Alkohol am Lkw-Steuer Wer stoppt alkoholisierte Lkw-Fahrer?

Foto: Jan Bergrath
Meinung

Der Brand eines mit 35.000 Litern Kraftstoff beladenen Tankzuges auf der A 40, der von einem alkoholisierten Lkw-Fahrer einer deutschen Spedition verschuldet wurde, lässt einmal mehr die Frage aufkommen, wie sich solche Katastrophen in Zukunft vermeiden lassen. Das ist auch die Frage bei FERNFAHRER live am 8. Oktober.

Die gute Nachricht zuerst. Eine der wichtigsten Autobahnen durch das Ruhrgebiet, die A 40, ist seit dem 4. Oktober früher als geplant wieder befahrbar. Am 17. September war dort bei Mülheim gegen Mittag ein mit 35.000 Litern Treibstoff beladener Tankzug einer Spedition aus dem Schwalm-Eder-Kreis nach einem durch den alkoholisierten Fahrer verursachten Unfall in Brand geraten. Bilder von den aufwendigen Bergungsarbeiten durch ein Essener Abschleppunternehmen hatten den ersten Eindruck vermittelt, der Tankauflieger sei explodiert. Doch der obere Teil des Alu-Aufliegers war durch die Hitze „lediglich“ weggeschmolzen. Der betrunkene Lkw-Fahrer sowie ein Pkw-Fahrer wurden zum Glück nur verletzt. Die betroffene Spedition wollte sich auf meine Nachfrage nicht dazu äußern.

Ein zunehmendes Alkoholproblem auf deutschen Autobahnen

Der spektakuläre Unfall war sicher der augenfälligste Vorfall in einer mittlerweile schier unendlichen Geschichte von Lkw-Unfällen oder gefährlichen Fahrmanövern, die laut der zunehmenden Medienberichte vor allem durch alkoholisierte Fahrer aus Osteuropa auf deutschen Autobahnen verursacht werden. So wie nun der Fall eines Fahrers aus dem fernen Kirgisistan Ende September, der es unter Alkohol sogar auf eine Spitzengeschwindigkeit von 137 km/h auf der A 9 brachte. Hier fordert der langjährige Direktor der Verkehrspolizei Mannheim und Initiator von „Hellwach mit 80 km/h“, Dieter Schäfer, endlich schärfere Maßnahmen, um vor allem bei alkoholkranken Lkw-Fahrern aus dem Ausland die drohende Gefahr zu bannen. So befürwortet Schäfer einen präventiven Fahrerlaubnisentzug durch die Fahrerlaubnisbehörden bei alkoholkranken, nichtdeutschen Berufskraftfahrern nach Paragraf 46 der Fahrerlaubnisverordnung unter Anordnung von Sofortvollzug bereits nach ereignisunabhängigen Abfahrtskontrollen auf Sofortmeldung der Polizei, basierend auf Paragraf § 2 Abs. 12 StVG.

Null Promille für Fahrer von ADR-Transporten

Im Vorfeld zur Debatte auf FERNFAHRER live ist nun bereits eine Diskussion entstanden, ob Fahrer von ADR-Transporten tatsächlich nur mit „0“ Promille unterwegs sein dürfen, wenn für alle anderen Lkw-Fahrer prinzipiell die Grenze ab 0,5 Promille gilt. Dazu verweist PHK Sven Krahnert von der Internetseite „Verkehrssicherheit“ auf den Paragrafen 28 - Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB). „Während der Teilnahme am Straßenverkehr mit kennzeichnungspflichtigen Beförderungseinheiten hat der Fahrzeugführer die Einnahme von alkoholischen Getränken zu unterlassen und die Fahrt mit diesen Gütern nicht anzutreten, wenn er unter der Wirkung solcher Getränke mit einer Wirkung bis 0,249 mg/l AAK oder 0,49 Promille BAK steht.“ Auch Dieter Schäfer verweist auf die eigentliche eindeutige Rechtsprechung: „Das ADR ist die Spezialvorschrift für Gefahrgutfahrer und sanktioniert bis 0,49 Promille mit Bußgeld und gegebenenfalls einem Fahrverbot“, so Schäfer. „Ab 0,5 Promille greifen die allgemeinen Vorschriften wie der Paragraf 24a StVG und Paragraf 316 StGB. Letztere greifen bei Beweisanzeichen für relative Fahruntüchtigkeit sogar schon ab 0,3 Promille Der Gefahrgutfahrer ist mit Alkohol also immer dran. Außerdem kann ab 0,2 Promille ein Kündigungsgrund vorliegen.“

Ist der Fahrer haftbar zu machen?

Nach Rücksprache mit einer Versicherung ergibt sich folgende Sachlage: In den Kfz-Haftpflichtversicherungen gibt es eine Trunkenheitsklausel. War der Fahrer absolut fahruntauglich, so ist die Versicherung grundsätzlich leistungsfrei gestellt. Wegen der Existenzvernichtungsregel kann gegenüber dem Fahrer aber nur ein Regress in Höhe von 5.000 Euro gefordert werden. Den Rest zahlt die Versicherung. Bei horrenden hohen Einzelfällen ist der Haftpflichtversicherer bei seinem Rückversicherer abgesichert und holt sich die Schadensmillionen von dort zurück. Seine Police wird erhöht und die Erhöhung auf mehrere Jahre gestreckt. Die Kosten werden sozialisiert und fließen in die Berechnung der Jahresversicherungspolicen ein. Meist wird in solchen Fällen auf Regress beim betrunkenen Fahrer verzichtet; weil das Klageverfahren teurer kommt als die Forderung.

„Der Unternehmer hat gar kein Risiko“, beklagt Dieter Schäfer. „Alle lehnen sich zurück und die Allgemeinheit zahlt.“ Allein der Abriss der Eisenbahn-Brücke hat nun über zwei Wochen gedauert. Der Wiederaufbau nimmt mindestens zwei Jahre in Anspruch. Solange entstehen Staus und Streckenumfahrungen mit enormen volkswirtschaftlichen Kosten. „Das den Unfall verursachende Unternehmen kann gelassen seine Geschäfte weiterverfolgen“, so Schäfer. „Es gibt leider nur die moralische Unternehmerverantwortung.“

Alcolocks im Speditionseinsatz

Auf eine derartige Situation will sich Rudolf Schumacher, Fleet Manager Business Unit Chemilog der HOYER GmbH Internationale Fachspedition mit Sitz in Dormagen, gar nicht erst einlassen. Das Hamburger Unternehmen hat kürzlich erst auf Eurotransport bekannt gegeben, dass es seine komplette Flotte erneuern will. Ein aktiver Abbiegeassistent gehört ebenfalls zur Sicherheitsausstattung wie auch ein an die Zündung gekoppeltes Alkohol-Lock-System.

Dieses erlaubt das Starten des Fahrzeugs erst nach einem Atemtest. Zum ersten Mal ist in allen Lkw zudem ein Panik-Knopf eingebaut. Dieser kann vom Fahrer im Notfall manuell betätigt werden. Daraufhin geht in der Disposition ein Alarm ein.

Für bislang 102 Volvo FH 500 hat Fuhrparkleiter Schumacher sich dabei für das Interlock 5000 des Herstellers Dräger entschieden. Bis Ende des Jahres sollen alle 170 eigenen Fahrzeuge modernisiert und mit der atemalkoholgesteuerten Wegfahrsperre ausgestattet sein. „Wir haben ein gesellschaftliches Problem mit dem Thema Alkohol“, so Schumacher. „Als verantwortungsbewusstes Transportunternehmen können wir nur versuchen, den möglichen Missbrauch durch Lkw-Fahrer unmöglich zu machen.“

Primärprävention in Deutschland

Beim Verkehrsgerichtstag 2019 in Goslar wurde das Thema der Primärprävention durch Alcolocks zwar in einem Arbeitskreis behandelt, berichtet der Verkehrspsychologe Thomas Pirke aus Bremen. Der Arbeitskreis sah im Strafrecht folgende Einsatzmöglichkeiten für Alkohol-Interlock- Programme:

  • als Alternative zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111 a StPO) bzw. Sicherstellung oder Beschlagnahme (§ 94 StPO),
  • als Ausnahmen von der Sperrfrist (§ 69a II StGB) bzw. sperrfristverkürzend (§ 69a VII StGB),
  • als Alternative zum Fahrverbot (§ 44 StGB).

„Aufgrund des erhöhten Gefahrenpotentials hat sich der Arbeitskreis für einen primär- präventiv europaweit verpflichtenden Einbau von Alkohol-Interlock-Geräten im gewerblichen Personen- und Güterverkehr ausgesprochen“, so Pirke. „Der Arbeitskreis hat zwar dazu aufgefordert, schon jetzt Anreizsysteme für den freiwilligen Einbau von Alkohol-Interlock-Geräten zu schaffen. Von irgendeiner Verpflichtung in Deutschland ist mir allerdings nichts bekannt.“

Primärprävention Alkohol-Interlocks im Ausland

„Außerhalb Europas findet der primärpräventive Einsatz von Alkohol-Interlocks noch relativ wenig Beachtung. Innerhalb Europas hat er sich, beispielsweise im skandinavischen Raum für das Gütertransportgewerbe, bestens bewährt“, so Pirke. Bereits 1999 wurden in den ersten drei schwedischen Transportfirmen Alkohol-Interlocks installiert. Bis zum Jahr 2011 konnten hier schon etwa 80.000 entsprechend ausgerüstete Fahrzeuge gezählt werden. Volvo baut schon seit mehreren Jahren Alkohol-Interlocks in Lkw ein und bietet sie sogar seit 2010 als Sonderausstattung für Pkw an. „Im Personen- und Gütertransportgewerbe werden Alkohol-Interlocks in Schweden mittlerweile standardmäßig eingesetzt, was dem Vertrauensgewinn der Bevölkerung in die Verkehrssicherheit zuträglich war.“

Terminhinweis:

Am Donnerstag, dem 8.10. 2020, diskutieren bei FERNFAHRER live ab 17 Uhr folgende Gäste die Frage, mit welchen Möglichkeiten sich baldmöglichst weitere schwere Unfälle durch alkoholisierte Lkw-Fahrer vermeiden lassen: Rudolf Schumacher, Fuhrparkleiter bei Hoyer in Dormagen, Dieter Schäfer, Initiator der Initiative „Hellwach mit 80 km/h“, Thomas Pirke, Verkehrspsychologe aus Bremen, Martin Bulheller, Pressesprecher des Bundesverbandes Güterverkehr, Logistik und Entsorgung e.V. (BGL) aus Frankfurt, sowie die drei Lkw-Fahrer Dirk Baumgart und Lars Borck.

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