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Matthias Ruete im Gespräch Lang-Lkw bleibt Sache der EU-Staaten

Matthias Ruete, Dr. Generaldirektor für Mobilität und Verkehr, EU Foto: Rathmann

Die EU-Kommission bereitet ein Papier über Maße und Gewichte von Lkw vor. Ebenfalls neu ist die "Initiative Clean Power for Transport". Dahinter stehe die Absicht, weg vom Öl zu kommen, sagt der Generaldirektor für Mobilität und Verkehr, Dr. Matthias Ruete.

Der Verkehr ist zu 90 Prozent von Ölimporten abhängig. Die Europäische Kommission hat sich vorgenommen, diese Abhängigkeit zu reduzieren. Um weg vom Öl zu kommen, setzt sie noch stärker auf alternative Antriebe und Kraftstoffe – und hier vor allem auf Standards. Festgehalten ist das alles in der neuen Initiative "Clean Power for Transport". Über sie sowie über Fragen der Finanzierung und Effizienz spricht der Generaldirektor für Mobilität und Verkehr der EU-Kommission, Dr. Matthias ­Ruete, mit trans aktuell-Redakteur Matthias Rathmann.

trans aktuell: Herr Dr. Ruete, die Ziele der EU-Kommission sind ehrgeizig. Sie will die CO2-Emissionen aus dem Verkehr bis 2050 um 60 Prozent reduzieren. Welche Hoffnungen ruhen in dem Zusammenhang auf Ihrer neuen Initiative namens Clean Power for Transport?

Dr. Ruete: Wir müssen eine Politik entwickeln, um langfristig weg vom Öl zu kommen. Wir sind im Verkehrsbereich aktuell zu mehr als 90 Prozent von Ölimporten abhängig. Wir glauben daher, dass in den nächsten Jahrzehnten alternative Antriebsaggregate viel stärker in den Vordergrund treten werden. Auf dem Weg dahin müssen wir die Rahmenbedingungen definieren. Dazu gehört bei der Elektromobilität ein einheitlicher Stecker. Es muss Schluss mit dem Kabelsalat sein. Und dazu gehört auch, bei Wasserstofftankstellen sicherzustellen, dass alle sie benutzen können. All das versucht Vize-Präsident Siim Kallas, mit Clean Power for Transport anzugehen.

Welche Rolle spielen bei diesem Papier alternative Kraftstoffe? Ist der Biodiesel bereits tot?

Biodiesel spielt sicherlich noch eine Rolle. Aber es muss darum gehen, die zweite oder dritte Generation dieser Kraftstoffe zu fördern. Das hat EU-Kommissar Günther Oettinger auch deutlich gemacht. Biodiesel wird meiner Ansicht nach eine noch größere Rolle im Flugverkehr spielen. In diesem Segment ist Biodiesel vielleicht sogar der aussichtsreichste Kraftstoff.

Das Weißbuch Verkehr nennt nicht nur ehrgeizige Emissions-, sondern auch ehrgeizige Verlagerungsziele. 30 Prozent des Straßengüterverkehrs über 300 Kilometer sollen nach Ihren Plänen bis 2030 auf die Schiene. Wie machen Sie Speditionen den Umstieg schmackhaft?

Erst einmal müssen wir die Bahnen so effizient machen, dass es attraktiv wird, über längere Strecken auf die Schiene zu gehen. Wir gehen davon aus, dass der Güterverkehr in Europa insgesamt noch erheblich wachsen wird. Es geht nicht darum, den Verkehr auf der Straße zu begrenzen, sondern darum, alle Verkehrsträger effizient zu nutzen, und dabei auch die Rolle der Güterbahnen zu stärken. Ich sehe mit Sorge, dass es auf der Schiene im Einzelwagenverkehr derzeit erhebliche Rückschritte gibt.

Das geht klar gegen die Deutsche Bahn …

Ich habe auch kein Patentrezept, wie man Einzelwagenverkehre verbessern kann. Die DB ist ja immerhin eines der Unternehmen, das überhaupt noch Einzelwagenverkehre fährt. Es gibt in anderen europäischen Staaten viel deutlichere Tendenzen, dieses Segment zugunsten von Ganzzügen zurückzufahren. Wenn nur noch Punkt-zu-Punkt- und Langverkehre bleiben, wird das Ziel der Verlagerung noch schwieriger umzusetzen sein.

Ein Ansatz zu mehr Effizienz auf der Straße sind Lang-Lkw. Schmunzelt die EU-Kommission eigentlich über die Ausgestaltung des Feldversuchs in Deutschland?
Nein, überhaupt nicht. Jeder Mitgliedstaat hat das Recht, Lang-Lkw auf seinem Gebiet zuzulassen. Diese innerdeutsche Diskussion wird auch in anderen EU-Staaten geführt – in einigen weniger emotional, weil alle dagegen sind, in anderen weniger emotional, weil alle dafür sind. Deutschland ist hier vielleicht ein gutes Brennglas der Europäischen Union, weil hier beide Positionen deutlich sichtbar werden.

Sie wollen in den nächsten Tagen einen neuen Vorstoß in Richtung Maße und Gewichte vornehmen. Macht das die Verwirrung nicht perfekt?

Nein, das verträgt sich mit dem Feldversuch mit Lang-Lkw. Wir müssen die Modernisierung von Fahrerkabinen ermöglichen, wir müssen die Aerodynamik verbessern, und wir müssen auf 45-Fuß-Container reagieren. Aus Sorge vor der Diskussion um Lang-Lkw haben wir das immer nach hinten gestellt. Nach 20 Jahren müssen wir die Richtlinie endlich modernisieren. Das Thema Lang-Lkw wollen wir aber weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen. 

Wir reden über Anpassungen der Zugmaschinen in Richtung Aerodynamik und in Richtung Auflieger bei 45-Fuß-Containern. Richtig?

Ja, ich kann aber noch keine Details nennen. Wir müssen den Vorschlag erst einmal innerhalb der Kommission durchbringen. Wir werden die technischen Einzelheiten noch mit den jeweiligen nationalen Experten abstimmen. Der Vorschlag für die Richtlinie wird wahrscheinlich im Februar erfolgen, dann kommt das Gesetzgebungsverfahren.

Von der Technik zu den Finanzen: Sie haben mit der Daehre-Kommission Vorschläge erarbeitet, wie die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur dauerhaft sichergestellt werden kann. Kann man die dort genannten Instrumente auf Europa übertragen?

Sie sind in jedem Fall Europa-konform. Wir müssen die Gesamtdebatte in Europa führen. Da ist der Beitrag der Daehre-Kommission ein wichtiger, aber nicht der einzige, um bei der Nutzerfinanzierung in Europa voranzukommen. Wir müssen die Erhaltungsinvestitionen viel stärker in den Blick nehmen. Wir haben den Zustand erreicht, dass die Infrastruktur immer maroder wird und Investitionen unvermeidlich sind. Es muss sichergestellt werden, dass diese Investitionen getätigt werden können. Das kann über eine Nutzerfinanzierung geschehen. Dabei müssen die Nutzer auch sicher sein, dass ihre Beiträge hierfür wirklich verwendet werden. Über große neue Verkehrsprojekte und deren Finanzierung muss aber weiterhin politisch entschieden werden.

Bereitet es Ihnen Sorge, dass die EU beim Thema Interoperabilität der Mautsysteme nicht richtig vorankommt?

Wir haben eine europäische Richtlinie, die Interoperabilität vorsieht. Wir sind im Augenblick dabei, mit den Mitgliedstaaten zu diskutieren, was sie zur Umsetzung getan haben. Es muss wie bei der Handynutzung möglich sein, einen Provider zu haben, der es erlaubt, die verschiedenen Systeme in den einzelnen Mitgliedstaaten zu nutzen. Wir versuchen, über die Transeuropäischen Netze einen großen Feldversuch mit verschiedenen Mautbetreibern zu starten, um zu sehen, wie wir die Interoperabilität der Systeme in Europa hinbekommen. Ich hoffe, dass auch Deutschland sich daran beteiligt.

 

Zur Person

Dr. Matthias Ruete ist seit dem Jahr 2010 Generaldirektor für Mobilität und Verkehr bei der Europäischen Kommission. In gleicher Funktion war er zuvor schon für andere Bereiche zuständig – zuletzt von 2006 bis 2010 für Energie und Verkehr und davor für Unternehmen und Industrie. Den Europäischen Institutionen ist der promovierte Jurist beruflich schon seit 1986 verbunden. Damals hatte er bei der EU als Verantwortlicher für Soziale Angelegenheiten begonnen. Ruete studierte Jura in Marburg, Köln, Berlin und Gießen.

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