Fahrer vor Gericht Revolutionäre Verteidigung

Stoneridge Digitacho Digitaler tachograf SE5000 exakt Duo Foto: Stoneridge

Laut Digitacho soll Jan* deutlich zu schnell gefahren sein. Autobahnanwalt Silvio Lange entdeckt Unstimmigkeiten im Bußgeldbescheid. Und wirft vor Gericht eine revolutionäre Frage auf.

Jan* fährt seit 26 Jahren Lkw, seit 10 Jahren nachts und immer punktefrei. Manchmal kommt er in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Die Beamten sind dann meist ganz freundlich, aber auch sehr fleißig und oft vom Willen beseelt, eine Schwachstelle am Laster zu finden. Dass das auch anders geht, musste Jan vor einem halben Jahr erfahren. Der kontrollierende Beamte war nicht freundlich, dafür aber eben auch nicht fleißig. So gleicht sich das auf nicht überzeugende Weise wieder aus. Der etwas ruppige Ordnungshüter hatte sofort das digitale Kontrollgerät im Visier. Gefunden hatte er dort auch etwas und sich sofort mit den Worten "Du hörst von uns!" verabschiedet. "Wieso DU und wieso von euch?!", hatte Jan erwidert. Da war der Beamte aber schon weg.

"Tatort und Tatzeit stimmen nicht."

"Eine Anhörung war das ja wohl nicht – ohne Info über den Tatvorwurf", sagt Autobahnanwalt Silvio Lange spontan, als Jan ihn in der Autobahnkanzlei in Neustadt-Glewe besucht und von diesem Vorfall berichtet. "Es geht noch weiter", meint Jan und zieht aus seiner Hosentasche einen zerknautschten gelben Umschlag, in dem ein Bußgeldbescheid steckt. Darin wird ihm vorgeworfen, 24 km/h zu schnell gewesen zu sein. 120 Euro soll er berappen. Er schaut Silvio etwas ängstlich an und fragt, ob es dafür auch noch einen Punkt gebe. "Blöderweise schon", antwortet Autobahnanwalt Silvio. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Punkt im Bußgeldbescheid nicht erwähnt wird. "Aber", sinniert Silvio, "so weit sind wir noch lange nicht!" Er beruhigt Jan und informiert ihn über die Verteidigungsmöglichkeiten.

Drei Monate vergehen, ohne dass etwas Weltbewegendes passiert. Ein paar Informationsschreiben landen bei Jan und in der Regel auch gleichzeitg bei Autobahnanwalt Silvio. Ende August soll endlich Verhandlungstermin sein. Der Richter weist vorher noch einmal schriftlich darauf hin, dass es die richterliche Sorgfaltspflicht gebiete, einen Hinweis zu geben. Das Verfahren sei wahrscheinlich aussichtslos und werde dann nur kosten. Unsere Vermutung ist, dass die Aktenmenge auf dem richterlichen Schreibtisch gebietet, möglichst viele Leute durch solche Hinweise zur Einspruchsrücknahme zu bewegen.

Jan läuft schon eine Stunde vor dem Termin aufgeregt die Straße auf und ab. 20 Minuten vor der Verhandlung trifft er sich mit Autobahnanwalt Silvio im Park vor dem hübschen Renaissanceschloss, in dem das Amtsgericht residiert. Sie gehen gemeinsam in den ersten Stock zum Gerichtssaal. Silvio bittet Jan, ganz ruhig zu bleiben und ihm zu vertrauen. Er habe ein paar Asse im Ärmel. "Tatort und Tatzeit stimmen nicht, die Geschwindigkeit ist nicht richtig berechnet und einiges mehr!" Eines der schönen Argumente überzeuge sicher, meint Silvio. Es vergehen nur ein paar Minuten, und beide werden aufgerufen. Der Richter lächelt freundlich und heißt sie willkommen. Noch bevor er mit den Formalien beginnen kann, erhebt sich der Autobahnanwalt und bittet, einen Schriftsatz verlesen zu dürfen. Das darf er. Und Silvio führt aus, im Bußgeldbescheid seien Kontrollort und Tatort identisch. Dasselbe gelte für Kontrollzeit und Tatzeit. Das könne logischerweise jedoch nicht sein. Am Kontrollort, während der Beamte das Kontrollgerät ausgelesen habe, habe er mit seinem Lkw gestanden. Am Tatort müsse er gefahren sein. Schließlich werde ihm zu hohe Geschwindigkeit vorgeworfen. Der Tatort könne also nicht der Kontrollort sein.

Das Messgerät müsste geeicht sein

Wo der Tatvorwurf gewesen sein soll, wisse Silvio Lange nicht. Es bestünden deshalb Zweifel daran, ob der wirkliche Tatort überhaupt im angerufenen Gerichtsbezirk liege. Bei solchen Zweifeln müsse das Gericht von der Unzuständigkeit ausgehen und das Verfahren endgültig einstellen. Der Richter bittet darum, dieses Problem zurückzustellen. Vielleicht werde man ja auch hier einig werden. Das klingt nach Vergleichsbereitschaft. Was Silvio denn noch so auf Lager habe, möchte der Richter wissen. "Der Polizeibeamte war … ziemlich pampig", führt Jan aufgeregt aus. Silvio tritt ihm vorsichtig auf den linken Fuß. Erschreckt ist Jan sofort ruhig, schaut seinen Rechtsanwalt an, und der signalisiert ihm, dass er einfach schweigen soll.

Sofort wendet Silvio sich wieder freundlich lächelnd dem Richter zu und holt aus. Also zunächst mal sei der vorgeworfene Geschwindigkeitswert brutto. "Null Toleranz! Das geht gar nicht", führt der Verteidiger aus. Aber selbst mit der üblichen Toleranz gebe sich die Autobahnkanzlei nicht zufrieden. Er habe sich nämlich bei Scania mal so ein paar Kontrollgeräte angeschaut. Die seien alle eingestellt, hätten ein Einbauschild und seien gemäß § 57b StVZO plombiert. Eine Eichung sei aber nirgendwo zu erkennen. Die, führt der Rechtsanwalt aus, gebe es auch bei solchen Geräten generell nicht, was ihn sehr wundere. Immerhin lese die Polizei die Geschwindigkeit ja häufig aus. Es liege also nahe, dass die Tachowerte im öffentlichen Interesse gespeichert würden. Dann aber müsse das Messgerät, die Einheit aus Tacho und Kontrollgerät nämlich, auch geeicht sein. Das sei es nicht, und deshalb müsse es 20 Prozent Abschlag geben. Das sei bei Messungen mit ungeeichtem Gerät so anerkannt. Dem Richter entfleucht ein "Hübsch, Herr Kollege!". Er unterbricht für eine halbe Stunde.

Jan und Silvio trinken im Café Justizia gegenüber ein paar Espresso. Pünktlich betritt der Richter wieder den Saal. Er benennt zwei Alternativen: Entweder ein Sachverständiger müsse Rechtsanwalt Langes wahnwitzige, fast schon revolutionäre Idee überprüfen oder … An der Stelle unterbricht der Rechtsanwalt den Richter und sagt: "Wir fragen den Leiter des Eichamts!" – "Nein, nein", meint der Richter, "machen Sie doch langsam, Herr Kollege! Oder wir zurren das Ding hier heute fest." 55 Euro, das sei immerhin punktefrei. Silvio erklärt, dass er grundsätzlich einverstanden sei, aber für so ein schönes Argument seien die standardmäßigen 55 Euro doch etwas langweilig. Der Richter grinst, verkündet 50 Euro, was natürlich auch punktefrei ist, murmelt noch: "Respekt", und entschwindet dem Saal. Jan ist erschöpft und ein wenig sprachlos. Silvio hat es Spaß gemacht. Er hätte noch zwei Stunden weiterverhandeln können.

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