MAN vollständig autonom unterwegs Erste Fahrt im ANITA-Lkw

ANITA Foto: Markus Bauer 6 Bilder

MAN lehrt den Lkw mit verschiedenen Partnern, ganz ohne Fahrer zwischen Containern durchs Terminal zu kurven. Damit zeigen die Löwen zur Halbzeit des Projekts ANITA, wozu die Technik heute schon bereit wäre.

„Kollege Computer, übernehmen Sie“. Ganz so weit ist das Projekt ANITA (Autonome Innovation im Terminalablauf) von MAN, Deutsche Bahn, Götting und der Hochschule Fresenius noch nicht gediehen. Aber: Was der Versuchsträger namens Berta bei der ersten öffentlichen Fahrt auf der MAN-Teststrecke in München zur Halbzeit der Projektlaufzeit demonstriert, ist vielversprechend.

Testbetrieb im DUSS-Terminal Dornstadt

Demnächst dürfen die Prototypen in einem etwas größeren Laufstall ihre Gehversuche machen. Sie werden zunächst ein Jahr lang im DUSS-Terminal in Dornstadt bei Ulm Container von A nach B bringen. Dabei kommunizieren sie selbständig mit dem Terminal, holen sich ihre Befehle, Berechtigungen und Ziele ab. Der Mensch ist tatsächlich nur noch für den Notfall an Bord. „Die grundlegende Automatisierungstechnologie für ANITA ist bereit“, sagt Dr. Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus. „Für die Feinabstimmung gehen wir nun in den direkten Abgleich mit der Praxis, um das System mit Blick auf Einsatzsicherheit und Mehrwert für den künftigen Anwender weiterzuentwickeln.“ Diesen Ansatz verfolge man konsequent, um autonome Lkw in Terminalverkehren ab Ende des Jahrzehnts als Serientechnik anbieten zu können. „Engagierte Partner wie die Deutsche Bahn, die Götting KG und die Hochschule Fresenius sind dabei essentiell.“ Wichtig sei, dass so ein System in der Anwendung problemlos funktioniert und die Kunden am Ende sagen: „Das bringt mir was.“ Dabei hilft den Projektpartnern die jüngst veröffentlichte Gesetzesänderung zum autonomen Fahren, die den Herstellern Planungssicherheit bei der Homologation liefert.

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„Den ökologisch besten Weg wählen“

Dr. Sigrid Nikutta, Vorstand Güterverkehrs der Deutschen Bahn und Vorstandsvorsitzende der DB Cargo bringt bei der Präsentation in München eine weitere Sichtweise ins Spiel. Letztlich müsse man den ökologisch besten Weg wählen, so Nikutta. Fracht gibt es genug für alle, aber Intermodalität ist das Stichwort. Kürzere Strecken und die Anlieferung ans Intermodelterminal kann der Lkw übernehmen, für lange Strecken stehe die Bahn bereit. „Schiene und Straße kombiniert – das ist die umweltfreundliche Lösung für die Logistik der Zukunft“, sagt Nikutta. „Wir arbeiten hier zusammen, damit diese intermodalen Verkehrs wachsen. Digitalisierung und Automatisierung helfen uns, die Schnittstellen zum Güterzug, die Abläufe in den Terminals einfach und schnell zu machen. Dazu gibt Nikutta ein Zahlenbeispiel. Die 220 Terminals in Deutschland seien bereits gut ausgelastet. Um also die Kapazitäten zu erhöhen, muss die Geschwindigkeit steigen. Straffere Prozesse durch mehr Automatisierung und ohne Wartezeiten, weil beispielsweise ein Fahrer erst ins Pförtnerhäuschen muss, sorgen hier für mehr Effizienz. Denn der autonome Lkw übernimmt auch die Kommunikation mit den diversen Stellen. Mit ANITA probe man die Blaupause für weitere Terminals der Stufe 4.0. Das ließe sich dann auf ganz Europa übertragen.

Maschine nur so gut wie ihre Programmierung

Allerdings bleiben Berta und Newton aktuell von der Programmierung abhängige Maschinen, wie Prof. Dr. Christian T. Haas von der Hochschule Fresenius sagt. Der Unterschied zum Menschen bestehe darin, dass dieser auf einen großen Erfahrungsschatz zugreifen kann, sich aber auch adhoc zusätzliche Informationen holen kann, um unvorhergesehene Situationen zu interpretieren. Die Maschine müsse zum jetzigen Stand vom Hersteller alle erdenklichen Szenarien eingespeichert bekommen. Umso wichtiger ist also eine eingehende Test- und damit Lernphase. „Bei den Praxistests im Terminal werden wir jeden Tag dazulernen“, sagt MAN Projektleiterin Amelie Jacquemart-Purson. „Es erfordert hohe Ingenieurskunst, die Kamera-, LIDAR- und Radardaten zusammenzuführen, zu interpretieren und richtig umzusetzen.“ Es gehe also im Endeffekt um nicht weniger, als menschliche Wahrnehmungen und Handlungen zu ersetzen.

Kommunikation ist der Schlüssel

Aber während die Technik einerseits bestenfalls wie ein Mensch denkt und handelt, wird sie es auch mit Menschen im täglichen Betrieb zu tun haben. Kommunikation ist das Stichwort. Hier setzt MAN auf Lichtzeichen. Diese verteilen sich in Form mehrerer Leuchten übers Äußere der Kabine. Ein türkisfarbenes Licht signalisiert dem Betrachter: Dieses Fahrzeug ist autonom unterwegs. Zwei weitere Leuchtflächen befinden sich an den Türgriffen, damit es zu keinen Missverständnissen kommt. Mit grünen Türgriffen signalisiert der Lkw Interaktionsbedarf. Beispielsweise sieht der Stacker so, dass der Lkw bereit zum Laden ist. Ein rotes Licht am Türgriff signalisiert: Nicht einsteigen.

Erste Fahrt mit ANITA

Doch wie benimmt sich ANITA tatsächlich in der Praxis? Zwar nicht umringt von Stackern und Containern, aber immerhin im strömenden Regen geht es autonom chauffiert auf die erste Testfahrt. Nach dem Einsteigen autorisiert der Ingenieur das System per Knopfdruck für die vollautonome Fahrt – und Berta übernimmt. Berta ist ein MAN TGX der vorigen Generation, ausgerüstet mit allen verfügbaren Sensoren und zusätzlich mehreren LIDARs. Diese senden pro Sekunde 1,2 Millionen Laserstrahlen aus und messen anhand der Zeit zwischen Aussenden und Ankunft der Reflexion, wo potenzielle Hindernisse lauern, oder wie der Wegverlauf aussieht. Wie knifflig die autonome Technik ist, zeigt sich auch darin, dass den Ingenieuren diese Messrate eigentlich noch zu gering ist und Newton darum noch schneller strahlt. Da ist es beinahe logisch, dass MAN sich nicht auf GPS-Daten verlassen kann. Diese sind schlicht zu ungenau und dienen höchstens als Angabe fürs finale Fahrziel. Der Lkw bewegt sich also immer in seiner umgebenden Wolke aus Lichtpunkten, die er fortwährend interpretiert und so die nächsten Schritte plant.

Souverän ums Hindernis

Auf der Teststrecke gilt Tempo 25 als Maximum. Da gehe aber eigentlich noch deutlich mehr, fügt der Ingenieur selbstbewusst an. Im Cockpit kann der Mensch betrachten, was der Lkw über seine LIDAR-Sensoren (Laserabtastung der Umgebung) sieht. Das ist vor allem eine Wolke aus zahlreichen Pünktchen. Die Fahrbahn erscheint als freier Streifen – freie Fahrt also. Allerdings machen hohes Gras und seitlich in die Straße hereinragende Zweige der Technik das Leben etwas schwer. Aus diesen Fehlsignalen konstruiert die Software immer wieder Hindernisse, erkennt dann aber nach einem kurzen Zucken den Fehlalarm. Das System geht also nicht in einen ängstlichen Totstellmodus und verlangt nach einem menschlichen Eingriff, sondern weiß sich selbst zu helfen. Deutlich souveräner geht Berta mit einem „echten“ Hindernis um. Ein Testkörper, der sonst für Notbrems-Versuche herhalten muss, mimt ein geparktes Auto. Berta setzt selbständig den Blinker und wechselt geschmeidig die Spur, erkennt glücklicherweise auch ebenso zuverlässig ein Kamerateam, das sich hinter dem Hindernis postiert hat.

Profis am Steuer sind schwer zu ersetzen

Zumindest für den Einsatz im DUSS-Terminal, den die Fahrzeuge des ANITA-Projekts demnächst mit ihren Safety Drivern antreten, sind Berta und Co. also gut gerüstet. Die Lkw-Industrie zeigt also grundsätzlich schon jetzt, was technisch möglich wäre, um auch ein Stück weit den Fahrermangel zu bekämpfen. Für den einen oder anderen Anwendungsfall mag das durchaus Teil eines Gedankenspiels sein, wenn auch mit einem eher mittelfristigen Zeithorizont. Doch allzu früh wird die Technik sicherlich nicht in allen Fällen den menschlichen Fahrer ersetzen können. Dafür bietet den Straßenverkehr zu viele unvorhergesehene Eventualitäten, auf die teils nicht einmal der verspielteste Entwicklungsingenieur heißt. Denn spätestens bei der Fahrt über den Münchner Mittleren Ring wird aber klar: Wenn es hart auf hart kommt, braucht es noch immer ein kreatives und bestens geschultes menschliches Gehirn, das Lenkrad und Pedale beherrscht.

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