Traditionsbruch in Ulm Iveco verkauft Magirus

Magirus, Brandschutz, Löschfahrzeuge, Neuheiten, Turbinenlöschfahrzeuge Foto: Johannes Roller

Die Iveco Group hat die Übertragung der Magirus GmbH und ihrer Tochtergesellschaften, die im Bereich Feuerwehrtechnik tätig sind, an die Investmentholding Mutares bekannt gegeben. Ein radikaler Einschnitt, der die Brandschutzsparte unabhängig und wettbewerbsfähiger machen soll.

Die Entscheidung bedeutet den Bruch mit einer Traditionslinie, die bis ins Jahr 1864 zurückreicht. Damals stieg ein gewisser Conrad Dietrich Magirus in die Schmiedewerkstatt Eberhardt ein. Bis dahin war er Besitzer eines Gemischtwarenladens in der Ulmer Hirschstraße – und leidenschaftlicher Brandschützer. Deshalb leitete er auch die Feuerwehrkompanie der Stadt, informierte sich über den Brandschutz in anderen europäischen Metropolen und formte die Schmiede schon bald in eine „Feuerwehr-Requisiten-Fabrik“ um. Die Bezeichnung Fabrik war zwar noch übertrieben, doch 1873 präsentierte Magirus eine zweirädrige Schiebleiter mit einer Steighöhe von bis zu 14 Metern, die als „Ulmer Leiter“ weltberühmt werden sollte. Erstmals konnte eine Leiter im Freistand bestiegen und im ausgezogenen Zustand bewegt werden.

Revolutionäre Erfindungen für den Brandschutz

Von der Elevator-Patent-Leiter über die noch von Pferden gezogene Petroleum-Motorspritze bis hin zur ersten automobilen Elektro-Drehleiter: Immer wieder machte Magirus mit revolutionären Neuerfindungen auf sich aufmerksam. Ende des 19. Jahrhunderts zählte die Fabrik etwa 300 Mitarbeiter. Nach Magirus‘ Tod übernahmen seine drei Söhne die „Vereinigte Feuerwehrgerätefabrik GmbH“. Ab 1909 trug sie den Namen „Feuerwehrgeräte- und Fahrzeugfabrik C. D. Magirus“. Zwei Jahre später wurde daraus die „C. D. Magirus AG“.

Iveco Foto: Iveco

Einstieg in den Lastwagenbau

Im Ersten Weltkrieg baute Magirus auf Drängen der Heeresleitung den ersten Lastwagen. 1921 folgte das erste leichte Löschfahrzeug auf einem 1,5-Tonnen-Fahrgestell, die sogenannte „Bayernspritze“. Der „Wasserwagen" als Vorläufer des Tanklöschfahrzeugs folgte. 1925 präsentierte das Unternehmen sein neues Firmenzeichen: das „M“ mit dem Münsterturm.

KHD übernimmt

Finanziell ging es im Zuge der Weltwirtschaftskrise abwärts und so übernahm 1936 die Kölner Humboldt-Deutz-Motoren AG, die dem Großindustriellen Peter Klöckner gehörte, das Unternehmen. In den Folgejahren verdrängte „Klöckner-Humboldt-Deutz“, kurz KHD, den Namen Magirus zusehends. Die späten 30er-Jahre standen schließlich ganz im Zeichen der Rüstungsproduktion. In Ulm entstanden fortan so genannte Einheitslastwagen, Kettenfahrzeuge und Holzvergaser-Lkw für die Wehrmacht. Bis 1945 kam die Produktion regulärer Lkw und Busse praktisch zum Erliegen. Durch Luftangriffe der Alliierten wurden die Werksgebäude stark beschädigt.

Magirus-Deutz Eckhauber 3. Generation ab 1971, Test Magirus 232 D16 K/AK, lao 4/1971, Rückspiegel lao 4/2021, Historie Oldtimer FF 5/2021 Foto: ETM Archiv

Von Magirus-Deutz zu Iveco

Nach Kriegsende kehrte Magirus im Markennamen Magirus-Deutz zurück. In den 50er- und 60er-Jahren entwickelte sich die Firma zu einem der größten deutschen Nutzfahrzeughersteller. Spezialität: allradgetriebene Baufahrzeuge und natürlich Feuerwehrautos. Berühmt wurden die Rund- und Eckhauber von Magirus-Deutz unter anderem für ihre luftgekühlten Motoren mit dem großen Radiator. Dank ihrer Unverwüstlichkeit fahren sie in manchen Ländern noch heute.

Auch die Brandschutzsparte blieb weiter auf Expansionskurs. Bis zur Feier seines 100-jährigen Bestehens präsentierte Magirus die höchste Drehleiter der Welt mit 52 + 2 Metern Steighöhe und Fahrstuhl sowie die ersten Tragkraftspritzen mit einem luftgekühlten VW-Motor.

In den 70er-Jahren verschärfte sich der Konkurrenzkampf auf dem deutschen Lkw-Markt. Magirus-Deutz baute zwar ein neues Werk in Ulm und ergatterte einen Riesenauftrag aus der Sowjetunion (luftgekühlte Kipper machten sich beim Bau der Baikal-Amur-Magistrale einfach besser). Dennoch wurde der technologische Abstand zu den Hauptkonkurrenten Mercedes-Benz und MAN größer. So suchte KHD nach einem Partner für seine Nutzfahrzeugsparte Magirus-Deutz – und fand sie in der Industrial Vehicles Corporation (Iveco) mit Fiat als Hauptanteilseigner.

Von Fiat zu CNH Industrial

Der Iveco-Schriftzug auf dem Kühlergrill wurde nun immer größer – während erst das Münster, dann Deutz und schließlich Magirus verschwanden. 1980 verkaufte Deutz seinen Iveco-Anteil an Fiat, und so wurde die Magirus-Deutz AG zur Iveco Magirus AG. Erst unter dem Dach von Fiat Industrial, dann von CNH Industrial (Case New Holland).

Die Brandschutzsparte wurde 1996 in die Tochtergesellschaft Iveco Magirus Brandschutztechnik GmbH ausgegliedert. Diese präsentierte vier Jahre später die erste schwingungsfreie Drehleiter mit CS-Technologie (computer stabilized). 2012 folgte die mit 42 Metern höchste Gelenkdrehleiter der Welt. Im selben Jahr verlagerte Iveco die Produktion schwerer Lkw endgültig von Ulm nach Madrid.

Premiere: Die neue Drehleiter M68L, die Magirus auf der Interschutz 2015 präsentiert, sitzt auf einem vierachsigen Iveco Trakker. Foto: Johannes Roller

Die Rückkehr des Markennamens

Für den Produktionsstandort Ulm bedeutete dies einen radikalen Einschnitt – aber nicht das Aus. Denn im September 2013 kehrte „Magirus“ zurück: als auf den Brandschutz spezialisierte CNH-Tochter mit Ulm als Sitz und zentralen Produktionsstandort. Die Umfirmierung hatte allerdings weniger mit dem Jubiläum als mit der Neustrukturierung unter dem Dach von CNH Industrial zu tun. Auch das Magirus-Logo, ein stilisiertes "M", sah fast wieder aus wie früher. Nur das Ulmer Münster fehlte – die Rechte daran behielt Deutz.

Die einstige Montagehalle für die Lkw-Fahrerhäuser wurde zur Keimzelle einer neuen Löschfahrzeug-Manufaktur. Die Konzentration auf Ulm bedeutete wiederum das Aus für die Magirus-Standorte Weisweil und Görlitz. Schon damals wurde gemunkelt, dass die Braut hübsch für einen Verkauf gemacht werde. Doch nach der aufwendigen Umstrukturierung geschah nichts dergleichen – bis im Juli 2023 die Suche nach einem „strategischen Partner“ offiziell bekannt gegeben wurde. Im Jahr zuvor hatte CNH seine „On-Highway-Aktivitäten“ in die Iveco Group ausgegliedert. Diese hat in der Mutares SE & Co. KGaA mit Sitz in München nun ihren Bräutigam für Magirus gefunden.

Aktuell beschäftigt Magirus laut Konzernkommunikation über 1.300 Mitarbeiter in Deutschland, Italien, Frankreich und Österreich. Im Jahr 2023 machte die Brandschutzsparte lediglich etwa zwei Prozent des Umsatzes der Iveco Group aus und verzeichnete einen bereinigten EBIT-Verlust von 35 Millionen Euro. Vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung soll die Transaktion an Mutares bis spätestens Januar 2025 abgeschlossen sein.

Johannes Roller Foto: Johannes Roller

Abnabelung von Iveco als Chance?

Die Transaktion verschaffe Magirus die vollständige Unabhängigkeit von der Iveco Group und ermögliche einen eigenständigen Weg in die Zukunft des Feuerwehrgeschäfts, unterstreicht Iveco. „Unter dem neuen Eigentümer wird Magirus flexibler und agiler sein, um Chancen zu ergreifen und einen neuen, stabilen und gesunden Weg einzuschlagen. Dies markiert ein neues Kapitel in der langjährigen Geschichte der Marke und ermöglicht es ihr, noch effizienter und effektiver in ihrem einzigartigen Markt wettbewerbsfähig zu sein.“

Auch Branchenkenner sehen die Befreiung von italienischen Einflüssen und Zwängen durchaus als Chance. Die Magirus-Drehleitern genießen einen tadellosen Ruf, bei der Entwicklung von Löschrobotern sind die Ulmer führend, sie haben Expertise bei den vermehrt benötigten Waldbrandbekämpfungsfahrzeugen und bauen längst auch auf Fahrgestellen anderer Lkw-Hersteller auf.

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