Interview Gustav Tuschen Auf dem Weg zum autonomen Stadtbus

Gustav Tusche Foto: Thorsten Wagner, Daimler AG

Gustav Tuschen, bis 2022 Entwicklungsleiter und Mitglied der Geschäftsführung EvoBus, über die Transformation in den Bus-Segmenten und die Wasserstoff-Zukunft.

Wie würden Sie Ihren Werdegang im Daimler Konzern beschreiben?

Zuerst einmal danke ich für die Gelegenheit, mit Ihnen wahrscheinlich zum letzten Mal in dieser Form zu sprechen und Ideen auszutauschen.

Mein Werdegang bei Daimler beläuft sich insgesamt auf 33 Jahre und das immer im Nutzfahrzeugbereich! Dabei habe ich drei Mal zwischen dem Truck- und dem Busbereich gewechselt, ich habe mich also nie als reiner „Busler“ oder „Truckmann“ definiert. Einmal war ich sogar für beide Bereiche zuständig, und zwar bei Mitsubishi Fuso in Japan, was für mich sehr spannend war. Für eine Karriere gibt es aus meiner Sicht keinen „Masterplan“.

Ich habe Ende 1989 in Stuttgart als junger Ingenieur mit ganz großen Augen auf eine neue, interessante Nutzfahrzeug-Welt geschaut, und dann gab es eine ganz lange Zeit, in der nie das Gefühl hatte, unterfordert zu sein – manchmal vielleicht ein bisschen das Gegenteil. Dabei gibt es im Laufe einer Karriere immer wieder neuralgische Weichenstellungen, bei denen es ganz wichtig ist, wohin man abbiegt, und welche Förderer man hat, die den entscheidenden Impuls geben.

Wie kam es am Anfang Ihrer Karriere zur klaren Fokussierung auf die Nutzfahrzeuge?

Als junger Ingenieur gab es vor allem eine Automotive-Begeisterung. Bei Mercedes kam dann einfach das interessantere Angebot vom Nutzfahrzeugbereich, weil mir dort genau der Job im Bereich Simulation und Berechnung angeboten wurde, den ich gesucht hatte. Im Nachhinein habe ich dann gemerkt, wie spannend die Nutzfahrzeugwelt ist und ich habe mir früh gesagt: „Gott sei Dank bin ich hier rechts und nichts links abgebogen!“ Das liegt sicher auch an der etwas kleineren Organisationsgröße, was zu einer höheren Verantwortung führt.

Zudem hat das Nutzfahrzeug einen echten, zielgerichteten „Purpose“, wie es heute so schön heißt. Daraus entsteht dann eine hohe Spezialisierung und eine sehr große Kundennähe. Last but not least sprechen wir ja von einer Menge an Technik, die wir in den Truck reinstecken und nochmal deutlich mehr in einen Bus! Für technikaffine Menschen wie mich ist das eine total spannende Aufgabe. Es ist eine andere Faszination als die für Pkw, für die ich mich in Form von Sportwagen auch persönlich sehr begeistern kann. Es ist eben eine etwas andere Perspektive, nicht zuletzt eine international diversifizierte.

Würden Sie sagen, der enge Kundenbezug ist typisch für den Busbereich?

In der Logik der Kundennähe ist der Bus wirklich deutlich näher am Kunden als der Pkw oder der Truck. Die Kundengruppen sind deutlich überschaubarer und oft sind die Unternehmer auch zugleich die Nutzer der Produkte, gerade im Reisebusbereich. Das Feedback der Kunden ist sehr direkt und kann eine echte Motivation, aber auch eine Challenge sein, wenn es mal nicht so gut klappt. Das gibt insgesamt eine große Sicherheit in dem, was man machen muss. Eine sehr schöne Konstellation aus meiner Sicht.

Gustav Tusche Foto: Thorsten Wagner, Daimler AG
Gustav Tuschen war von 2013 bis 2022 Entwicklungsleiter EvoBus.
Welche Rolle spielen denn heute die Plattformstrategien im Konzern?

Das sind wichtige Strategien, um Skaleneffekte zu generieren, die am Ende wieder dem Kunden zugute kommen und die Komplexität verringern. Trotzdem kann man nicht die spezifischen Kundenwünsche ausblenden, es geht eher darum, beide Perspektiven miteinander zu verbinden. Es geht dabei weniger um die Dominanz einer der Perspektiven, sondern um eine bestmögliche Integration.

Wie würden Sie die generelle Entwicklungstechnik im Bus in den letzten 20 Jahren beschreiben?

Man muss hier sicher zwischen Reisebus und Stadtbus deutlich unterscheiden. Ich fange mal beim Reisebus an: Wenn ich die Comfort-Class 400, die wir 2003 in den Markt gebracht haben, mit der Modellpflege der 500er-Baureihe vergleiche, die wir dieses Jahr launchen werden, da gibt es schon eine enorme Weiterentwicklung bei den Themen Kraftstoffeffizienz, Komfort, Infotainment und Connectivity und nicht zuletzt bei der aktiven Sicherheit. Das sind Welten dazwischen, wobei ich lieber von einer evolutionären als von einer revolutionären Entwicklung sprechen will. Ich denke, im Reisebus werden wir zudem in den nächsten fünf Jahren revolutionäres in Sachen emissionsfreie Antriebe sehen.

Diese Transformation haben wir im Stadtbus ja schon fast hinter uns. Das war wirklich das dominierende Entwicklungsthema in meinen letzten zehn Berufsjahre. 2013 haben wir noch über den richtigen Weg diskutiert, heute ist der aber völlig klar und wird weiter vorangeschritten. Ein Mercedes-Benz eCitaro hat rein technologisch nicht mehr viel damit zu tun, was einen Citaro Euro 5 oder 6 ausmachte, auch wenn sie viele gemeinsame Bauteile haben. Die Herausforderung hieß vor allem, den Energieinhalt eines 400 Liter Dieseltanks in Batteriepower zu übersetzen. Da kommen wir bald mit über 500 kWh schon viel weiter, aber wir liegen immer noch deutlich unter diesem Äquivalenzwert. Die Frage war einfach, wie kann man trotzdem den Verkehrsunternehmen einen Bus liefern, der im täglichen Einsatz die geforderte Reichweite leisten kann und auch muss. Das war eine enorme Herausforderung, ähnlich wie bei Apollo 13. Auch bei dieser Challenge war es wichtig, die Systeme so effizient wie möglich zu gestalten und zu vernetzen, damit noch genug Energie für den Heimweg auf die Erde an Bord übrig war.

Schauen wir nochmal in die Zukunft. Wie sehen Busse denn in zehn Jahren aus?

Da sind wir natürlich sehr schnell beim Emissionsmanagement und dem weiteren Weg der Transformation. Das Thema wird zwar weiter dominieren, aber in spätestens fünf Jahren wird das ein normales Thema sein. Dann wird es noch mehr um Connectivity und Automatisierung gehen.

Unabhängig von der Fahrzeugkategorie glaube ich, dass wir in zehn Jahren Fahrzeuge haben werden, die als vernetzte Systeme mit hoher Automatisierung funktionieren. Die ist natürlich gerade beim Stadtbus sehr komplex, aber aus meiner Sicht könnte ein solcher vollautonomer Stadtbus in zehn Jahren serienreif sein.

Natürlich wird dieses Thema mit der bevorstehenden Einführung der nächsten Generation unseres Highway-Piloten in unseren Reisebussen weiter Fahrt aufnehmen. Es wird im Reisebus aber auf lange Zeit nicht darum gehen, den Fahrer zu ersetzen. Daran glaube ich persönlich nicht. Der Fahrer ist auch perspektivisch ein ganz wichtiger Faktor. Beim Stadtbus sieht das anders aus, besonders wenn es um kleine Fahrzeuggrößen geht, die ich als eine sehr wichtige Ergänzung des ÖPNV sehe. Wir haben durchaus Pläne, wie ein solches Fahrzeug aussehen kann, wenn es denn soweit ist mit der Automatisierung.

Das Thema Wasserstoff hat Sie lange begleitet. Wie sehen sie die Zukunft für den Kraftstoff? Ist das Thema überbewertet?

Nein, auf keinen Fall. Ich persönlich habe eine sehr schöne, erste Erfahrung mit Wasserstoff, als wir auf der UITP 1997 in Stuttgart neben dem neuen Citaro C1 im Außenbereich einen O 405 N Wasserstoffbus gezeigt und den Besuchern vorgeführt. Das ist ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.

Die Frage ist doch, ob die Technologieoffenheit, die wir uns als Konzern leisten, gerechtfertigt ist. Und ich sage ganz klar ja, weil Wasserstoff deutliche Vorteile bei Energiespeicherung und Reichweiten hat. Gerade ein Reisebus, der bis zu 1.000 Kilometer Tagesreichweite benötigt, muss als Tool auch funktionieren für den Kunden. Zweitens denke ich ans spezifische Gewicht der Energiespeicher. Das Gesamtgewicht eines Batteriesystems wird bei aller Entwicklung immer deutlich höher sein als das eines Brennstoffzellenantriebs. Daher macht dieser Antrieb weniger im Stadtbus, aber im Reisebus und Fernverkehrs-Lkw am meisten Sinn. Das, was es jetzt braucht, ist das Vertrauen in die Technologie, denn es gibt so ein gewisses Henne-Ei-Problem: Die potenziellen Investoren für die Infrastruktur warten auf die Fahrzeughersteller und umgekehrt. Da braucht es einfach den Schulterschluss.

Was würden Sie denn heute Ihnen als Berufseinsteiger von damals mit auf den Weg geben? Werden wir Sie wiedersehen?

Das Thema Netzwerken und Rat Einholen von erfahrenen und zugleich mutigen Persönlichkeiten macht sehr viel Sinn, um sich selbst zu orientieren und sich eine valide Meinung zu bilden. Für die Zukunft habe ich noch keinen Masterplan, ich denke aber schon, dass ich in irgendeiner Form aktiv bleiben werde im weiten Feld der Nutzfahrzeug-Technik.

Zur Person

  • Gustav Tuschen (Jahrgang 1962) studierte Maschinenbau in Paderborn und Betriebswissenschaft in Hohenheim und Hagen.
  • 1989: Eintritt als Ingenieur im Bereich Entwicklung für Nutzfahrzeuge in die damalige Mercedes-Benz AG in Stuttgart. Sein Steckenpferd: Berechnung und Simulation.
  • 1995: Wechsel zur neu gegründeten Daimler-Tochter EvoBus und Verantwortung für verschiedenen Positionen in der Entwicklung für Stadtbusse bis 2001. Im Anschluss übernahm er die Projektleitung für das New Coach Interurban Projekt (NCI).
  • 2006: Wechsel nach Stuttgart zu Daimler als Leiter der Produktplanung Lkw.
  • 2011: Entwicklungsleiter für die Mitsubishi Fuso Truck & Bus Corporation in Japan.
  • 2013 bis 2022: Entwicklungsleiter und Mitglied der Geschäftsführung bei EvoBus in Stuttgart.
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