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E-Mobilität Behala und Scherm ziehen Bilanz

Foto: Schadewald

Die Umschlagfirma Behala und der Automobillogistiker Scherm ziehen nach zwei Jahren elektromobilem Werkverkehr Bilanz.

Täglich treffen am Berliner Westhafen Containerzüge aus Amsterdam, Hamburg und Unna ein. Dort befindet sich das umschlagstärkste Terminal in der Region Berlin-Brandenburg. Die Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala) betreibt diesen Binnenhafen, der von seiner Kapazität her zu den größten in Deutschland zählt.

Letzte Meile per E-Terberg

Um auch die letzte Meile in der Logistikkette umweltfreundlicher zu gestalten, wurde im Juli 2014 das Modellprojekt KV-E-Chain als Teil des von der Bundesregierung geförderten Schaufensters Elektromobilität Berlin-Brandenburg gestartet. Wissenschaftlich begleitet hat das zweijährige Projekt die TH Wildau. Der niederländische Hersteller Terberg Benschop entwickelte 2011 den leistungsstarken Elektro-Lkw Terberg YT202-EV. Der Prototyp der batteriebetriebenen Sat­tel­zug­maschi­ne wurde ein Jahr später auf der IAA Nutzfahrzeuge präsentiert. Die Behala erhielt zwei Jahre später das erste Serienfahrzeug.

Seither ist der Terberg ununterbrochen im Einsatz, rollte knapp 6.000 Kilometer auf den Berliner Innenstadtstraßen. "Es gab ein paar kleinere Anlaufschwierigkeiten mit der Software für das Laden der Batterien. Aber das war vorhersehbar, weil sie neu waren", schildert Philip Michalk, Pro­jekt­koor­di­na­tor der TH Wildau. "Danach war es ein angenehm spannungsloses Projekt, weil tatsächlich nichts Ungeplantes passiert ist."

Elektro-Kraftpaket mit Straßenzulassung

Der umweltfreundliche Brummi mit der einsitzigen Kabine bringt satte 9,6 Tonnen auf die Waage, dazu tragen nicht zuletzt die Lithium-Ionen-Batterien bei. Eine Herausforderung stellte die Zulassung des Prototyps dar, weil der dieselfreie Kraftprotz nicht im Hafenbetrieb, sondern mit Straßenzulassung im Stadtgebiet fahren sollte. Schließlich geht es der Betreiberin nicht um ein Forschungsmobil, sondern um ein praxisgerechtes Nutzfahrzeug.

So rollt der leise Laster auf verschiedenen Strecken. Die Gesamt-reichweite der Batterien hängt von der Beladung ab. Leer sind etwa 90 Kilometer möglich, beladen reicht die Energie für knapp 60 Kilometer. "Es stellte sich heraus", so Michalk, "dass das im Stadtverkehr absolut ausreichend ist".

Batterie lädt in nur vier Stunden

Neben Containertransporten ist der Behala-Terberg auch mit Schüttgutaufliegern täglich zweischichtig auf Achse. Über Nacht ruht er am Stromnetz, obwohl er eigentlich nur vier Aufladestunden benötigt. Trotz Fördergeldern war es für die Betreibergesellschaft eine gewaltige Investition in diese Technik. Immerhin schlägt die Terberg-Zugmaschine mit 230.000 Euro zu Buche. Aber dies war für die Behala allein nicht ausschlaggebend.
Dem hohen Anschaffungspreis stehen deutlich geringere Energie- und Wartungskosten gegenüber, die mit 30 bis 40 Prozent eines herkömmlichen Dieselfahrzeuges zu Buche schlagen, so Michalk.

Neue Chancen für Ballungsräume

Die Technik sei einfacher und es gebe weniger Verschleißteile. "Mit diesem Projekt haben wir außerdem als erste die Machbarkeit bei sehr schweren Straßenfahrzeugen anschaulich demonstriert", unterstreicht der Wissenschaftler. Sein Chef, Prof. Dr. Herbert Sonntag von der TH Wildau, ergänzt: "Mit KV-E-Chain wurde erstmals erfolgreich eine vollelektrische Transportkette im Kombinierten Verkehr demonstriert, wobei der Schienenverkehr natürlich schon lange elektromobil ist." Das biete neue Möglichkeiten zur Belieferung von und in Ballungsgebieten.

Obwohl das Projekt inzwischen offiziell abgeschlossen ist, setzt die Behala den E-Lkw weiterhin ein, weil sie mit ihm zufrieden ist. Allerdings ist nicht angedacht, ein weiteres Fahrzeug anzuschaffen. Zum Jahresende soll der Abschlussbericht der TH Wildau über das zweijährige Projekt veröffentlicht werden.

Scherm-Gruppe suchte nach erfahrenem E-Hersteller

2013 begann auch die Scherm-Gruppe, sich mit alternativen Antriebstechnologien zu beschäftigen. Dabei stellte das bayerische Logistikunternehmen "sehr schnell fest, dass es sich hauptsächlich um Elektromobilität drehen wird, weil andere alternative Antriebe noch weit weg in der Entwicklung sind", sagt Firmensprecher Maximilian Roos. Gleichzeitig wurde entschieden, dabei "auf das Know-how eines Fahrzeugherstellers zurückzugreifen, der so etwas schon gemacht hat".

So rückte Terberg in den Fokus. Die Scherm-Gruppe, die vor allem für die Automobilindustrie Logistiklösungen und Transportdienstleistungen anbietet, ließ sich von den Niederländern Mitte 2014 ein Pilotfahrzeug vom Typ YT202-EV liefern, das exklusiv dem Kunden vorgestellt wurde. Ohne lange zu zögern, griff das BMW-Werk München zu.

Auf Elektro-Tour in München

So pendelt der kleinkabinige E-Lkw seit Juli 2015 auf der drei Kilometer langen Zuliefertour durch die bayerische Landeshauptstadt. Sowohl das Scherm-Logistikzentrum als auch das BMW-Werk befinden sich im Stadtgebiet. Jeden Tag absolviert das Fahrzeug zwischen 6 und 24 Uhr diese Kurzstrecke 16 Mal – gemeinsam mit sieben herkömmlichen Lastzügen, die im festen Zeittakt die Zulieferteile an das Montageband bringen. Technische Probleme gab es bisher mit dem Terberg-Lkw "überhaupt nicht", versichert Roos. "Entgegen unseren Erwartungen schneidet dieses Fahrzeug so gut ab wie kein Dieselfahrzeug." Auch die ursprünglichen Befürchtungen, dass das E-Mobil bei extremer Kälte oder Hitze schlapp machen könnte, haben sich nicht bestätigt.

Wenig Lärm, geringe Emmissionen

Roos weist auf die deutlichen Vorteile im Stadtverkehr hin – vor allem, was die Lärmemissionen anbelangt, denen sowohl BMW als auch das Logistikunternehmen zu Leibe rücken wollen. Da außerdem besonders abriebarme Reifen verwendet werden, "sind wir nahezu emissionsfrei mit diesem Fahrzeug", sagt Roos. Wird der hohe Anschaffungspreis unberücksichtigt gelassen "hat das Fahrzeug enorme Vorteile gegenüber einem Dieselfahrzeug", unterstreicht der Sprecher. Und das vor allem auf der für Dieselmobile äußerst ungünstigen Kurzstrecke. Denn diese verbrauchen da bis zu 60 Liter pro 100 Kilometer.

Betrieb ist noch nicht wirtschaftlich

Trotz der Kostenersparnis ist der E-Lkw "in der Gesamtkalkulation deutlich teurer als ein herkömmliches Dieselfahrzeug", sagt Roos. Bisher sei er "nicht wirklich in den Bereich der Wirtschaftlichkeit" gekommen. Trotzdem bereut Scherm die Investition nicht, um generell das Elektromobilitätsprojekt voranzubringen.

Dass der Terberg nur maximal 40 km/h erreicht, fällt auf der ampelreichen Einsatztour nicht auf, sodass er kein Verkehrshindernis in München darstellt. Auch was die Transportleistung betrifft, gibt es gegenüber den konventionellen Lastern keine Einschränkungen "Die Lademöglichkeit ist identisch", versichert Roos. Obwohl es auf der Kurzstrecke nicht unbedingt notwendig ist, hängt Scherm sein Demonstrationsmodell aus Sicherheitsgründen auch zwischendurch an die Steckdose. Denn der Automobilzulieferer kann sich bei den zeitkritischen Transporten keine Ausfälle leisten. Rechnerisch sei das Nachladen bei einer Reichweite von 100 Kilometern aber nicht erforderlich.

Kooperation mit BMW beweist Alltagstauglichkeit

Gewartet wird der Terberg in der hauseigenen Werkstatt. Dazu wurde das Personal speziell ausgebildet. Denn auch perspektivisch will Scherm auf E-Mobilität setzen. Allerdings räumt Roos ein, dass der Markt in dem Bereich durch den hohen Kostendruck sehr schwierig sei. Er wünscht, dass die Batterietechnologie verbessert wird, um mehr Kapazität für einen niedrigeren Preis zu erhalten. Erst in der Massenproduktion könne die Elektromobilität einen entsprechenden Markt bieten. Da die meisten Transporte im 50-Kilometer-Bereich liegen, seien Batterieleistungen für 100 Kilometer ausreichend.

"Durch die Kooperation mit BMW haben wir enorm viele positive Rückmeldungen bekommen", berichtet Roos. Damit hatte das Logistikunternehmen nicht gerechnet. Das Projekt zeige: "Elektromobilität im schweren Nutzfahrzeugbereich funktioniert und ist einsatzfähig". Allerdings fehlt dem Sprecher noch die richtige politische Prioritätensetzung. "Dass der Fokus auf Elektromobilität hauptsächlich im Pkw-Sektor liegt und keiner vor Augen hat, dass gerade ein Lkw im Stadtverkehr so viel mehr an Kraftstoff verbraucht, ist bedauerlich." Hier sollte seiner Ansicht nach der Hebel angesetzt werden, um der E-Mobilität im innerstädtischen Logistikbereich zum Durchbruch zu verhelfen.

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