BusBlog zu E-Reisebussen Aus Fehlern lernt man?

Foto: MCI
Meinung

Lange hat es gedauert, bis die deutschen Hersteller in Sachen Elektro-Stadtbusse aufholen konnten zu den First-Movern wie Solaris oder Van Hool. Sicher wollte man dergleichen nicht mehr erleben, oder?

Sicher, US-Reisebusse sind eine spezielle Spezies und nicht wirklich mit solchen europäischer Machart zu vergleichen. Sie sind weniger raffiniert, mit eher grobschlächtiger Technik versehen, kaum nach Kundenwünschen auszugestalten – man kauft Technik von der Stange, und das über Jahrzehnte.

Selbst Daimler traut sich nicht, seine hochentwickelte Getriebetechnik mit prädiktiver Schaltsteuerung PPC auch nur optional für den brandneuen Mercedes Tourrider anzubieten, der schnell zum ungekürten "Safety Coach of the USA" avancieren dürfte. "Der US-Kunde will das einfach nicht", schallt es einem allenthalben aus der Branche entgegen.

Amerika fährt schon mal vor

Aber jetzt das: Der US-Markt mausert sich zum First-Mover in Sachen Elektro-Reisebus. Seit ein paar Jahren sind von mindestens drei Herstellern (MCI, Van Hool und Temsa) elektrische Reisebusmodelle unterwegs. Der Van Hool-Importeur ABC Industries rüstet sogar zusammen mit dem Unternehmen Lightning alte Dieselbusse für einen in den USA nicht ganz so exorbitanten Preis von rund 500.000 Dollar auf Strombetrieb um – und will in diesem Jahr schon zehn Prozent seiner Neufahrzeuge elektrisch verkaufen. Mit dem Van Hool TDX25e hat man dazu den ersten Elektro-Reise-Doppeldecker im Portfolio.

Marketing-Mann Tom Peebles ließ es sich denn nicht nehmen, mit dem Bus mit seinen 696 kWh Energie in den Proterra-Batterien die 4.500 Kilometer vom ABC Headquarter in Florida bis zur Messe UMA in Long Beach rein elektrisch zu fahren und unterwegs an öffentlichen Ladestationen zu laden. Die Ergebnisse dazu können Sie in lastauto omnibus 5 lesen, ab dem 14. Mai am Kiosk!

Fernlinie erst morgen, Werkverkehr schon heute

Freilich, noch sind diese Busse noch nicht wirklich vollwertig für die Fernreise/Fernlinie geeignet – die Kofferräume sind noch weitgehend von Technik okkupiert. Aber es gibt schon einige Anwendungsbereiche, wie der Werkverkehr von Big Tech Unternehmen in der Bay Area, deren Mobilitätsbedürfnis ebenso groß ist wie die Nachhaltigkeitswünsche der Investoren.

Und wenn dann noch ein Bus so flott gezeichnet und innovativ mit einem Low Entry Bereich daherkommt wie der MCI D45 CRT LE (siehe Foto oben), dann fragt man sich wirklich, wann endlich die Antriebsrevolution für den europäischen Reisebus kommt. Immerhin hatten Flixbus und Co. ab 2013 schon für eine Digitalisierungs- und Barrierefreiheits-Revolution geführt, die vorher auch undenkbar schien. Let's do it again!

Daimler E-Strategie ohne den Reisebus

Doch schon wieder wurden Chancen verpasst, dem Kunden kurzfristig sinnvolle Angebote zu machen. Beispielsweise zu den Daimler E-Days in Mannheim, bei denen die zweite Stufe der Elektromobilitäts-Strategie des Konzerns gezündet wurde: neue Batterien für den Stadtbus, neuer Toyota-Range-Extender (nebst Batterie) für den Stadtbus, Ankündigung für einen elektrischen Überlandbus für 2025 (wohl der neue Setra S500 Low Entry). Aber für den Reisebus? Der soll bis Ende der Dekade elektrifiziert werden – das wäre auch die selbst gesetzte Deadline für den Konzern.

Wie genau, ob mit Batterien oder auch mit Wasserstoff – das wollte Bus-Chef Till Oberwörder nicht so recht fest zusagen. In drei bis vier Jahren, wenn das Gemeinschafts-Unternehmen Cellcentric seine ersten Brennstoffzellen für den Truck serienreif haben will, werde man hier Aussagen machen können. Und schließt das einen Hybrid zur Überbrückung ebenfalls aus? Meine Frage verhallt weitgehend unbeantwortet in der voll besetzten Auslieferungshalle in Mannheim.

Derartig schwammig formulierte, erst in die ferne Zukunft gerichtete Botschaften sendet nicht nur Daimler aus, sondern die gesamte europäische Busbranche. Ein Vertriebler eines ausländischen Herstellers sagt unumwunden zum Thema Hybrid-Reisebus: "Das wäre derzeit technologischer, kommerzieller und ökologischer Unsinn."

Auch Irizar vergibt die First-Mover-Chance

Auch die erste, überraschende Reisebusneuheit des Jahres – der neue Irizar i6S Efficient – wurde wieder mit einem konventionellen Dieseltriebstrang vorgestellt, wenn auch Biodiesel- und HVO-fähig. Immerhin: Der Wagen ist sehr sparsam und hat kräftig abgespeckt. Und sicher würde eine Hybridisierung bei einem hohen Autobahnanteil kaum mehr als fünf Prozent ausmachen können. Aber wer sagt, dass beispielsweise nicht die eine oder andere Großstadt vor 2030 so manche Innenstadtbereiche für Verbrenner sperren wird? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, würde ich meinen. Und zu Recht!

Das System des Überlandbusses Irizar i4 ist zwar etwas schwachbrüstig mit seinem 300 PS starken Cummins-Motor, aber das ließe sich sicher „hochskalieren", wie es Konzernstrategen so gerne sagen. Auch ZF steht seit ziemlich genau zehn Jahren mit einem Hybridmodul seiner AS-Tronic/Traxxon in den Startlöchern. Herzlichen Glückwunsch zur Dekade, so lange dauerte Serienreife bei ZF noch nie! Aber klar: Welcher Zulieferer will schon Millionen investieren, wenn seine Stammkunden mit einer derartigen Unlust ans Thema gehen?

Die Nachfrage ist sehr wohl da

Szenenwechsel. Feierstunde im Gastbetrieb Hühnerhof in der hessischen Provinz. Der hessische Verband LHO feiert Jubiläum, das 50ste. Interview mit dem langjährigen Präsidenten Karl Reinhard Wissmüller, der seit 2006 die Geschicke des Verbands lenkt. Würden er oder seine Mitglieder denn einen Hybrid-Reisebus kaufen, der – sagen wir – drei bis fünf Kilometer elektrisch fahren könnte und dann bis zu 20.000 Euro mehr kosten würde? "Ja sicher, und ich selbst auch", strahlt der dynamische Busunternehmer, der ganz Europa selbst am Steuer erlebt hat. Man nimmt ihm die Begeisterung ab. Und über die finanziellen Verhältnisse seiner Mitglieder sollte man ihm nichts vormachen können!

Ganz zu schweigen von den Kollegen bei Flixbus, die seit Jahren gegen geschlossene Türen rennen, um sich Alternativen zu erkämpfen. Zuerst versuchten es die Münchner mit einem halbgaren chinesischen Überlandbus, um schnell Schiffbruch zu erleiden. Auf der letzten Bus2Bus dann ein aus Schweden herbeigeschaffter, mit LNG – sorry, Bio-Gas natürlich – befeuerter Scania-Reisebus.

Direkt nebenan steht Freudenberg und informiert über die weiteren Schritte des Projektkonsortiums HyFleet mit ZF und Flixbus, mit dem man für 2024 einen eigenen Brennstoffzellenbus vorbereitet. Immerhin sechs Jahre vor dem Branchenprimus Daimler! Der wird sich zu diesem Zeitpunkt wohl wieder von der Toyota-Brennstoffzelle verabschieden und sich neu sortieren müssen im Antriebschaos. Willkommen in der verhinderten Zukunft!

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