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Böse Überraschungen für Spediteure nach Lkw-Unfällen So geht Schutz vor Abschlepphaien

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Auf Spediteure warten nach Lkw-Unfällen oft böse Überraschungen. Abschleppunternehmen berechnen teilweise bis zu 38.000 Euro.

Ein Lkw-Unfall hat für Speditionen verschiedene unangenehme Facetten. Eine davon ist der Ärger beim Abschleppen havarierter Lkw, verbunden mit Abzocke. trans aktuell sprach mit zwei Spediteuren, die es schlimm erwischt hat – etwa mit Peter Müller, Geschäftsführer der Firma Karl Müller Logistik aus Soest. Ein Lkw-Fahrer der Spedition war mit Lebensmitteln frühmorgens bei Bad Salzuflen unterwegs. Eine Autofahrerin prallte in suizidaler Absicht frontal gegen den Lkw. Sie starb noch an der Unfallstelle. Der Lkw-Fahrer erlitt einen Schock.

Die Polizei beauftragte ein Abschleppunternehmen, um die nicht mehr fahrbereite Sattelzugmaschine abzuschleppen. Den Sattelauflieger holte die Firma Karl Müller Logistik selbst ab. Die Abschlepprechnung machte letztlich 3.474,80 Euro aus, inklusive Umsatzsteuer. „Das ist Abzocke in Reinkultur“, sagt Müller gegenüber trans aktuell. Darüber hinaus kam es noch zu weiteren Ungereimtheiten. Die Polizei teilte mit, der Lkw sei sichergestellt worden. In solchen Fällen würde die Landeskasse die Abschleppkosten übernehmen, erklärte die Polizei. Als Müller am nächsten Tag bei der Polizei nachfragte, wann das Fahrzeug frei­gegeben werde, stellte sich heraus, dass es doch keine Sicherstellung gegeben habe. Stattdessen könne er den Lkw nun beim Abschlepp­unternehmen in Bad Salzuflen abholen.

Noch schlimmer traf es die Firma Gerdes + Landwehr Spedition und Baustoffe aus Sulingen in Niedersachsen. Ein Lkw des Unternehmens war in einen Auffahrunfall mit einem anderen Lkw verwickelt. Das Fahrerhaus war beschädigt, der Fahrer nicht ansprechbar. Die Polizei verständigte ein Abschleppunternehmen. Wenige Tage später erhielt die Firma die Rechnung: rund 38.000 Euro – in Worten: achtundreißigtausend. Der Grund: „Das Abschlepp­unternehmen rückte mit seinem gesamten Fuhrpark aus, um den Lkw abzuschleppen“, berichtet Marc Beise, Werkstattleiter bei Gerdes + Landwehr, gegenüber trans aktuell. „Man hat mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Wie trans aktuell von Kennern der Szene erfahren hat, kommen solche Fälle mit horrenden Kosten durchaus öfter vor.

Peter Müller, Geschäftsführer Karl Müller Logistik, Abschlepper, Lkw, Abschlepphai Foto: Karl Müller Logistik
„Das ist Abzocke in Rein­kultur“ Peter Müller, ­Geschäftsführer Karl Müller Logistik

Bei jeder Havarie stellt sich die Frage: Welche Kosten sind üblich? Der Verband der Bergungs- und Abschleppunternehmen (VBA) verweist hier auf seine Preis- und Strukturumfrage (PuS), die er alle zwei Jahre erhebt. Der VBA weist jedoch darauf hin, dass es sich hierbei um eine Umfrage handelt und nicht um eine Vorgabe. In der Praxis sind zudem weitere Fragen relevant, insbesondere rechtliche. Zum Beispiel: Wer bezahlt den Lkw-Abschlepper? „Es gilt das Bestellerprinzip“, so der VBA. Damit bezahlt der Auftraggeber. Wichtig hierbei: Die Polizei übernimmt keine Kosten, sondern tritt nur als Vermittler auf. Darüber hinaus weist der VBA darauf hin, dass die vom Abschleppdienst erstellten Rechnungen nachvollziehbar und detailliert sein müssen. Enthalten sein sollten zudem eine ausführliche Leistungsbeschreibung sowie ausreichend aussagekräftige Bilder.

Wenn es dann doch zu Ungereimtheiten bei der Bergungsleistung oder der ausgestellten Rechnung kommt, bietet beispielsweise die Sachverständigenorganisation Dekra verschiedene Dienstleistungen an, zum Beispiel Rechnungsprüfung, Rechnungs- und Leistungsprüfung oder technische Gutachten. Auftraggeber können Versicherer oder die Justiz ebenso sein wie Spediteure. Eine Rechnungsprüfung ist eine Überprüfung einer vorliegenden Rechnung auf sachlich richtig angewandte Reglements. Orientierungspunkte sind hier die bereits erwähnte Preis- und Strukturumfrage vom VBA oder branchenübliche Preisfindungen. Der Dekra-Prüfer nimmt auch Arbeitszeiten, Personalzuschläge, Transportkosten sowie Verrechnungssätze für Fahrzeuge und Bergungsmaterial unter die Lupe.

Beweise liefern

Eine Rechnungs- und Leistungsprüfung ist hingegen eine Überprüfung einer Bergungsmaßnahme hinsichtlich des notwendigen Material- und Personalansatzes und dessen korrekter Auflistung in einer Bergungsrechnung. Ferner können auch technische Gutachten erstellt werden. Dies ist zum Beispiel erforderlich, um herauszufinden, ob bei einer Bergung vermeidbare Schäden am havarierten Fahrzeug entstanden sind.Was ist der Nutzen von alledem? „Aus der Behauptung, die Rechnung sei überteuert oder es sei nicht verhältnismäßig gearbeitet worden, wird durch diese Dienstleistungen ein gerichtsfester Beweis“, erklärt Jan Varnhagen, Sachverständiger für Schwertransportabnahmen sowie für das Bergungs- und Abschleppwesen bei Dekra.

Am meisten Streit entsteht in der Praxis immer dann, wenn die Beseitigung des havarierten Lkw im Auftrag der Polizei erfolgt – etwa wenn der Fahrer verletzt ist. „Dann ist der Spediteur oft der Letzte, der von dem Unfall erfährt“, beklagt Beise. Und: „Der Spediteur kann nicht handeln, etwa den Abschlepper seines Vertrauens konsultieren.“ Doch was ist, wenn sich dieser Abschlepper des Vertrauens Hunderte Kilometer vom Unfallort entfernt befindet? „Das wäre nicht schlimm. Diese Strecke kann er zurücklegen. Das ist immer noch besser, als in die Fänge eines Abschlepphais zu geraten“, betont Jörg Krüger, Geschäftsführer des Abschleppdiensts Krüger aus Anröchte (NRW).

Alternativ könne der konsultierte Abschlepper auch einen Kollegen informieren, der sich näher am Unfallort befinde, empfiehlt Krüger. Damit die Polizei entsprechend handeln und bei Bedarf zunächst die Spedition informieren kann, rät der Abschleppunternehmer dazu, eine Notfallnummer im Handschuhfach des Lkw zu deponieren – oder noch besser: einen Schriftzug mit der Notfallnummer gut sichtbar am Sattelschlepper anzubringen. Diese Vorgehensweise hat zudem Vorteile, wenn rasches Handeln gefragt ist, also die Autobahn schnell freigeräumt werden muss. Dann kann der Spediteur den Abschlepper anweisen, den havarierten Lkw zunächst auf einen Parkplatz zu transportieren, um dann das weitere Vorgehen in ruhigerer Atmosphäre als am Unfallort zu koordinieren.

Unabhängig davon gelten bei einem Lkw-Unfall in den ersten Minuten die gleichen Sorgfaltspflichten wie bei jedem Verkehrsunfall: Warnweste anziehen, Unfallstelle absichern, dann Notruf 110 oder 112 wählen. Wichtig hierbei ist es, möglichst Ort und Zahl der Beteiligten genau anzugeben und erst aufzulegen, wenn der Notrufdisponent keine Rückfragen mehr hat. Sofern erforderlich, ist Erste Hilfe zu leisten. Tipp: Ein seriöser ­Abschlepper lässt sich auch daran erkennen, dass er VBA-Mitglied ist. Oder noch besser: VBA-geprüft. Dies lässt den Verbandsangaben zufolge den Schluss zu, dass die notwendigen Standards erfüllt werden.

Dieser Artikel stammt aus diesem Heft
trans aktuell 07 2020
trans aktuell 07 / 2020
24. April 2020
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