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Diskussionsrunde beim Logistik-Kongress Die Verlader mit ins Boot holen

Foto: Thomas Küppers

Wie lässt sich ein faires Miteinander in Beschäftigung und Wettbewerb gestalten? Dieser Frage ging eine Podiumsrunde auf dem Logistik-Kongress Baden-Württemberg 2014 nach.

Wie viele Regeln braucht die Wirtschaft? An dieser Frage hat sich eine Diskussion entzündet, die von Zeitarbeit über Compliance bis zu Werkverträgen und Mindestlohn führte. Dabei wird klar, dass zu viel Regelungswut verunsichert, zu wenige Regeln aber Probleme schaffen - Lohndumping, Ausbeutung, schlechte Arbeitsbedingungen und mehr. Kanzlerin Angela Merkel hat kritisiert, dass die Wirtschaft jede Form der Flexibilisierung missbrauche. "Warum geht man nicht hin, und bindet die Verlader unter dem Titel Fair Play mehr ein."

Wer seine Fahrer nach Tariflohn bezahlt, sollte von den Verladern engagiert werden, so ein Impuls aus dem Publikum. Statt nur nach den Kosten zu fragen und den Auftrag dann doch dem billigen Spediteur zu geben, sollte man dem fairen Unternehmen den Vorzug geben. Dies greift die Diskussionsrunde gerne auf.

Fair Play ist möglich

"Fair play" im Wirtschaftsleben ist für Andrea Kocsis, Stellvertretende Verdi-Vorsitzende und Leiterin des Bundesfachbereichs Postdienste, Speditionen und Logistik, möglich: "Wir sind optimistisch, dass wir uns auf einem guten Weg befinden." Doch in den letzten Jahren sei der Wettbewerb über die Löhne geführt worden. "Das hat die Tarifautonomie bröckeln lassen. Da haben wir mit dem Mindestlohn und der Verbindlichkeitserklärung einen Weg gefunden", ist Kocsis überzeugt. Der Spagat zwischen Wettbewerb und klaren Sozialbedingungen braucht jedoch Partner, die ein Interesse an der Einhaltung haben. Sonst geht die Spirale stets nach unten.

"Das System der Wirtschaft hat einen moralischen Sinn", ist wiederum Prof. Dr. Christoph Lütge, Wirtschaftsethiker an der Technischen Universität München überzeugt. Dabei müssten die Regeln jedoch fair und transparent sein", so Lütge weiter. Auf die Moral könne man sich nicht verlassen. "Grundsätzlich bringen Regeln eine Verbesserung der Moral für das System", sagt Lütge. Letztlich muss die Politik Regeln für deren Einhaltung festlegen. Mindestlöhne könnten danach ihren Sinn haben, doch hänge dies von der Branche ab, so Lütge. Manche Unternehmen befürchten zwar, dass etwa durch Compliance-Regeln die Schranken sehr eng gesetzt würden. Doch es gebe trotzdem immer noch genügend Spielraum für die Unternehmen.

Compliance-Regeln einhalten

"In großen Unternehmen braucht es jemanden, der für die Einhaltung der Compliance-Regeln sorgt", sagt Jörg Mannsperger, Mitglied des Dekra Vorstands und Leiter der Dekra Akademie. Darum kümmere sich auch Dekra als Dienstleister. Dabei sei die Zeitarbeit zu unrecht in Verruf geraten. Diese stehe nicht für Lohndumping, sondern biete ein Tor zurück in eine feste Beschäftigung. "Wir haben Übernahmequoten von 40 Prozent". Von Restriktionen wie einer zeitlichen Begrenzung für Zeitarbeit hält Mannsperger nichts, denn Bedingungen wie "gleicher Lohn, gleiche Arbeit" haben die Branche professionalisiert. Wenn beide Seiten zufrieden seinen, gebe es keinen Grund für eine Beschränkung, wie sie im Koalitionsvertrag stehe, sagt Mannsperger weiter.

Karlhubert Dischinger, Spediteur und Präsident des Verbands Spedition und Logistik Baden-Württemberg (VSL), kritisiert eine Entwicklung bei Verladern und Industrie hin zu mehr Größe und dadurch mehr Unpersönlichkeit. "Manche Compliance-Auswüchse verhindern dann eine vernünftige Zusammenarbeit." Wer einen Kaffee annimmt, macht sich eben noch lange nicht der Bestechlichkeit schuldig. Dischinger wünscht sich auch mehr Selbstbewusstsein der Branche: "Da müssten die Unternehmen selbst dran arbeiten, dass Fahrer und Lageristen zu ihrem Beruf stehen". Dass er als Unternehmer selbst ausbildet, sei mittlerweile für ihn selbstverständlich. "Das gibt uns die Chance, mit guten Mitarbeitern Qualität anzubieten." Und er stellt klar: "Wir wollen keine billigen Leute, sondern gut ausgebildete Fahrer." Für Dischinger liegt die große Herausforderung darin, die Internationalisierung und den Trend zur Kabotage vernünftig zu lösen. "Manchmal kannst du nicht nein sagen", sagte der Spediteur zu Aufträgen, die man trotz kleiner Marge übernimmt.

Zeitarbeit wird kontrovers diskutiert

Bei Hans-Peter Waser, Leiter Betriebsorganisation und Logistik beim Großhandelsunternehmen Gebrüder Lotter in Ludwigsburg, werden keine Zeitarbeitnehmer im Unternehmen eingesetzt. "Spitzen decken wir durch zwei, drei Speditionen ab." Einen Mangel an Fahrern sieht Waser im Moment bei sich im Unternehmen nicht. Für ihn hätten Zuverlässigkeit und Fairness oberstes Gebot. "Selbstverständlich schauen wir auch nach den Preisen."

"Die überwiegende Zahl unserer Unternehmer sind moralische Menschen", entgegnet Mannsperger.  "Die Ergebnisse des Mindestlohns stehen in keinem Verhältnis zu dem Widerstand, der daraus entsteht". Mannsperger beklagt die Regelungswut in Deutschland. Doch für Andrea Kocsis hat der vermehrte Zeitarbeitnehmereinsatz dazu geführt, dass es eine zweite Reihe von Belegschaft gibt, mit geringerem Verdienst und der Drohung an die Stammbelegschaft, was ihnen passieren könnte. Die Tarifverträge berücksichtigen Anlern- und Helfertätigkeiten bereits, "die Forderung nach einer weiteren Lohnstufe darunter durch die Arbeitgeber hat uns erzürnt." Ein Riegel nach unten sei deshalb absolut notwendig gewesen.

"Warum können wir nicht mit den Verladern über die Betriebsräte klären, dass nur Spediteure beauftragt werden, die nach Tarif bezahlen?", fragte ein Teilnehmer aus dem Publikum. Fair Play zwischen Verladern und Speditionen zum Wohl der Belegschaft scheint ein Problem zu sein, das noch nicht gelöst ist. Einfache Lösungen gibt es nicht, doch mit Vernunft, Qualität und klaren Regeln lässt sich vieles erreichen. Auf der Suche nach Kompromissen zwischen dem freien Spiel der Kräfte und der kompletten Regelung sind Transparenz und Fairness zentrale Punkte.

Lesen Sie hier mehr zum Logistik-Kongress Baden-Württemberg 2014

Dorothee Bär, Staatssekretärin im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, diskutierte am Vorabend des Kongresses mit Experten. Unter anderem ging es um das Thema Infrastruktur.

Zudem ging es beim Logistik-Kongress Baden-Württemberg um ein gutes Miteinander von Dienstleistern und Verlader. Dass dies gelingen kann, zeigen mehrere Praxisbeispiele.

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