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Digitalisierung bewegt die Branche Der Überlebenskampf hat begonnen

Mercedes-Benz Uptime: Deutliche Steigerung der Fahrzeugverfügbarkeit durch Vernetzung ;

Mercedes-Benz Uptime: Significant increase of vehicle availability through connectivity; Foto: iconimage - stock.adobe.com

Webinar von SLV und Forlogic zeigt Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung. Elvis und Cargoline schreiten voran.

Die Digitalisierung bewegt die Branche. Das zeigte auch das Webinar „Digitalisierung in Speditions- und Logistikunternehmen“. Rund 60 Teilnehmer hatten sich bei der Online-Veranstaltung zugeschaltet, die vom Speditionsverband Hessen/Rheinland-Pfalz (SLV) und dem Steinbeis-Beratungszentrum Forwarding and Logistics Center (Forlogic) in enger Kooperation mit dem Verband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL) und dem Institut für Nachhaltigkeit in Verkehr und Logistik (INVL) der Hochschule Heilbronn auf die Beine gestellt worden war.

Doch war das Webinar nicht nur für die Praktiker gedacht. Vielmehr war das Zoom-Meeting auch Teil des Projekts „MeLoDi – Mensch und Logistik in der Digitalisierung“. Das wiederum ist eigebettet in das Programm „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert wird.

Melodi gibt den Takt vor

Den Anfang machte Prof. Dirk Lohre von Forlogic, der eben dieses Projekt Melodi vorstellte. Dort engagieren sich neben dem Steinbeis-Institut unter anderem auch die Sachverständigen-Organisation Dekra, der IT-Servicedienstleister Metaventis sowie das Institut Technik und Bildung (ITB). Aus der Praxis sind hier unter anderem der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis), der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), 24 Plus Systemverkehre, der Bundesverband Spedition & Logistik (DSLV) sowie die Ausbildungspartnerschaft Berufskraftfahrer vertreten. Bei Melodi gehe es um die Qualifizierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und wie diese erfolgen kann, erläuterte Lohre. Es drehe sich alles um Anregungen, wie die Unternehmen digitale Medien und Bildungsformate nutzen können.

Elvis bringt sich in Stellung

Jochen Eschborn, der Vorstandsvorsitzende der Ladungskooperation Elvis aus Alzenau, verdeutlichte wiederum die aktuelle Situation im Ladungsmarkt, die damit verbundenen Herausforderung insbesondere für den Mittelstand und stellte mit Neocargo zugleich ein digitales Geschäftsmodell für die mittelständischen Unternehmen vor. „Wir beschäftigen uns mit Teil- und Komplettladungen, einem Markt, der bislang relativ wenig digitalisiert ist“, berichtete Eschborn. Bei Elvis seien mehr als 240 Mitglieder organisiert.

Tsunami der Veränderung

„Ein Tsunami der Veränderung rollt auf uns zu“, konstatierte Eschborn. Im Kern gehe es um Transparenz mit Blick auf die Wertschöpfungskette. Das höre sich zunächst simpel an – im Detail gebe es aber einige Herausforderungen. Unter anderem Start-ups, die in den Markt drängen. Diese sind flankiert von strategischen Investoren, „die mit unglaublich viel Geld in Risikomärkte stecken und sich eine Gewinnmitnahme erhoffen“, erklärte Eschborn. Hier gehe es aber nicht um eine tatsächliche Wertschöpfung. Das sei etwa bei den Onlinespeditionen der Fall.

Keine gemeinsame Strategie

Die Kosten der Kundenakquise im Vergleich mit anderen Branchen sei in der Speditionswelt extrem gering. Das würden Beispiele wie Sennder oder Instafreigt zeigen. Aber warum ist das so: „Wir haben keine gemeinsame Strategie und stehen in einer gewissen Abhängigkeit von den Frachtenbörsen“, sagte Eschborn. Hinzu komme die von den Verladern zunehmend geforderte Transparenz in der Supply Chain. „Die lassen sich einlullen“, kritisierte der Elvis-Chef. Denn es würden vor allem Daten gefordert, die die Verlader selbst nicht verarbeiten können.

Digitalspeditionen als existenzbedrohendes Risiko

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Erschwerend hinzu kommt: Bei den Plattformen gehe es nicht darum, Geld zu erwirtschaften, sondern in erster Linie darum, die eigene Marktmacht auszubauen. „Wie werden als Spediteure platt gemacht“, sagte Eschborn. Eine Preisstabilitätsfunktion werde schlicht wegdiskutiert. Nun gelte es, diese Gefahr zu erkennen und entsprechend zu handeln, denn „das ist ein existenzbedrohendes Risiko“. Der einzelne Betrieb habe in diesem Kampf keine Chance, ist Eschborn überzeugt. Daher gehe es darum, Kräfte zu bündeln. Problem: Bislang habe man immer versucht, sich von anderen zu differenzieren. Als mahnendes Beispiel führte er die Hotelbuchungsplattform booking.com an, „die bei jedem Hotelier auf dem Schoß sitzt und einen Teil des Umsatzes einstreicht“. Das dürfe nicht passieren.

Vernetzung in der Branche fehlt

Denn die Transport- und Logistikbranche habe alles, um erfolgreich zu sein. „Was uns fehlt, ist die Vernetzung in der Branche.“ Bei einer Fremdvergabe des Transport reiße nämlich wie vor die Informationskette. Das dürfe künftig nicht mehr passieren. Es geht darum, mir anderen im Spotmarkt austauschen zu können – und zwar bis auf die einzelne Ladung hin – und das alles digital. Eschborn möchte daher ein Datenhub, auf das alle zugreifen können. An dieser Stelle kommt die Plattform Neocargo ins Spiel, an die sich jeder per Schnittstelle anbinden kann. Wobei jeder Nutzer auch gleichzeitig Eigentümer ist. Die Verlader wiederum sind außen vor. „Wir wollen eine Lösung von der Branche für die Branche“, sagte Eschborn.

Vergabeprozesse verschlanken

Als Mehrwerte sieht der Elvis-Vorstand beispielsweise die Möglichkeit zu sehen, ob es Sinn macht, eine Sendung selbst zu fahren oder fremd zu vergeben. Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) sei es zudem möglich, den Vergabeprozess schlanker zu machen und andere Beteiligte einzubinden. Das könnten etwa Banken und Versicherungen sein oder auch Anbieter für den Palettentausch. „Vor allem aber brauchen wir eine Reduktion der Administration und der Kosten, um in dem Wettbewerb mit den Digitalspeditionen bestehen zu können“, erklärte Eschborn.

Cargoline setzt aus Digitalisierung

Die Digitalisierung im Stückgutmarkt – Herausforderungen, Best-Practice-Ansätze und zukünftige Entwicklungen zeigte Jörn Peter Struck, Geschäftsführer der Stückgut-Kooperation Cargoline auf. Auch wenn sich der Teil- und Komplettladungsmarkt unterscheide, seien die Herausforderungen durchaus ähnlich. „Ein Scanner mit Unterschriftenfunktion ist jetzt keine neue Erfindung“, sagte Struck. Die Stückgutbranche sei mit schwachen Margen unterwegs. Schon daher gebe es immer wieder neue IT-Lösungen. Doch die Neigung, hier Geld zu investieren, sei eher gering. Nun seinen Start-ups angetreten und wollen diese „verstaubte Branche“ umkrempeln.

Nur so stark wie das lahmste Kamel

Digitalisierung ist im Stückgut kein Fremdwort: DFÜ und EDI erleichtern die Erfassung. Und auch das Clearing der Paletten ist vollautomatisiert – und Transparenz ist auch beim Stückgut gefordert. Aber auch sonst würden die Kundenanforderungen weiter zunehmen. Das gelte zunehmend auch im B2B-Bereich. „Wir brauchen daher Leute, die die logistischen Prozesse verstehen – aber eben auch die IT“, erklärte Struck. So digital wie man meinen könnte, ist der Stückgutmarkt dann allerdings doch nicht. „Schon das Umsetzen einer neunen Scannerfunktion war ein Problem“, berichtete Struck. Grund hierfür sind die unterschiedlichen Voraussetzung innerhalb des Verbunds: Alles sei eben nur so gut „wie das lahmste Kamel, das mitkommt“. Aber auch die Lösung des ursprünglich einen IT-Dienstleister sei irgendwann an ihre Grenzen gestoßen.

Offene Plattform macht zukunftsfähig

Daher habe man sich innerhalb der Cargoline auf die offene Plattform-Architektur des IT-Dienstleisters Eikona verständigt. Denn das erklärte Ziel ist, künftige IT-Lösungen unabhängig von dessen Hersteller einführen zu können. Diese Funktion erfülle die Cargoline-Plattform Octobus vor, die eine Vielzahl von Anwendungen unterstützt. Die Informationen werden dort zur Verfügung gestellt und können bei Bedarf von den Kunden abgerufen werden.

Speziell gegründete Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Themen, die entsprechend bewertet und bei Bedarf entsprechend auf der Plattform umgesetzt werden. So gibt es etwa eine Anwendung zum Management der kooperationsinternen Verrechnung zwischen den Leistungserbringern. Diese wurde vom österreichischen Softwarehaus und TMS-Spezialisten Iovavum programmiert.

Eigene Start-ups bringen frischen Wind

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Über den Paderborner Gründungsinkubator Garage 33 arbeitet die Stückgutkooperation mit verschiedenen Start-ups zusammen. Daraus ist unter anderem die Lösung Cargoboard hervorgegangen. Bis dahin war es nicht möglich, sich als Versender auf digitalem Weg mit Cargoline in Verbindung zu setzen. Wir sind überrascht, wie viele Paletten nun sonntags oder nachts gebucht werden – auch im B2B-Bereich“, berichtete Struck. Mittlerweile generiert der Verbund drüber bereits rund 18 Millionen Euro Umsatz. Die Gründung eines eigenen Start-ups sei jedoch voraussetzungsvoll gewesen – etwa mit Blick auf die Gesellschafter- und Dienstleistungsverträge.

Mit der digitalen Plattform Cargoboard habe die Kooperation aber nicht nur eine eigene Lösung am Start, sondern trete nun selbst als digitale Spedition auf. Das Angebot richte sich an die steigende Zahl von Verladern aus dem digitalen Umfeld, die oft nur kleine Mengen versenden. Diese Versender können ihre Ware nun mit wenigen Klicks selbst auf den Weg bringen, gern auch abends oder am Sonntag.

Es braucht eine physische Infrastruktur

Eines sei aber unumstößlich: „Gerade im Stückgut benötigt man neben einer digitaler Plattform auch eine physische Infrastruktur“, sagte Struck mit Blick auf die rein digitale Konkurrenz. Dieser will er mit weiteren Lösungen entgegentreten: Im dritten Quartal kam beispielsweise Cargocast hinzu, eine Lösung, die Mengen voraussagt. Ziel sei eine Optimierung der Ressourcen, wie etwa dem Flächenbedarf beim Umschlag oder dem Bedarf an Nahverkehrs-Lkw. Dabei soll es aber nicht bleiben. „Im kommenden Jahr planen wir ein bis zwei weitere neue Start-ups.“

Timocom will KMUs digitalisieren

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Einen anderen Blickwinkel brachte Gunnar Gburek, Company Spokesman & Head of Business Affairs bei der Logistikplattform Timocom, in die Runde ein. Er verdeutlichte die Bedeutung des Spot‐Marktes für die Auslastung des Fuhrparks. Mit bis zu 800.000 Fracht- und Ladeangeboten am Tag spiele Timocom hier eine wichtige Rolle. Der Kundenkontakt bleibe aber dennoch über die abgeschlossenen Kontrakte beim Mittelstand. Allerdings werde die Bedeutung des Spot‐Anteils für Auslastung des Fuhrparks weiter steigen, ist Gburek überzeugt. Das liege auch daran, dass künftig aufgrund der Vielzahl an verfügbaren Informationen ein deutlich präziseres Matching von Ladung und Fahrzeug möglich wird.

„Es gibt viele Klein- und Kleinstunternehmen“, die sich mit dem Wandel schwertun. Trotzdem werde die Digitalisierung kommen – „ob man sich darum kümmert oder nicht“, erklärte Gburek. Die technischen Möglichkeiten dazu sollten aus der Branche kommen und nicht von anderen vorgegeben werden. Es gebe aber auch positive Entwicklungen: Früher wurde nur auf den Preis geschaut. Nun aber werde die Verfügbarkeit zum entscheidenden Kriterium. Das sei, so Gburek, aktuell etwa bei den Preisen für Übersee-Container zu beobachten.

Strafzahlungen künftig vermeiden

Die geforderte Transparenz sieht der Timocom-Mann als Vorteil für die Transportunternehmer. „Wenn ein Lkw nicht wie geplant ankommt, wird der Prozess unterbrochen und alle Beteiligten sind sauer“, sagte Gburek. In Zukunft werde das schon recht früh offensichtlich – und es bestehe die Möglichkeit, ein anderes Fahrzeug zu schicken. Dabei könne es sich entweder um ein anderes, eigenes Fahrzeug handeln oder eben auch eines von einem anderen Transporteur. „Das alle am Ende glücklich sind, das ist unser Ziel.“ Darüber hinaus bleibe dann auch der Preis im Rahmen, auch weil Strafzahlungen entfallen.

Spediteur und Transportdienstleister wollten aus nachvollziehbaren Gründen unabhängig bleiben. Aber eine Fokussierung auf einzelne Kunden werde es so nicht mehr geben, ist sich Gburek sicher. Was aus seiner Sicht aber durchaus positiv zu bewerten ist, da dann auch eine entsprechende Abhängigkeit der Vergangenheit angehöre. „Aufträge werden dann nur angenommen, wenn sie sinnvoll sind und Geld bringen!“

Digitalisierung ist Teil der Lösung

Nun gelte es Lösungen zu finden, welche Informationen an wen und für wie lange freigeben werden. Sonst werde es keine Akzeptanz bei den Akteuren geben. „Transparenz war nie unsere Stärke“, gab Gburek zu bedenken. Vieles habe sogar von einer gewissen Intransparenz gelebt. Das sei in der Zukunft allerdings nicht mehr möglich. Vielmehr gelte es, sich als verlässlicher Partner für die Kunden zu positionieren und ihnen einen Mehrwert zu bieten. Dafür brauche es Transparenz. Die Digitalisierung sei also Teil der Lösung – und nicht Teil des Problems, erklärte Gburek.

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