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Prof. Rolf Schnellecke über die Automobilindustrie und Fahrermangel "Logistiker als flexible Fregatten"

Foto: Thomas Küppers

Für seine Rolle in der Entwicklung der Logistik in Deutschland wird Prof. Rolf Schnellecke mit dem Einzug in die Logistics Hall of Fame geehrt. Im Redaktionsgespräch mit trans aktuell berichtet er über aktuelle Trends sowie die Lage in der Automobillogistik.

trans aktuell: Herr Professor Schnellecke, Gratulation – Sie werden am 5. Dezember für Ihre Leistungen mit dem Einzug in die Logistics Hall of Fame geehrt. Waren Sie von der Nominierung überrascht?

Schnellecke: Das hat mich sehr überrascht, aber natürlich freue ich mich, dass ich einen kleinen Meilenstein in der Logistik setzen konnte und dies nun gewürdigt wird. Ich freue mich aber ebenso für das Unternehmen. Denn die Ehrung ist eine große Anerkennung auch für unsere Mitarbeiter, die zu der Entwicklung beigetragen haben. Auch den Grundgedanken der Logistics Hall of Fame finde ich gut, Meilensteine der Logistik ins Rampenlicht zu stellen und öffentlich bewusst zu machen. Denn wir leiden in der Logistik alle unter einem nicht besonders guten Image. Dabei leistet die Branche einen unersetzbaren Beitrag für unsere Volkswirtschaft.

Die Auszeichnung erhalten Sie nicht zuletzt für Ihre Verdienste in der Automobillogistik.

Heute bauen wir Achsen für Automobilhersteller und ganze Frontends zusammen und sind in die Versorgungsprozesse weltweit mit eingebunden – das konnte man sich Ende der 1980er-Jahre nicht vorstellen. Im ersten großen Pilotprojekt, das wir als Logistiker 1990 übernommen hatten, ging es um die Versorgung der Golf-Produktion mit täglich mehr als 10.000 Teilen, und das vormontiert – just in sequence. Zu der damaligen Zeit, in der man uns noch als simplen Spediteur betrachtete, war das ein großer Schritt und ein großes Risiko für alle Seiten. Daraus hat sich bis heute eine erfolgreiche Arbeitsteilung ergeben zwischen Logistikdienstleistern, die zum Teil direkt in den Werken der Automobilhersteller tätig sind, und den OEM, die sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können.

Welche Outsourcing-Potenziale sehen Sie noch in der Zukunft?

Unser Vorteil ist es, dass wir schlanker und günstiger arbeiten als die Fahrzeughersteller – dieses Gefälle gibt es auch heute noch. Die Tendenz ist, dass die Hersteller sich auf ihr Core Business konzentrieren, und die Logistiker für die Supply Chain und das Value Adding sorgen.

Diese Präsenz von Schnellecke in der Fertigung hat in der Vergangenheit auch die IG Metall auf den Plan gebracht. Wie sieht die Lage heute aus?

Unsere Standorte, die direkt automobilbezogen arbeiten, sind der IG Metall zugeschlagen. Das ist das Ergebnis einer großen Diskussion zwischen den Gewerkschaften. Unsere Leute verdienen nicht schlecht, aber natürlich nicht so gut wie die Automobilmitarbeiter – obwohl sie sich in der Leistung nicht von dem Bandarbeiter unterscheiden, der direkt vom OEM bezahlt wird.

Die gesamte Thematik Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung wird inzwischen viel restriktiver gehandhabt. Erschwert das auch den Stand der Logistikdienstleister in puncto Kostenvorteil?

Das macht es zweifellos nicht leichter. Natürlich versuchen die Gewerkschaften, ihren Besitzstand zu wahren und möglichst auszuweiten. Letztlich geht es aber um die Frage, wer welche Leistung am besten erbringen kann. Dieser Logik kann sich niemand entziehen, denn die deutsche Automobilindustrie steht im internationalen Wettbewerb. Beim Outsourcing macht sich nicht nur der reine Lohnfaktor bemerkbar, sondern auch die größere Flexibilität des Logistikdienstleisters. Die OEM sind quasi Flugzeugträger auf dem offenen Meer. Sie brauchen die Logistiker als flexible Fregatten, die sie versorgen.

Schnellecke ist ein Familienunternehmen, wobei die Mitarbeiterzahl auf die 20.000 zugeht und der Umsatz die Milliardenmarke übersprungen hat – muss man da nicht eine Konzernstruktur einführen, um das Unternehmen steuern zu können?

Wir haben tatsächlich angesichts unserer Größe und Internationalität die Strukturen eines kleinen Konzerns, wobei wir aufpassen, dass wir nicht in die Opulenz und Unbeweglichkeit eines Großkonzerns geraten. Logistik ist aber per se flexibel – allein schon von der Grundhaltung sind wir agiler als ein Automobilhersteller.

Unbestritten ist, dass Schnellecke einer der ganz Großen in dem Bereich in Deutschland ist. Wo sehen Sie sich im Vergleich zum Wettbewerb?

Mit unseren zahlreichen Standorten auch im Ausland sehen wir uns eher im internationalen Wettbewerb – und da sind wir nicht mehr klein, aber auch noch nicht richtig groß. Da gibt es noch ganz andere, die auch in andere Bereiche viel mehr vernetzt sind und sehr große Kapitalkraft haben.

Werden die Zuwächse von Schnellecke auch in Zukunft zweistellig sein?

Wir wollen Wachstum in Schritten machen, die wir auch bewältigen können. Der Markt bietet viele Chancen, man darf sich nicht übernehmen.

Wo sehen Sie das Unternehmen in zehn Jahren?

Nun, wir fühlen uns gut aufgestellt, aber die Frage ist auch, wo die Welt sich hindreht, auch abseits der Logistikbranche – es sind überall Konzentrationsprozesse im Gang, die zu immer größeren globalen Unternehmen führen. Solchen Themen müssen auch wir uns stellen.

Derzeit befindet sich die Automobilindustrie in einer sehr starken Transformation. Wie geht Schnellecke damit um?

Wir sind als Partner der Industrie eng mit unseren Kunden verwoben und müssen gleichsam mit ihnen atmen. Dass etwa Porsche keine Diesel mehr baut, trifft uns natürlich am Standort Leipzig auch. Aber der Markt wird zeigen, ob bei einer gleichen Anzahl von Fahrzeugen nicht doch einfach ein Wechsel von Diesel- auf den Otto- oder den Elektroantrieb stattfindet. Unsere Leistung wird – ob Otto-, Diesel- oder Elektromotor – weiter gebraucht.

Ein E-Fahrzeug hat aber deutlich weniger Komponenten – das bedeutet für einen Automobillogistiker doch weniger Geschäft?

Sicher fällt dann ein gewisser Teil davon weg, was ein heutiges Auto ausmacht. Das hat natürlich Folgen in der Materialwirtschaft, beim Transport und in der Versorgung. Aber wir richten den Blick nach vorne – vielleicht bietet das Elektroauto auch neue Chancen in der Wertschöpfungspartnerschaft, die wir jetzt noch nicht sehen.

Schnellecke testet etwa in Landshut und Zwickau bereits E-Lkw in der Werksversorgung. Ist das perspektivisch?

Auch an anderen Standorten setzen wir die Fahrzeuge in kleiner Anzahl ein. Innovationen sind uns wichtig, und wir wollen gerne Vorreiter sein. Bislang hat sich der Pilotlauf bewährt, ebenso wie andere umweltfreundliche Ansätze, etwa beim Einsatz von Gas-Lkw in der Just-in-time-Versorgung. Für Langstreckenverkehre ist der E-Lkw aufgrund der Batterietechnik aber noch nicht reif.

Spielt der Selbsteintritt in der Flotte noch eine Rolle in Ihrem Unternehmen?

Wir haben derzeit noch rund 250 eigene Fahrzeuge, aber wir sind schon lange stark auf Fremdunternehmen ausgewichen – das war und ist eine Kostenfrage. Denn den Kunden interessiert es nicht, wer letztendlich fährt, er will es preisgünstig haben. Das aber ist das Manko in der Branche: Wer das System immer nach dem Billigsten ausrichtet, darf sich nicht über Fahrer- und Frachtraummangel beklagen.

Haben Sie den Eindruck, dass sich auf Verladerseite in Bezug auf die Preise etwas bewegt?

Nun, hier und da akzeptiert man die Kostenentwicklung, aber überwiegend sehen wir uns in Kundengesprächen immer noch ziemlich harten Positionen gegenüber. Dabei sollte die gesamte Wirtschaft endlich erkennen, dass wir auf einen Engpass zusteuern, der auch sie empfindlich treffen wird. Wir werden dem Problem letztlich nur durch bessere Bezahlung der Fahrer – die USA zeigen das – beikommen. Und die Wirtschaft muss bereit sein, dies auch zu honorieren.

Wird die Digitalisierung helfen, unsere Transportprobleme von heute zu lösen?

Der Fahrermangel wird uns zwingen, noch schneller auf Automatisierung und selbstfahrende Fahrzeuge zu setzen. Zeit und viele Fragen des Technischen wie auch des Rechtlichen sind noch ungelöst. Bis zur vollkommenen Umsetzung braucht es nach meiner Einschätzung noch Jahre, eher Jahrzehnte. In der Intralogistik ist die Entwicklung Richtung Autonomisierung und Elektroantrieb allerdings viel zügiger, weil bereits jetzt wirtschaftliche Vorteile durch selbststeuernde Systeme zu erzielen sind. Am Standort Soltau setzen wir etwa erfolgreich auf Roboter, die Überseeteile verpacken.

Was sagen Sie als ehemaliger Oberbürgermeister von Wolfsburg zum Thema Fahrverbote?

Ich komme viel in der Welt herum – und da sieht man das Thema Emissionen von einer ganz anderen Perspektive, etwa in China und in Indien. Das ist ungleich drastischer. Natürlich müssen wir alles tun, um die Belastung in den Städten zu reduzieren, aber es muss für Bürger und Wirtschaft auch in einem verkraftbaren Rahmen sein.

Zur Person

  • Rolf Schnellecke, geboren 1944, studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in Göttingen und Hamburg. Bereits ab 1967 war er neben der Mutter Mitgesellschafter und später Alleingesellschafter des vom früh verstorbenen Vater gegründeten Speditionsunternehmens in Wolfsburg.
  • 2007 wandelte Rolf Schnellecke das inzwischen national und international gewachsene Unternehmen mit Schwerpunkt Automobilindustrie in eine AG & Co. KG mit Schwiegersohn Nikolaus Külps als Vorstandsvorsitzendem um, Schnellecke selbst wurde Vorsitzender des Aufsichtsrats und des Beirats. Ende 2012 übertrug er seine Gesellschaftsanteile bis auf eine Sperrminorität an die dritte Familiengeneration.
  • Auch im öffentlichen Dienst war Schnellecke aktiv und begann 1975 als persönlicher Referent bei der Stadt Wolfsburg. Es folgten weitere Positionen, etwa im Niedersächsischen Innenministerium sowie als Ministerialdirigent in der Niedersächsischen Staatskanzlei. Von 2001 bis 2011 war der Vater von vier Kindern Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg.
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