaftler Dr. Denis Pöhler von der Uni-Heidelberg die Abgaswerte von 253 Lkw im Vorbeifahren gemessen. "Plume-Chasing" nennt sich diese Methode. Dabei wird die NOx- und CO2-Konzentration für eine bestimmte Zeit in der Emissionsfahne gemessen. Eigentlich direkt hinter der Abgasfahne. Bei Lkw liegt der Auspuff, je nach Typ und Baujahr, allerdings entweder auf der rechten oder der linken Seite.

Nichtsdestotrotz: 53 der gemessenen Lkw hatten ein deutsches Kennzeichen, alle anderen kamen aus dem Ausland, überwiegend aus Mittel- und Osteuropa. Und von diesen wiederum hatten rund 20 Prozent auffällige Messwerte. Vor laufender Kamera gab Pöhler seinerzeit auch gleich eine mögliche Begründung: „Ich habe damals gesagt, dass circa 20 Prozent der osteuropäischen Lkw defekte oder manipulierte Abgasreinigungsanalgen aufweisen.“ Als Grund nannte das ZDF den Einsatz von Emulatoren, diese täuschen, vereinfacht gesagt, der elektronischen Fahrzeugsteuerung bei einem leeren Adblue-Tank einen vollen Behälter vor und umgehen damit das Notlaufprogramm, das automatisch in Betrieb geht, wenn kein Adblue eingespritzt wird.

Kontrollen ohne gleichzeitige Messung

Die Kontrollbehörden waren düpiert. Zwar war bereits bekannt, dass vor allem die Betreiber älterer Fahrzeuge mit Euro V Motoren und hoher Laufleistung mit Emulatoren manipulieren, um die hohen Kosten für die Reparatur der Anlage zu sparen. Aber nicht in der behaupteten Größenordnung. Zunächst schaute die Kantonspolizei Uri, nach einem ähnlichen Film im Schweizer TV, genauer hin und sprach bald von einem „Mitnahmeeffekt“. Schon 2018 lag die Quote der entdeckten Lkw mit Emulatoren nach Intensivierung der Kontrollen bei insgesamt 11.000 Fahrzeugen nur bei 0,5 Prozent. Auch das deutsche Bundesamt für Güterverkehr geriet bald unter Druck. Nach einer parlamentarischen Anfrage der Grünen durch den MDB Stefan Kühn im Jahr 2017 widersprach auch das für seine Oberbehörde BAG zuständige Bundesverkehrsministerium den hohen Zahlen aus dem Gutachten der Universität Heidelberg.

Quoten deutlich unter der behaupteten Größenordnung

Schnell hatte das BAG technisch aufgerüstet und seine Mitarbeiter aus dem Bereich der technischen Unterwegskontrollen entsprechend geschult, wie es bei einer Kontrolle an der A 2 Ende Januar 2019 demonstrierte. 2018 wurden demnach 13.298 Lkw bei diesen gezielten Schwerpunktkontrollen geprüft, 311 Fahrzeuge (2,4 Prozent) mit Emulatoren wurden enttarnt. Die belgische Polizei beziffert nach Rückfrage die Zahl der Manipulation durch Adblue bei den landesweiten Manipulationskontrollen auf ein Prozent. Nur in Spanien soll es laut Dr. Denis Pöhler nach sogenannten „instantanen Emissionsmessungen“ bei Euro V Fahrzeugen und anschließenden Kontrollen der spanischen Polizei bei mehreren spanischen Transportunternehmen eine Quote von zehn Prozent geben.

Die Frage nach dem richtigen Diagnosegerät

Mittlerweile spielt in der öffentlichen Kritik an der Kontrollmethode des BAG auch die Frage nach den richtigen mobilen Diagnosegeräten eine entscheidende Rolle. Auf Nachfrage hat das BAG am 10. Mai daher noch einmal betont: „Bei den technischen BAG Kontrollen werden handelsübliche Diagnosegeräte von namhaften renommierten Herstellern eingesetzt, die jeweils mit der aktuellsten Software bestückt sind. Die Diagnosegeräte sind in der Lage, Fehler im Abgasnachbehandlungssystem zu erkennen. Im Rahmen der darauffolgenden technischen Überprüfung des Fahrzeuges durch die besonders geschulten BAG-Experten wird festgestellt, ob ein technischer Defekt in der Abgasnachbehandlungsanlage vorliegt, oder, ob technische Veränderungen wie zum Beispiel der unzulässige Einbau eines Emulators vorgenommen wurde. Das Bundesamt informiert sich allerdings regelmäßig über neue Kontrolltechniken. Das dem Bundesamt seinerzeit von der Firma AVL vorgestellte Diagnosegerät AVL Ditest verfügte im Ergebnis über weniger Funktionalitäten als die beim Bundesamt eingesetzten Geräte.“

Gemeinsame Kontrolle mit der Autobahnpolizei Chemnitz

Laut einer Meldung der Freien Presse hat es nun Ende Mai zum ersten Mal überhaupt eine gemeinsame Kontrolle der Uni Heidelberg zusammen mit der Autobahnpolizei Chemnitz an der A 4 gegeben, angeregt durch den grünen Abgeordneten Stefan Kühn. Unterstützt und finanziert wurde die Messung der Uni Heidelberg durch die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Im Artikel heißt es zu einem besonders auffälligen Lkw: "Wir haben 1.800 Milligramm Stickstoffoxid pro Kilowattstunde beim Lkw gemessen", so der Wissenschaftler. Bei einem Fahrzeug dieser Art mit der Abgasnorm Euro VI liegt der Grenzwert bei 600. Dass hier manipuliert wurde, da ist sich Pöhler sicher. Doch dies gilt es zunächst nachzuweisen.“

Der übliche Verdächtige

Auf Nachfrage bestätigt die Pressestelle der Polizei Chemnitz zunächst, dass es im fließenden Verkehr eine Vorkontrolle durch den Messwagen der Uni Heidelberg gab. „Die Messwerte aus der Vorkontrolle sollen Rückschlüsse auf eine nicht ordnungsgemäß funktionierende Abgasanlage zulassen“, sagt der Einsatzleiter, Polizeihauptkommissar Sven Krahnert. „Lkw mit auffälligen Werten wurden von uns dann angehalten. Es waren zwei Volvo, zwei MAN und ein Mercedes.“ Bei vier Fahrzeugen gab es keine Beanstandungen. „Bei einem MAN mit Zulassung aus dem Jahr 2007 und Euro V wurde eine nicht ordnungsgemäß funktionierende Adblue-Anlage festgestellt.“

Daraufhin wurde das Fahrzeug in eine MAN-Werkstatt gebracht. Die Fachwerkstatt führte eine Motordiagnose durch. „Der Verdacht bestätigte sich“, so Krahnert. „Die Adblue-Anlage war funktionsuntüchtig. Die Weiterfahrt des Lkw wurde untersagt. Inwieweit diese funktionsuntüchtige Anlage auf einen Emulator oder das Fahrzeugalter zurückzuführen ist, dazu kann ich keine Angaben machen. Im Fahrzeug wurde ein laienhaft an den Kabelbaum geklemmtes ´schwarzes Kästchen` festgestellt. Dieses Kästchen haben wir sichergestellt. Welche Funktion dieses Kästchen hat, kann ich nicht sagen. Eine Untersuchung des Inhaltes wird angestrebt.“

Da der polnische Halter vor Ort aus Kostengründen keine Reparatur durchführen wollte, wurde der Lkw per Tieflader abgeholt. Es handelte sich bei diesem Fahrerzeug also um den Typ des „üblichen Verdächtigen“, der auch immer wieder bei den BAG-Kontrollen auffällt.

Details der Kontrolle mit dem AVL Diagnosegerät

Ebenfalls auf Nachfrage widerspricht Pöhler zunächst der Polizei: „Es waren nur drei Lkw mit auffällig hohen Werten, einer mit Euro V und zwei Euro VI, die intensiver kontrolliert wurden. Bei einem von den drei Fahrzeugen kann gar nicht auf Abgasmanipulation geprüft werden. Es bleiben nur zwei Lkw übrig.“

Die Details der Kontrolle laut Pöhler: Einer war ein Euro III Lkw und damit nicht relevant für fehlerhaft hohe Abgaswerte. Von den weiteren drei Fahrzeugen konnte nur einer mit dem AVL Prüfgerät geprüft werden, bei einem weiteren konnten die Kenndaten ausgelesen werden. Letzterer war der enttarnte Lkw. Dieses Modell war nicht kompatibel mit der Prüfsoftware, weshalb nur Kenndaten ausgelesen werden konnten. Ein weiterer von den drei Lkw war nicht kompatibel mit dem Auslesegerät. „Dementsprechend konnte nur an einem Euro VI Lkw das AVL Prüfgerät verwendet werden“, so Pöhler. „Hier konnte das AVL Gerät nichts Offensichtliches finden. Dieses ist aber nach meinem Wissen vor allem für Euro V geeignet und nicht für Euro VI. Wir werden jedoch versuchen, dies mit AVL weiter zu untersuchen.“

Manipulationsthese weiter aufrechterhalten

Trotz dieser Stichprobe will Dr. Denis Pöhler an seiner These festhalten, dass weiterhin rund 20 Prozent aller osteuropäischen Lkw mit Emulatoren manipuliert sein müssen. Die Begründung: Erstens gäbe es keine Geräte und Prüfmethoden, die einen großen Teil der Emulatoren aufdecken, zum Beispiel Softwareemulatoren, neuere Euro VI Emulatoren sowie abschaltbare Emulatoren. „Somit wird der sichere Nachweis eines Emulators nur einen Anteil der wirklichen Manipulationen belegen. An dieser Stelle muss sich etwas bewegen. Wenn die Abgaswerte eines Lkw ein Vielfaches über dem von korrekt funktionierenden Lkw liegen, kann dies nur durch schwere Defekte oder Manipulationen verursacht sein.“

Umfangreichere Untersuchungen nötig

Laut Pöhler wurde am Ende bei zwei Lkw die Motorsteuerung ausgelesen. „Einer ist ja nachweislich enttarnt worden“, so Pöhler. „Beim zweiten Lkw mit Euro VI ist das Auslesegerät nach meinem Wissen nicht optimal geeignet. Jedoch kann man prinzipiell aus einer derart kleinen Stichprobe keine Schlüsse ziehen. Dazu sind deutlich umfangreichere Untersuchungen nötig, um verlässliche Prozentzahlen zu erhalten.“

Das vorläufige Fazit

Realistisch betrachtet sind mit dieser Kontrolle in Sachsen vor allem den Behauptungen in den unterschiedlichen Medien widerlegt, dass das BAG nur unzureichend kontrolliert. Auch für die geschätzte Größenordnung der Adblue-Manipulation und dem damit immer wieder ins Spiel gebrachten millionenfachen Mautbetrug ist der Nachweis nicht erbracht. Die Polizei Chemnitz wünscht sich unterdessen baldmöglichst eigene verlässliche Diagnosegeräte, sodass sie eigenständig bei den regelmäßigen Kontrollen des Schwerlastverkehrs an der A 4 dem Verdacht der Manipulation durch Emulatoren nachgehen kann.

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