BusBlog Das Aus durch einen Virus?

Foto: Thorsten Wagner
Meinung

Lkw-Fahrer werden dieser Tage zurecht als Helden gefeiert, weil sie dringend benötigte Waren zu unseren Supermärkten bringen. Derweil bricht aber auch Busunternehmern ihr Geschäftsmodell weg. Eine Bestandsaufnahme an der Frontlinie des zwangsweisen "Social Distancing".

Der Bus ist per Definition ein sehr soziales Fortbewegungsmittel. Er ist für alle da, die sich nicht auf den Individualverkehr verlegen wollen oder können. Was ihn in Zeiten des virusbedingten Notstands und des Gebots des "Social Distancings" allerdings zu einem echten Problemfall macht. Kaum wurde von der Bundesregierung eine Kontaktsperre nebst Busreiseverbot verhängt, steht die Branche mit dem Rücken zur Wand. Ob sich die von den Virologen getriebenen Politiker über die Auswirkungen dieser Maßnahmen voll bewusst waren?

Hatten es die Verbände und Unternehmen doch erst vor kurzem geschafft, die wohl schlicht vergessene Senkung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent auch für den Bus zu erkämpfen, so stellt die Corona-Pandemie nun eine riesige Bedrohung für die Branche dar. Eine schnelle Aufhebung der Maßnahmen, die auf die Vermeidung von Massenansammlungen abzielen, dürfte auch dann noch illusorisch sein, wenn die ersten Beschränkungen für Einzelpersonen und Familien wieder aufgehoben werden sollten. Wann also kann das sein? Derzeit völlig unklar! Das bedeutet aus heutiger Sicht mehrere Monate Null-Einnahmen für Reiseunternehmen, dazu müssen stornierte Reisen zurückgezahlt werden, ohne dass Hotels oder Kreuzfahrtlinien das gleiche tun müssten. Ein Horrorszenario für viele Unternehmen, das so manchem Firmenchef schlaflose Nächte bereiten dürfte.

"Vieles wird sich dauerhaft verändern."

Buscharter zu Events und Schulverkehr entfallen ebenso als Einnahmequelle, erste Bundesländer verbieten Klassenfahrten gleich bis zum Jahresende. "Die Dimension der Krise wird immer deutlicher – sie wird die Touristik und somit auch das Mietomnibusgeschäft über Jahre massiv beeinträchtigen," analysiert Jürgen Weinzierl, Präsident des nordrhein-westfälischen Omnibusverbands NWO und selbst einer der innovativsten Busunternehmer Deutschlands. "Vieles wird sich dauerhaft verändern." Die Kunden würden wohl in Zukunft weniger reisen und sich generell selektiver verhalten. Er selbst hat alle seine Reisebusfahrer in Kurzarbeit geschickt und die Jahrestagung seines Verbands am 1. April schweren Herzens abgesagt, als es gar nicht mehr ging. Eigentlich wollte man dieses verheerende Zeichen als Verband nicht aussenden. Eigentlich. Letztlich blieb keine andere Wahl.

Viele Unternehmer schaffen nur drei Monate

Viele Busunternehmen in Deutschland sehen sich in der Folge nicht weniger als in ihrer puren Existenz bedroht. Etwa ein Drittel (32 Prozent) geht davon aus, die aktuelle Situation maximal vier Wochen lang durchhalten zu können. 90 Prozent der teilnehmenden Betriebe gaben an, dass sie die derzeitige Lage ohne Hilfen, die über jetzt beschlossene Hilfspakete hinausgehen, nur noch bis zu maximal drei Monaten überstehen können. Auch hier ist die Lage bei den Unternehmen, die nicht auf ÖPNV-Leistungen spezialisiert sind, besonders düster.

Auf die Frage "Um wie viel Prozent ist Ihr Umsatz seit Beginn der Corona-Krise zurückgegangen?" gaben 68 Prozent aller Befragten an, dass sie Einbußen zwischen 75 und 100 Prozent verzeichnen mussten. Wenn man die auf ÖPNV spezialisierten Unternehmen herausrechnet, lieg der Wert für Touristik und Fernbusverkehr wieder deutlich höher. Hier verzeichnen 83 Prozent der Unternehmen Einbuße über 75 Prozent. Aber es kommt noch härter: 90 Prozent der Mittelständler im Bustourismus und im Fernlinienverkehr geben an, dass sie in den nächsten drei Monaten Pleite gehen werden.

Hilfe für den Mittelstand dringend nötig

Das düstere Bild ergab eine ad hoc-Umfrage des Bundesverbands Deutscher Omnibusunternehmer (bdo) bei rund 1.000 zumeist mittelständischen Mitgliedern. Ja, der deutsche Mittelstand: Einer der Protagonisten schon des Wirtschaftswunders, und immer noch weltweit bewundert und verklärt. In der Corona-Krise wurde er schlicht vergessen.

Die milliardenschweren Hilfspakete richten sich zumeist an Kleinunternehmen und Soloselbstständige, oder dann an größere Unternehmen ab 250 Mitarbeiter. Für Busunternehmen bleiben KfW-Kredite, die heute kompliziert zu beantragen und irgendwann noch schwerer zurückzuzahlen sein werden. Auf diese schmerzliche Lücke weisen Ökonomen wie Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Wirtschaftsforschung oder DIHK-Präsident Eric Schweitzer hin, der fordert, "zügig die noch vorhandenen Lücken im Corona Gesamtpaket zu schließen." Wie das gehen soll, ist aber unklar. Den vollen Verdienstausfall vom Staat schultern lassen? Pro Bus laufen gesamt monatlich etwa ein Prozent der Investitionssumme an Kosten auf, also rund 3.000 Euro. Und da geht es noch nicht mal ums entgangene Reisegeschäft. Kein Wunder, dass Unternehmen ihre Reisebusse, aber auch Hersteller ihre Test- und Vorführbusse reihenweise abmelden. Den gesamtwirschaftlichen Schaden beziffert der bdo in seiner Umfrage auf rund 1,3 Milliarden Euro oder rund 300.000 Euro pro Unternehmen.

Und so werden viele Unternehmer jetzt kreativ in der Krise: Bettina Sickendieck aus dem norddeutschen Peckelohe schafft es mit ihrer Philippika ins deutsche Abendprogramm. Das Augsburger Unternehmen wirbt mit dem Claim "Wer reisen liebt, verschiebt!" um neue Buchungen und Avanti Reisen aus Freiburg im Breisgau startet eine Fotoaktion mit den schönsten "Avanti-Momenten", wenn auch die diesjährige Mammut-Reise durch Transsibirien wohl keine malerischen Schnappschüsse liefern wird.

Auch Fernbusse stehen derzeit still

Dass die deutschen Fernbuslinien ebenfalls ihren Betrieb eingestellt haben, macht die Situation nicht besser, auch wenn die wenigsten Buspartner sich eine goldene Nase mit den Linienfahrten verdient haben. Das dürfte sich jetzt auch erledigt haben, auch wenn das Verkehrsministerium ein direktes Verbot der Fernlinien dementiert. Staatssekretärin Tamara Zieschang antwortete dem ÖPNV-Fachblatt Roter Renner auf Anfrage: "Sinn und Zweck dieser Verständigung vom 16. März 2020 ist, dass (Bus-)Fahrten ohne dringenden Reisegrund nicht mehr stattfinden." Das BMVI stellte aber ebenso klar, dass "der Fernbusverkehr nach § 42a PBefG Linienverkehr ist und von dem Verbot von Reisebusreisen ausgenommen ist." Das macht es Branchenprimus Flixmobility aus München auch möglich, sich europaweit an den Rückholaktionen der Bundesregierung von gestrandeten Touristen zu beteiligen.

Und der gute, alte ÖPNV, der ja immerhin zur klassischen "Daseinsvorsorge" gehört, auch in einer Gesellschaft, die weitgehend ans Haus gefesselt ist? Ist hier wenigstens noch alles beim Alten? Weit gefehlt! Die deutschen Verkehrsunternehmen müssen Fahrgastrückgänge von bis zu über 80 Prozent verkraften. Zudem sind viele Fahrer nicht einsatzfähig oder haben sich krankgemeldet. Not-, Ferien- und Sonntagsfahrpläne werden flugs aktiviert, damit überhaupt noch Busse fahren können. Der alternative Verkehrsclub VCD kommentiert: "Dies ist nicht die Zeit, um am ÖPNV zu sparen. Das heißt dann eben, lieber auch mal warme Luft durch die Gegend zu fahren, bevor sich Menschen in volle Fahrzeuge drängen müssen". Denn in Zeiten des "Social Distancing" gibt es kaum schlimmeres als das – will man meinen. Der tatkräftige grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, begrenzt die Fahrgastzahlen seiner Gelenkbusse zu den Kliniken daher auf strikt 30 und lässt diese dafür öfter fahren. Für die Zählung sorgt die Fahrgastzählanlage, nicht etwa der Fahrer.

Schaffner im Bus als Corona-Buster?

Gleichzeitig vereinsamen die Fahrer hinter dem Flatterband im Cockpit bei geschlossener vorderer Tür. Schon titelt der Spiegel in bester Bild-Zeitungs-Manier: Der ÖPNV in Corona Zeiten sei "ein teilweise rechtsfreier Raum", Busse würden zur "Virenschleuder". Starker Tobak! Was tun? Der UITP-Weltverband hat Handlungstipps herausgegeben. Dazu gehören: Die tägliche Tiefenreinigung der Busse inklusive Desinfektion und Fahrer über 60 Jahre zu ihrer eigenen Sicherheit vorerst freistellen. Die aber sind gar nicht so selten in einer Branche, die immer mehr Nachwuchsprobleme hat. Und die deutschen Unternehmen? Da heißt es, dass desinfizieren keinen Sinn machen würde, schließlich sei die mit dem ersten zugestiegenen Fahrgast wieder Schall und Rauch.

Wir hätten da eine Idee, die vielleicht die gesamte Situation entschärfen könnte: Warum nicht wieder Busbegleiter oder auf altdeutsch Schaffner einsetzen im ÖPNV, womöglich sogar Reisebusfahrer in Kurzarbeit? Die könnten im Bus auf die nötigen Abstände achten und bei Bedarf Atemmasken aushändigen oder angehustete Flächen flugs desinfizieren. Oder einfach mit einem freundlichen Lächeln das Gefühl der zunehmenden Vereinsamung im öffentlichen Raum konterkarieren. Denn genau das ist es, was Busse eigentlich leisten sollten. Nicht nur in Zeiten von Corona.

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