BusBlog zur CO2-Gesetzgebung Verpasst die Industrie den Anschluss?

Foto: Thorsten Wagner
Meinung

CO2-Emissionen werden zu einem immer drängenderen Thema, auch in der EU-Gesetzgebung. Mit aufwendigen Simulationsprogrammen sollen die Werte für Nutzfahrzeuge festgelegt und dann massiv reduziert werden. Busse werden bis auf weiteres nicht erfasst, gleichzeitig tut sich bei den Reisebussen auch so gut wie nichts in Sachen Alternative Antriebe. Ein Zufall?

Eine der spannendsten Veranstaltungen auf der IAA war eine Podiumsdiskussion im Rahmen der „New Mobility World", die vielleicht nicht überall die nötige Aufmerksamkeit bekommen hat. Thema war die kommende CO2-Gesetzgebung für Nutzfahrzeuge der EU, die ja in akuter Abstimmung begriffen ist – gerade hat die Kommission einen weitreichenden Reduzierungs-Vorschlag vorgelegt, gegen den die Industrie nun relativ verhalten, aber doch nachdrücklich Sturm läuft.

Das Thema Stickoxide, beim Pkw beinahe hysterisch verfolgt, spielt zum Glück spätestens seit der Euro 6-Einführung keine Rolle mehr, seitdem verbauen alle Hersteller SCR-Systeme. Umso drängender ist das Problem des Klimagases Kohlendioxid, das nach dem Pariser Klimaabkommen und vieler nationaler Selbstverpflichtungen massiv reduziert werden soll. Und hier ist der ständig wachsende Straßenverkehr deutlich in der Pflicht. Grund genug für Bernhard Mattes, neuer VDA-Präsident mit viel Pkw-Erfahrung, den Diskutanten vorab einige Industrie-Fakten mit auf den Weg zu geben: Generell begrüße man den Vorschlag der Kommission wohl, aber die konkreten Ziele von bis zu 30 Prozent 2030 seien viel zu ambitioniert, mithin „technisch nicht machbar". Zudem lägen die angedachten Geldstrafen für Grenzwertüberschreitungen jenseits jedes vernünftigen Rahmens.

Bei den CO2-Grenzen geht es ans Eingemachte

Noch deutlich zerknirschter klang in der anschließenden Diskussion Manfred Schuckert, seit langen Jahren bei Daimler für alternative Antriebe und das Thema Wasserstoff zuständig. „Wir hatten schon lange Angst, dass sich die Politik vor die Wissenschaft schiebt. Wir haben seit einiger Zeit jedes Jahr ein Prozent Kraftstoffeinsparungen erreicht, jetzt müssten es aber jedes Jahr rund drei Prozent werden. Das würde die Industrie überfordern." Die Frage stellte sich, ob solche ambitionierten Ziele gerade im schweren Nutzfahrzeugbereich tatsächlich zum großen Teil mit konventioneller Technik inklusive Gasantrieben zu machen seien, wie es Nikolaus Steininger von der EU-Kommission zu Protokoll gibt.

Schuckert: „Das 30-Prozent-Ziel für 2030 ist mit konventioneller Technik auf Flottenlevel keinesfalls zu erreichen!" Und das englische „No way!" wiederholt er gleich dreimal steinerweichend. Man spürt den inneren Kampf schon physisch, der wie bei vielen Industrievertretern regelmäßig zu erkennen ist. Geht es doch beim Thema CO2 wirklich ans Eingemachte.

Busse werden nicht eingerechnet

Den Busbereich trifft die anrollende CO2-Welle bisher nicht mit voller Kraft, er steht ja selten im vollen Fokus der Politik und der Industrie (zumeist gilt die inoffizielle „10-Prozent-Quote: zehn Prozent der Stückzahlen, zehn Prozent der Aufmerksamkeit). Da das Simulationstool Vecto (VDA-Chef Mattes: „Das muss dringend aktualisiert werden!") bisher nur auf Lkw und deren mannigfache Aufbauten ausgelegt ist, rechnet EU-Kommissionsmann Steininger frühestens Mitte der 2020er oder sogar erst 2030 mit einer Einbindung der Busse. Das bestätigte uns auch die Europa-Parlamentarierin Gesine Meissner von der ALDE-Fraktion bei einem Besuch in Straßburg. Von einer dezidierten Ausnahme von Bussen bei der Regelung könne aber keine Rede sein, so Steininger.

Könnte diese quälend langsame Evolution eines hochkomplexen Simulationsprogrammes einer der Gründe sein, warum sich die deutsche Industrie gerade bei den Reisebussen nicht gerade mit Innovationsschüben hervortut, was die Elektrifizierung angeht? Gebetsmühlenartig hört man Schlagworte wie „Wirtschaftlichkeit", „Reichweitenproblematik" und „mangelnde Kundennachfrage". Man sollte meinen, dass die Industrie aus den schmerzlichen Erfahrungen mit den elektrifizierten Stadtbussen, die ja immer noch anhalten und erst langsam auf dem Weg der Besserung sind, gelernt habe, und ein oder zwei Gänge höherschalten würde – bevor der Jammer wieder groß wird. Ein dieselelektrischer Parallelhybrid für den Reisebus wäre beileibe keine sprichwörtliche Rocket-Science, man müsste nur mal bei ZF ins Traxon-Module-Regal greifen und einen Prototypen aufbauen, um das konkrete Kundeninteresse zu eruieren. Und ein paar elektrische Kilometer für die letzte Meile wären ja durchaus ausreichend. Eine solche Technik würde dem guten alten Diesel auf Jahre hinaus die Nockenwelle retten können im leistungshungrigen Fernverkehr.

CO2-Werte nach Gramm pro Personenkilometer nötig

Trotz der generellen Nichteinbeziehung der Busse profitieren die Hersteller auf der positiven Seite doch von den Elektrobussen mit sogenannten „Supercredits", die sie gleich zweifach auf die konventionellen Lkw anrechnen können. Zudem wird noch ein 1,5 prozentiger „sub-cap" angerechnet. Das beschleunigt die Umstellung von Stadtbussen sicher ebenso wie die Entscheidung des Europa-Parlamentes für Quoten von Bussen mit alternativen Antrieben bei öffentlichen Ausschreibungen ab 2025, die gerade vorgeschlagen wurden.

Nur ist es nicht wirklich gerecht, den Bus so ungleich zu behandeln. Nötig wäre zudem eine Berechnung der CO2-Werte nach Gramm pro Personenkilometer, die lastauto omnibus bereits seit 2014 bei jedem Einzeltest akribisch ausweist. Die besten Modelle, zumeist Doppeldecker oder Gelenkbusse, kommen voll besetzt sehr nahe an die magischen 10 Gramm/Pkm heran.

"Verwässerung des Anspruchsniveaus"

Christian Hochfeld vom Berliner Thinktank „Agora Verkehrswende" und Experte bei den Anhörungen des Bundestages zum Thema, hält dieses Vorgehen für nicht sachgerecht: „Diese Form der Flexibilisierung ist nicht sachgerecht und verwässert das Anspruchsniveau. Hersteller von Lkw sollten sich die Gutschriften ausschließlich im regulierten Bereich ‚erarbeiten' müssen, also indem sie besonders emissionsarme oder emissionsfreie Lkw auf den Markt bringen. Busse sollten gesondert reguliert werden. Gerade im Bereich der Stadtbusse könnte eine Quote für Elektrobusse zielführend sein."

Quote – so lautet eines der schlimmsten Schreckgespenste der Automobilindustrie, bisher schwingt nur China diese Keule, mit Erfolg! Hochfeld dazu: „Tatsächlich haben hiesige Hersteller schlicht Nachholbedarf, emissionsfreie Stadtbusse anzubieten. Das ist in China vollkommen anders. In Shenzhen, der Mega-City im Perlflussdelta, wurde zum Beispiel bereits nahezu die komplette Flotte von zirka 18.000 Bussen innerhalb kürzester Zeit auf batterieelektrische Fahrzeuge umgestellt. Diese Busse würden auch in Deutschland großzügig gefördert, mit Förderquoten von 50-80 Prozent der Mehrkosten. Der Flaschenhals liegt hier definitiv beim Angebot deutscher Hersteller." Schon hat sich dieses Bild so festgefressen, dass der NABU in einer Mail zur Versendung einer Elektrobus-Studie chinesische Hersteller auch in Europa als führend im Elektrobereich vermeldet, was durchaus nicht der Fall ist – dank VDL, Solaris, Volvo und Co., die seit Jahren das Zögern der etablierten deutschen Hersteller weidlich für sich nutzen.

Elektro-Flixbus als Menetekel der deutschen Busindustrie

Einen geschickten Zug konnte BYD allerdings in Tateinheit mit den Mobilitäts-Pionieren von Flixbus für sich verzeichnen: Der erste Überlandbus mit geringem Kofferraumvolumen fährt auf einer Kurzstrecke von Mannheim nach Frankfurt. Allenthalben rufen die selbsternannten Experten nun „Geht doch!", und „Her mit den Elektroreisebussen", so klang es übrigens auch recht unkritisch in einer Pressemeldung des bdo. Dieser Einsatz hat allerdings nichts mit dem zu tun, was moderne Reisebusse mit Leistungen von bis zu 530 hocheffizienten PS und 2.600 Newtonmetern maximalem Drehmoment auf europäischen Autobahnen leisten können und müssen.

Ein Menetekel ist dieser werbewirksame Einsatz des BYD („Build your dreams") im Hessenland allemal für die deutsche Industrie. Sollten die Damen und Herren Ingenieure in München, Stuttgart und Mannheim nicht langsam aufwachen und vor einem akuten politischen Zwang ein paar Alternativen wie LNG, synthetische Kraftstoffe oder Hybride anbieten, könnten die Chinesen bald nicht nur elektrisierende Träume, sondern auch kurzschlüssige Albträume auf europäische Autobahnen schicken. Diesmal aber kann niemand sagen, man hätte es nicht kommen sehen.

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