BusBlog zur Corona-Krise Kampf für den Bustourismus

Corona-Bus-Korso durch Dresden Foto: Thorsten Wagner
Meinung

Die Corona-Pandemie hat den Bustourismus mit einem Schlag auf Null gesetzt. Jetzt geht es um das Überleben von rund 4.000 zumeist mittelständisch geprägten Unternehmen. Ein Versuch, die unübersichtliche Lage, die von bundesweiten Demonstrationen begleitet wird, zu sortieren. Eine Sternfahrt von rund 1000 Bussen nach Berlin ist jetzt kurzfristig wieder abgesagt worden.

Wenn Worte allein nicht mehr helfen, um die Dinge zum Laufen zu bringen, dann greift der Europäer an sich gerne zum Volksliedgut – und damit meinen wir nicht Beethovens Neunte. Eine Allianz von europäischen Busunternehmern unter der Initiative des Gründers und CEOs von City Tours in Österreich und unabhängig davon auch Hanse Mondial aus Deutschland trommelte seit Tagen viral vernehmlich für eine europäische Sternfahrt nach Berlin, um auf die Misere der Buswirtschaft hinzuweisen.

Zur Melodie von "Das Wandern ist den Müller's Lust" wird zur Inspiration der Mitstreiter die neue Liedzeile "Das Reisen ist des Deutschen Lust / Das Reisen ist Europas Lust / Das kann kein Europäer sein, / dem niemals fiel das Reisen ein" eingesungen, um die massive virale Präsenz noch zu fördern. Schon in etlichen europäischen Staaten hat der Unternehmer Ehrlich Unterstützer gesammelt, um am 14. Mai unter dem Hashtag #honkforhope in Berlin aufzuschlagen. Und auch, um dort der Politik einen Forderungskatalog zu übergeben.

"Stimmt alle fröhlich mit uns ein / Wir ziehen nach Berlin hinein / Im Reisebus! / Dort muss uns dann Frau Merkel hör'n / Und all die vielen großen Herr'n," schalmeit es fröhlich weiter auf Facebook und Co.

Der Widerstand formiert sich – mit Hindernissen

Aber halt! Sind das nicht originäre Verbandsaufgaben? Deren leistet sich die Buswirtschaft ja mindestens drei: den Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (bdo), den Internationen Bustouristik Verband (RDA) und den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Mal abgesehen von den Landesgruppierungen sowie der Gütegemeinschaft Buskomfort (gbk).

Die erste Busdemo in Dresden am 29. April, bei der 50 Reisebusse durch die Stadt rollten und eine kleine Welle in Deutschland auslösten (am Dienstag rollen auch 50 Busse in München), war noch unter der Ägide der beiden deutschen Unternehmer René Lang und Rainer Maertens angeleiert worden. Da sich der bdo zu diesem Zeitpunkt noch in hoffnungsfrohen Verhandlungen mit dem Verkehrsministerium befand, nahm man in Berlin lieber dezent Abstand von dieser gut organisierten Demonstration mit großem Medienecho (lesen Sie mehr dazu in lastauto omnibus 5/2020). Man wolle nicht den Lauf der Gespräche mit vorlauten Forderungen unterminieren, so konnte man unter der Hand erfahren. Gleichzeitig hielt man aber die verbandseigenen Eckpunkte für eine Exitstrategie, die am 24. April mit heißer Nadel gestrickt und ins Bundesverkehrsministerium geschickt worden waren, unter Verschluss – ein Vorgehen, was vielen Unternehmern nicht gefiel.

Burgfrieden mit Verkehrsministerium gebrochen

Dieser Burgfrieden hielt nicht lange – am 5. Mai blies dann auch der bdo zum Angriff auf Scheuer und Co., zumal Ende April der Start der Busse weit in die dritte Phase des Neustarts verschoben worden war. Termin unbestimmt. Man fühle sich hier unverstanden und "in einen Topf mit großen öffentlichen Veranstaltungen mit hunderten oder tausenden Gästen" geworfen. Diese Punkte wurden auch in einem erneuten Appell der Verbände vom Dienstag nochmals unterstrichen.

So konnte man im folgenden offenen Brief von bdo-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard lesen: "Selbstverständlich hat auch für uns der Gesundheitsschutz der Bürgerinnen und Bürger Priorität. Aus diesem Grund haben wir uns über Wochen intensiv in Arbeitsgruppen und Videokonferenzen mit den zuständigen Bundesministerien eingebracht, um unseren Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Immer wieder haben wir dabei auf die dramatische Situation des Busgewerbes hingewiesen. Aber mit welchem Ergebnis? Sie diskutieren Lockerungen für die Bundesliga und Abwrackprämien für Autokonzerne, die Boni an ihre Vorstände zahlen und Dividenden an Aktionäre ausschütten." Autsch, das saß!

Gleichzeitig veröffentlichte man einen Exitplan und ein Hygienekonzept, das bei einem Neustart der darbenden Bustouristik zum Zuge kommen solle – dazu später mehr! Zu einer beherzten Unterstützung der Europa-Allianz #honkforhope und der geplanten Demo am 14. Mai in Berlin wollte sich der Bundesverband bis Montag Abend vor dem geplanten Termin nicht offiziell bekennen. Die Zeichen verdichteten sich am Montag, dass nur eine jetzt doch von Hanse Mondial angemeldete Demonstration mit maximal 50 Bussen den Segen des Berliner Senats finden und von den Verbänden unterstützt würde. Es sah schon aus wie ein später Sieg der Verbandshierarchie gegenüber der "Grassroots-Bewegung" #Honkforhope. Die nahm es derweil betont gelassen, Initiator Alexander Ehrlich vermeldete am Montag Abend: "Die 50-Busse-Veranstaltung von bdo begrüße ich. Deutschland ist bunt und vielfältig. Deutschland ist frei. Und je mehr Akteure der Branche sich entschließen, initiativ zu werden, umso besser." Insgesamt wären nach Schätzungen rund 1000 Busse und deren Besitzer bereit, nach Berlin zu kommen. Ein deutliches Zeichen der Verzweiflung.

Am Dienstag Morgen folgte dann der Big Bang! Die Demonstration am 14. Mai in Berlin wurde sowohl von Hanse Mondial als auch vom bdo mit einem internen Schreiben kurzerhand abgesagt. Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard sehe hier „die Reputation von Hanse Mondial sowie des bdo in Gefahr,“ nicht zuletzt wegen des "krawallvollen Aufrufs" der Organisatoren. Es könne nicht sichergestellt werden, „dass die von uns unterstützte Veranstaltung von Hanse Mondial ordnungsgemäß durchgeführt werden kann“. Auch ließe sich gegenüber Politik und Öffentlichkeit nicht mehr auseinanderhalten, „wer die Guten sind, die friedlich demonstrieren, und wer diejenigen sind, die Hilfe vom Staat erbitten und hierfür gegen Gesetze verstoßen.“ Man darf gespannt sein, ob trotzdem Busse in Berlin am 14. Mai auffahren und um fünf vor zwölf ihr SOS-Signal hupen werden. Ein weiterer "offener Brief" der #Honkforhope Initiative am Tag nach der bdo-Absage lässt es stark vermuten, wenn die sich jetzt ganz deutlich gegen den bdo wendet: "#honkforhope hat auch, im Gegensatz zum wankelmütigen bdo, der erst viel zu spät aktiv geworden ist, und dann mit widersprüchlichen Rundschreiben im Walzertakt einen wundervollen Zickzackkurs zum Thema „Demo in Berlin“ von „nein“ über „ja“ zu „doch nicht“ auf's Parkett gelegt hat, eine Genehmigung für einen Aufzug in Berlin (…)." Aus Volksliedern und Walzern könnte also bald harter Technosound werden.

Wie so oft wird es also in der Verbandspolitik immer dann so richtig spannend, wenn es ans Eingemachte und um die Machtfrage bei politischen Themen geht – und so mancher Busunternehmer versteht die (Verbände-)Welt nicht mehr. Schließlich geht es um nicht weniger als das wirtschaftliche Überleben von bis zu 42.000 direkt und rund 240.000 indirekt betroffenen Arbeitnehmern. Bei einigen der Unternehmen geht es nur noch um Wochen oder Monate bis zur Insolvenz, da jeglicher Umsatz weggebrochen ist. Erste Unternehmer denken bereits über eine Klage gegen das "Fahrverbot" der Reisebusse nach. Aber die Aussichten hierfür werden nicht zuletzt wegen des rechtlichen "Flickenteppichs" derzeit eher als gering eingeschätzt.

Forderungen an die Politik

Aber wie soll es weitergehen nach dem Neustart – sei er nun am 28. Mai mit der Öffnung der Gastronomie- und Hotellerie zu veranschlagen oder am Sankt Nimmerleinstag mit den Großveranstaltungen wie der IAA Nutzfahrzeuge, die ja nun auch der Pandemie zum Opfer gefallen ist? Sicher erreichen in einer Zeit, wo sowohl Luftfahrt-, Bahn- und Autoindustrie jeweils nach zweistelligen Milliardensummen rufen, solche wohlfeilen Appelle wie die des bdo an die Politik kaum etwas: "Unsere Geduld ist am Ende! Wann wird endlich wirklich gehandelt und etwas für uns getan? Den wievielten Autogipfel muss es noch geben, bis Sie die Sorgen von besonders betroffenen Unternehmen im Mittelstand ernst nehmen? Die Zeit der Lippenbekenntnisse ist vorbei. Jeden Tag gehen Mitgliedsbetriebe durch das verhängte Reiseverbot und die fehlenden Soforthilfen in die unverschuldete Insolvenz. Die Zeit drängt!"

Die konkreten Forderungen des bdo lauten sodann: klare zeitliche Perspektive für die zweite Öffnungswelle, Soforthilfe für Fahrzeugfixkosten, Gutscheinlösung mit Staatsgarantie sowie Konjunkturprogramm inklusive Mehrwertsteuersenkung. Was das kosten soll? Die #honkforhope-Allianz traut sich hier bereits eine Zahl zu nennen, zumindest, was die Stand- oder Ausfallkosten für die rund 20.000 Reisebusse in Deutschland betrifft: satte 456 Millionen Euro. Der RDA rechnete in seinem Brandbrief an die Politik mit "mindestens 700 Mio. Euro", wenn die rechnerische Grundlage hier auch eine ganz andere ist. Mit weiteren dringend nötigen Unterstützungsleistungen für die massiven Einkommensausfälle kommen da schnell Milliardenbeträge zusammen, um den Super-GAU der Branche zu verhindern. Laut ersten Berichten im "Handelsblatt" sei ein Rettungspaket im BMVI bereits in der Mache, ventiliert wird dabei ein Betrag von insgesamt 170 Mio. Euro für Vorhaltekosten – mithin rund 50.000 Euro pro Unternehmen. Mehr als ein Feigenblatt?

Hygienekonzept steht noch in den Sternen

Der größte Knackpunkt für die Politik dürfte jedoch das Hygienekonzept sein, dass einem Neustart zugrunde liegen könnte. Damit steht und fällt der Anlauf des Bustourismus nach dem Lockdown. Der bdo hat zusammen mit RDA und gbk auf vier Seiten eines für die Bustouristik (nicht Fernlinie!) vorgelegt und veröffentlicht. Dieses sieht Gesichtsmasken nur dann vor, wenn der gesetzliche Mindestabstand von 1,50 Meter nicht eigehalten werden kann, was meistens nicht zu schaffen ist im innen nur rund 2,35 Meter breiten Reisebus. Sitzplatzbezogen soll trotzdem nur die erste Reihe hinter Fahrer und Begleiter standardmäßig freibleiben. Interpretations- und Missverständnisspielraum sind bei dieser Regelung vorprogrammiert.

Denn mit diesem folgenden, mehr als schwammigen Satz wird die eigentlich verbindliche Abstandsregel weitgehend ausgehebelt: "Das Abstandsgebot wird durch die Zuweisung fester Sitzplätze und die gleichmäßige Verteilung der Fahrgäste im Bus im Rahmen der Möglichkeiten und solange die Auslastung des Fahrzeuges dies zulässt gewahrt." Das heißt dann wohl auf gut Deutsch: Wir nehmen jeden mit, der zahlt! Ob das ein guter Ansatz ist für eine Branche, deren Zielgruppe zu nicht unerheblichem Anteil zur Risikogruppe gehört? "Gesundheit hat oberste Priorität?" Oder vielleicht doch die größtmögliche Auslastung? Kann man so beim Neustart wirklich Vertrauen bilden?

Auf der anderen Seite der Möglichkeitsskala rangiert eine erste Verordnung in Hessen, die zuerst kaum Beachtung fand, aber dann vom Landesverband Hessischer Omnibusunternehmer (LHO) und in der Hessenschau publiziert wurde. Nach diesem Schnellschuss (?) aus Wiesbaden soll es eine dauerhafte Maskenpflicht an Bord geben analog zum ÖPNV (eine Unterscheidung ist hier ja auch kaum zu argumentieren) sowie eine Mindest-Fläche von fünf Quadratmetern pro Person.

Das wären fünf Personen (alle nicht im Haushalt zusammenlebend) im Zweiachser, knapp sechs im kurzen Dreiachser, und knapp über zwölf Personen im Doppeldecker, der dann noch beliebter werden dürfte als bisher schon. Kein Wunder, dass LHO Hauptgeschäftsführer Volker Tuchan der "Hessenschau" entsetzt zu Protokoll gibt: "Jetzt kann es trotz der Lockerung trotzdem faktisch so sein, dass die Unternehmen keine Umsätze machen, weil die Angebote aufgrund der Auflagen so schwierig zu gestalten sind, dass sich das für die Unternehmen wirtschaftlich nicht lohnt. Die Abstandsregel auf einen Sitzplatz je fünf Quadratmeter ist viel zu beschränkt für einen kleinen Raum wie in einem Reisebus." Allerdings würde die enge Auslegung des Verbändekonzepts ohne "Disclaimer" eine ähnlich geringe Passagierzahl bedeuten.

Jetzt wäre es Zeit, neben der verbalen Abrüstung aller Interessengruppen auf dem Weg nach Berlin, auch konkret über Konzepte zu sprechen, wie sie schon in England praktiziert werden: ein Fahrgast/-Paar pro Sitzreihe jeweils versetzt auf der gegenüberliegenden Seite des Busses. So könnte man eine Auslastung für eine begrenzte Übergangszeit zwischen 25 bis 50 Prozent realisieren. Aber das ist ja nur eine EINE der vielen existenziellen Fragen für den Bustourismus in diesen entscheidenden Wochen! Bis wir alle wieder frohgemut mit der Hymne von #Honkforhope einstimmen können: "Der Bus bringt uns nach nah und fern / Wir haben unsern Bus so gern / Wo immer er uns hingebracht, / es hat uns dort stets Spaß gemacht / Ob in die Berge, ob ans Meer, / Der Bus, er fährt uns hin und her."

Oder so ähnlich, irgendwie...

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