Logport am Limit Skandalöse Zustände

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Meinung

Der Duisburger Logport ist wirtschaftlich eine Erfolgsgeschichte. Seit drei Jahren fällt jedoch der Schatten des massenhaften Sozialdumpings auf das einstige Krupp-Areal. Anwohner protestieren gegen wild kampierende Fahrer aus Südosteuropa. Die Betreiber und die Stadt zeigen sich hilflos, die Kontrollorgane lassen es geschehen.

Die Rheinaue bei Friemersheim, einem Ortsteil von Duisburg, ist ein Naturschutzgebiet. Bis nach Uerdingen kann man hier spazieren gehen. Am Wochenende ein beliebtes Ausflugsziel. Auch Manuela Kahlke, die als kaufmännische Angestellte für einen Chemiekonzern arbeitet, wohnt in Friemersheim. Wenn sie abends mit ihrem Hund Tyson eine Runde dreht, muss sie zuerst an zwei Wagenburgen aus osteuropäischen Sattelzugmaschinen vorbei, deren Fahrer am Ortsausgang rechts und links der Bliersheimer Straße ihr wildes Camp fürs Wochenende errichtet haben.

Es ist früher Samstagabend. Vor den Sattelzugmaschinen, viele aus Bulgarien, sitzen vor allem Fahrer aus Nordmazedonien, wie sie betonen. Überall stehen oder liegen bereits um diese Zeit leere Bierflaschen. Hinter dem gepflasterten Weg, dem Damm, liegt ein kleines Wäldchen. Schon vom Weg aus ist zu erkennen, was passieren muss, wenn Menschen ein ganzes Wochenende lang ohne Zugang zu sanitären Anlagen verbringen müssen. Und es ist der über viele Jahre aufgestaute Ärger über die offensichtliche Hilflosigkeit der Behörden, die Kahlke mit bemerkenswerter Ruhe und absoluter Sachlichkeit sagen lässt: „Wenn mein Hund hier auf den Bürgersteig kackt, dann muss ich 35 Euro Strafe zahlen. Wenn hier jeden Tag osteuropäische Lkw-Fahrer in den Wald scheißen, passiert nichts. Vom Ordnungsamt lässt sich hier am Wochenende niemand blicken.“

Sozialdumping am Rande des alten Krupp-Geländes

Auch Christoph Weis wohnt seit über 25 Jahren in Friemersheim. Er hat seit 1998 den Wandel des ehemaligen Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen in den modernen Logport mitbekommen. 5.000 neue Arbeitsplätze für die Region. Dagegen gibt es keine Argumente. Auf dem offiziellen Luftbild ist das Ausmaß des 265 Hektar großen Geländes gut zu sehen – nicht aber das Ausmaß des Sozialdumpings vor seiner Haustür. „Vor drei Jahren hat es hier angefangen, dass sich ein Parkareal entwickelt hat, ohne dass jemand von der Stadt oder der Duisburger Hafen AG eingeschritten ist“, klagt Weis. „Auf der einen Seite der Bliersheimer Straße wurde der eingezäunte Parkplatz eines hiesigen Containerunternehmens von den Fahrern in Beschlag genommen, auf der anderen Seite der teils offene Parkplatz eines nicht mehr existenten Betriebes.“

Bis hinein ins Herz des Logports stehen entlang der Bliersheimer Straße mittlerweile osteuropäische Lkw das ganze Wochenende in den Parktaschen. Ein kleines rotes Schild in die andere Richtung weist dezent darauf hin, dass die Durchfahrt für Lkw verboten ist. „Kaum ein Fahrer hält sich daran“, beklagt Weis, „denn es ist die kürzeste Verbindung ins Logport III. Dort, wo dasselbe Elend hinter einem hohen Sichtschutzzaun verborgen ist“

Ein eigener Parkplatz für die Frachtführer von Samskip

Auf der anderen Seite von Friemersheim führt die Dahlingstraße zum Duisport Rail Terminal in Hohenburberg, einem weiteren Standort des Kombinierten Verkehrs der Duisburger Hafen AG, der bereits im September 2015 eröffnet wurde. Aus diesem Terminal heraus operiert heute unter anderen das niederländische Containerunternehmen Samskip, das für den Vor- und Nachlauf der Trailer mittlerweile überwiegend südosteuropäische Frachtführer einsetzt und diese weitestgehend aus der Zentrale in Rotterdam disponiert.

Seit dieser Zeit gibt es einen eigenen beschrankten Parkplatz mit Wachpersonal am Eingang und einer sanitären Einrichtung. Parken dürfen hier im Prinzip nur die Fahrer, die für Samskip arbeiten. Doch hinter dem knapp zwei Meter hohen Zaun herrscht dasselbe Problem. Die Fahrer der etwa 50 Sattelzugmaschinen, die dort Platz finden, sind das ganze Wochenende im oder am Lkw, bestätigt der Wachmann. Heißt: Sie kochen, sie schlagen die Zeit tot und sie trinken. Es ist die Freizeit der Fahrer, so sagen die Behörden, da können sie tun und lassen, was sie wollen. Also auch saufen.

Mit Restalkohol am Montagmorgen auf Tour

So richtig passen die Wachleute allerdings nicht auf, wer nach dem Wochenende in welchem Zustand wieder auf die Straße fährt. Am Montagmorgen, 13. Oktober 2019 um elf Uhr, so steht es im Polizeibericht aus Duisburg, verhindert der Disponent eines ansässigen Transportunternehmens an der Dahlinger Straße offenbar Schlimmeres, als ihm bei einem litauischen Lkw-Fahrer Alkoholgeruch auffällt. Die herbeigerufene Polizei stellt mehr als 1,5 Promille Restalkohol fest.

Die Anfrage bei der Pressestelle zeigt: Bei den Beamten scheint der Urquell des Problems, das Samskip-Ghetto, noch nicht angekommen zu sein. Weniger glimpflich verlief erst in der Woche zuvor die Trunkenheitsfahrt eines rumänischen Containerfahrers mitten in Neuss. Der 28-jährige Fahrer hinterließ dort auf der Gladbacher Straße eine Schneise der Verwüstung.

Alleine im verwaisten Logport

„Das war keiner von unseren Fahrern“, da ist sich Kahlke ziemlich sicher. Sie kennt ihre Pappenheimer. Denn neben ihrer eigentlichen Arbeit betreibt sie zusammen mit ihrer Mutter Bärbel die einzige nennenswerte Verpflegungsstation im Logport, den gemütlichen „Manus Treff“ an der Hamburger Straße. Am Ende dieser Hamburger Straße steht auch die einzige öffentlich zugängliche Toilette im Logport, unbewacht, entsprechend beschissen sieht sie innen aus. Unter der Woche, während der Öffnungszeiten, können die Fahrer bei Kahlke auf die Toilette gehen, wenn sie einen Kaffee trinken. Manchmal, im Winter, wenn die Fahrer auf der Ladefläche für die Woche vorkochen, gibt sie schon mal einen Kaffee aus. „Ansonsten sind die Fahrer im verwaisten Logport völlig auf sich alleine gestellt. Niemand fühlt sich zuständig.“

Sie vermutet, dass der betrunkene rumänische Fahrer aus dem Neusser Hafen gekommen sein muss. Dort herrscht, wenn auch in etwas geringerem Ausmaße, dasselbe Problem. So wie im Westhafen von Herne, so wie im KV Terminal Köln Eifeltor, im Niehler Hafen von Köln und in weiteren zahlreichen Gewerbegebieten. Und das ist nur Nordrhein-Westfalen.

Ein Sonntagsspaziergang mit der Politik

Kahlke war auch dabei, als die Gewerkschaft Verdi, die direkt neben ihrem Treff einen Infocontainer für die Mitarbeiter des Logports, aber auch für die Fahrer, aufgestellt hat, im August dieses Jahres mit Lokalpolitikern einen Sonntagsspaziergang zum Hotspot des Sozialdumpings unternommen hat. Damit sich endlich etwas an den „skandalösen Zuständen“ ändert, wie es der für Duisburg verantwortliche Gewerkschaftssekretär von Verdi, Frank Indervoort, in der Lokalpresse beschreibt. „Das grenzt an moderne Sklaverei. Die Lkw-Fahrer können doch nichts dafür. Wir wollen Lösungen finden. Seit vielen Jahren sind diese Probleme bekannt. Was fehlt, ist das Zusammenspiel der Entscheidungsträger.“ Kahlke hatte den Mann von der CDU an der Hand, wie sie erzählt. Indervoort und Kahlke konnten damals nicht verstehen, dass weder das geladene Bundesamt für Güterverkehr (BAG) noch Vertreter von Duisport teilgenommen haben.

Diskussion bei Verdi in Duisburg

Am 7. Oktober gibt es endlich das erste Treffen mit Vertretern der Wirtschafsförderung, des Logport, der Gewerkschaft und einigen Anwohnern. Manuela Kahlke und Christoph Weis sind ebenfalls dabei. Die Lokalpolitiker fehlen allerdings gänzlich. Alle anderen hören mit Erstaunen, wie Klaus Pöpping, Oberkontrolleur des BAG aus Münster, sich angesichts der Schilderungen in Ausreden flüchtet.

Nur 30 Kontrolleure stünden ihm in ganz NRW zur Verfügung, neben den eigentlichen Aufgaben sei nun auch noch die Überwachung der Achslasten der Lkw, die über die marode Rheinbrücke der A 40 Duisburg-Neuenkamp fahren wollen, dazu gekommen. Gegen kurzfristige Kontrollen der Zustände im Logport sprächen langfristige Dienstpläne. Und auf den Autobahnen habe sich das Problem des Verbotes, die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit im Lkw zu verbringen, als nicht so gravierend gezeigt.

Die Hilflosigkeit des BAG

Vor allem betont Pöpping, dass man zwar hin und wieder Kontrollen auch auf öffentlich zugänglichen Geländen abseits der Autobahnen und in einigen KV-Terminals durchführe, aber nicht so viele Verstöße feststellen könne, wie sie dort vermutet würden. Es ist der Punkt, an dem ich in dieser Runde einmal mehr die Kontrolltaktik des BAG selbst beklage, bei der es den Kontrolleuren offenbar nicht möglich zu sein scheint, die Daten aus den mehreren Wochen, die die Fahrer laut eigener Aussage im Lkw verbringen, für ein Bußgeld zu verwerten.

Vollkommen unverständlich ist es für die anwesenden Teilnehmer, dass das BAG nicht eingreift, wenn Fahrer bereits seit Freitagabend irgendwo stehen, aber bei einer Kontrolle nicht belangt werden können, wenn sie zum Zeitpunkt der Kontrolle nicht nachweislich schon mehr als als 45 Stunden Ruhezeit im Lkw verbracht haben.

Die Fahrer können zudem alles tun, sie können selbst mit dem mitgebrachten Pkw zum Aldi fahren oder vollkommen verschmutzt am Lkw notdürftige Reparaturen durchführen, aber wenn die BAG-Kontrolleure statt des Tagesausdrucks einen Download aus dem digitalen Tacho durchführen, ist damit die Mitwirkungspflicht des Fahrers gegeben, und er unterbricht seine Ruhezeit. Der Fahrer müsste dann seine Ruhezeit von vorne beginnen. Diese immer gleiche Ausrede, die sich juristisch natürlich aus der VO (EG) 561/2006 herleiten lässt, ist mit ein Grund dafür, dass sich die Zustände vor allem in den Häfen und KV-Terminals so arg verschlimmert haben. Sie werden, man kann es nicht anders sagen, dadurch vom BAG geduldet.

Zustände waren nicht vorhersehbar

Man muss es der Duisburger Hafen AG, deren Vorstandsvorsitzender, Erich Staake, der kürzlich als „Modernisierer der Binnenhafenlogistik“ in die „Logistic Hall of Fame“ aufgenommen wurde, anrechnen, dass es 1998 noch nicht abzusehen war, wie brutal sich die EU-Osterweiterung ab 2004 auswirken würde. Daher war ein Autohof auf dem Gelände nie in der ursprünglichen Planung vorgesehen. Nun eskaliert die Situation – und es gibt im „ausverkauften“ Logport-Gelände keinen Platz mehr. Es gibt nur unendlich viele Parkbuchten rechts und links der Zufahrstraßen, auf denen an den Wochenenden auch die Lkw regional ansässiger Unternehmen abgestellt werden, deren deutsche Fahrer am Abend und am Wochenende in der Regel daheim sind.

Geplante Rückkehrpflicht kaum zu kontrollieren

Da kann nun noch so viel über notwendige Mülleimer und wer dafür die Kosten trägt, debattiert werden. Das Problem sind vor allem die ausländischen Logistikriesen wie Samskip oder Lkw Walter, die immer öfter auf südostereuropäische Frachtführer zurückgreifen, weil sie einfach billiger sind, die Allgemeinkosten auch für das notwendige Parken aber lieber doch der Allgemeinheit überlassen. Ob sich das ändert, sollte sich im Rahmen des in Brüssel laufenden Trilogs zum Mobilitätspaket die Rückkehrpflicht dieser Lkw nach spätestens vier Wochen in die Heimat tatsächlich durchsetzen, wage ich zu bezweifeln.

Wer soll das allein in NRW kontrollieren, wo doch schon die Durchsetzung des Wochenruhezeitverbots im Lkw praktisch scheitert? Aber vielleicht braucht es wirklich den „großen Knall“, den sich selbst der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) als Antwort auf meinen Blog mit dem Titel „Makroökonomisches Desaster“ wünscht.

Keine Lösung in Sicht

Die Situation im Logport ist verfahren, das Vorzeigeprojekt ist von der Parksituation her am Limit. Ein moderner und ausreichend großer Autohof wäre nur noch an den Stadtgrenzen von Duisburg machbar, sagt die Wirtschaftsförderung, wohl wissend, dass sich die Bürger des angedachten Standorts Kaiserberg die vorhersehbaren sozialen Probleme sicher nicht in die unmittelbare Nachbarschaft holen wollen.

Vor 2025 ist mit einer Umsetzung wohl nicht zu rechnen. Erst dann, so sammelte Frank Indervoort von Verdi die wenigen konkreten Lösungsvorschläge, könne man über ein mögliches temporäres Parkverbot im Logport in den Nachtsunden und am Wochenende sprechen. „Hotels, um die osteuropäischen Fahrer am Wochenende aus den Lkw zu holen, gibt es hier im Logport ebenfalls nicht“, so Kahlke.

Die frustrierten Anwohner von Friemersheim munkeln derweil, dass in der Eisenbahnsiedlung Wohnungen für einen Teil der Fahrer angemietet worden seien, möglicherweise auch nur zum Schein. Das hält die Fahrer aber offensichtlich nicht davon ab, lieber weiter im Lkw zu hausen. Es ist längst ein beliebter Treffpunkt geworden. Mit lauter Musik bis weit in die Nacht in den Sommermonaten, mit winterlicher Tristesse in den kalten Blechkisten. Keine wärmende Dusche weit und breit, noch nicht einmal Trinkwasser.

Dennoch: Offenbar zieht die Möglichkeit, das Wochenende fern der Heimat nicht ganz allein zu verbringen, weitere Fahrer an. „Viele Fahrer, die bei uns in Friemersheim am Wochenende parken, gehören dort gar nicht hin, weil sie hier keine Transportaufträge haben“, schätzt Kahlke. Eine offizielle Statistik darüber gibt es nicht. Weil es niemand kontrolliert.

In einem guten halben Jahr will man sich wieder bei Verdi treffen. Ein unbedingter Wille, die skandalösen Zustände zu ändern, ist so nicht zu erkennen. Immerhin: auch das BAG will die Lage vor Ort nun einmal sondieren, so wie in Herne. Das ist noch nicht einmal ein Nadelstich, die Auftraggeber wird es kaum jucken. So vergeht weiter die Zeit. Kahlke sieht es realistisch: „Es wird daran scheitern, dass es keine Lösung gibt“.

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