Mercedes Intouro Mehr Sein als Schein

Mercedes Intouro, Seite Foto: © Daimler 11 Bilder

Die Wahl zwischen dem schlichten Mercedes Intouro und dem feineren Integro ist wie Aldi gegen Fachgeschäft. Den Schnitt macht hier wie dort meist der Günstiganbieter.

Zugegeben, er sieht ein wenig aus wie der arme Verwandte oder Discount statt Fachgeschäft, Kartonstapel statt gepflegter Auslage. Im edlen Metallic-Lack fühlt sich der Testwagen zudem so unwohl wie mancher Träger eines Blaumanns im feinen Sonntagszwirn. Doch von dürren Rohrgestellen als Halterungen der Außenspiegel, schlichten Einzelscheinwerfern im Kunststoffbett oder mickrigen Rückleuchten sollte man sich nicht täuschen lassen: Hier steht ein Sieger, ein wahrer Stückzahlkönig. Rund 1.000 Intouro wirft Mercedes jedes Jahr in der Türkei vom Band. Der feinere Zwillingsbruder Integro erblasst angesichts dieser Stückzahlen, der heimliche Champion unter den Überlandbussen mit Stern heißt Intouro.

30.000 Euro Preisvorteil

Deutschen Buskäufern hat man den Verkaufsschlager bisher vorenthalten. In den Ländern rundum aber setzen kühl rechnende Flottenbetreiber längst auf den Intouro. Liegt er doch rund 30.000 Euro unter seinem feineren Bruder Integro. Und mal ehrlich: Fährt auf der Überlandlinie ein einziger Senior weniger mit, verweigern Schüler den Zustieg, gewinnt man eine Ausschreibung weniger? Na also. Die Kurzreise am Wochenende allerdings sollte ein anderer Bus übernehmen. Viele Sonderwünsche werden auch nicht erfüllt. Der Intouro erinnert an den Discounter Aldi: Das Angebot ist ebenso überschaubar wie der Preis, die Qualität in aller Regel ordentlich und hier ist’s sogar ein Markenartikel.

Genau hinschauen lohnt sich beim Intouro. Einzelscheinwerfer statt exklusivem Glasgehäuse? Nicht elegant, aber sachlich kein Nachteil. Gleiches gilt für die Blinzel-Rücklichter ohne schmückende Verkleidung. Im Prinzip auch für die Außenspiegel: Sie kosten dank der dürren Arme als Ersatzteil pro Stück 150 Euro weniger als schicke Fühlerspiegel, da merken Flottenbesitzer auf. Doch zugegeben: Als Sonderausstattung stünden dem Intouro die Integro-Spiegelarme gut. Denn ansonsten ist die Verpackung des Busses identisch, wie auch Klappen, Fenster und das per Tauchlackierung grundierte Gerippe.

Geräumiger Gepäckraum ohne Licht

Der Gepäckraum ist sogar etwas größer, denn die Batterien sind nach hinten in den Überhang gewandert. Macht anständige 4,75 Kubikmeter in der Ausführung mit Doppeltür. Nur eine Beleuchtung des Untergeschosses haben die Entwickler vergessen. Vielleicht hat im Dunkeln deshalb keiner registriert, dass die Unterseite des Podestbodens aus unbehandeltem Sperrholz besteht. Der Intouro ist eben eine Spardose. Etwa auch für die Fahrgäste?

Stimmt, die Innendecke ist einfacher, die Beleuchtung simpel. Doch nicht vergessen, es handelt sich um einen Omnibus-Arbeiter. Den Luftkanälen sieht man die Verschraubungen an, doch Materialeindruck und Verarbeitung sind rundum tadellos. Gepäckablagen gibt’s nur gegen Aufpreis. Wer sich auskennt, entdeckt ihre Abstammung vom Integro-Vorgängermodell. Sie sind recht groß, der Boden ist durchbrochen. So bleiben keine Tasche und kein Regenschirm aus Versehen im Bus liegen. Nur die Befestigung mit stämmigen Rohren à la Haltestange wirkt recht rustikal. Die optionale Dachklimaanlage ist schwächer ausgelegt als im Reisebus. Macht nichts, so lange viele Überlandbusse ganz oben ohne auskommen müssen.

Sachlicher Innenraum mit straffen Sitzen

Die serienmäßigen Passagiersitze sind von der straffen Sorte, auf Wunsch gibt es sie mit hoher Lehne, ein guter Tipp. Ein wenig mehr Komfort dürfte es auf längeren Linien schon sein, im Katalog findet sich ebenfalls eine einfache Reisebusbestuhlung mit verstellbarer Rückenlehne. Der Testwagen fuhr mit einer Doppeltür in der Mitte vor, davor ein nicht ganz geräuschfreier Klappsitz, das Interieur passend für den Werksverkehr. Gegenüber gibt es ein Wechselpodest für den klassischen Überlandbetrieb. Der wahlweise eingebaute Rollstuhl-Hublift überbrückt die flachen Stufen zum 860-Millimeter-Fußboden. Bitte einsteigen: Der leichte Integro kennt keine Gewichtsprobleme, er wiegt in einer handelsüblichen Ausführung leer unter zwölf Tonnen.

Die Seitenwand trägt wohnlichen Nadelfilz und kein Plastik, ein paar Vorhänge frischen auf Wunsch den sachlich-funktionellen Fahrgastraum auf. Wie im Integro verhindert hinten eine leichte Wölbung in den Podesten eine störende Stufe über den Radkästen. Vorn muss man bei der Überland-Bodenhöhe damit leben. Leselicht und Düsenbelüftung sind nicht vorgesehen. Ohnehin hält Mercedes die Aufpreisliste knapp.

Cockpit wie im Integro

Das gilt auch vorn rund ums Cockpit. Es schmiegt sich regelrecht um den Fahrer und entspricht, von Kleinigkeiten abgesehen, exakt dem Integro. Platz gibt es genug, indes wenig Ablagen. Da muss oben ein großer, schwer erreichbarer Kasten geordert werden. Kleiner Mangel des Testwagens: die extrem schwergängige Höhenverstellung des Lenkrads. Auch missfiel das Gestänge des Sonnenrollos – die rechte Führungsstange irritiert beim Blick in den Außenspiegel.

Schnell gewöhnen sich Mercedes-Fahrer wieder an einen klassischen Schalthebel anstelle des seit Jahren bekannten Joysticks im Cockpit. Mercedes spricht sogar von Flurschaltung – beim einfachen Intouro hat‘s im Gegensatz zum edleren Integro keine Flurbereinigung gegeben. Doch halb so schlimm, denn die pneumatisch unterstützte Schaltung ist gut geführt und leichtgängig. Sie schneidet besser ab als manch knorpelige Schaltung im Armaturenbrett.

286 oder 299 PS

Das Sechsganggetriebe stammt aus dem Mercedes-Lkw Atego, trägt hier die Bezeichnung GO 110. Es portioniert die Kräfte eines Motors, der die Stirn runzeln lässt: Im Heck steckt aufgrund seiner Abmessungen etwas einsam der stehende Reihensechszylinder OM 926 mit 
nur 7,2 Liter Hubraum. Mit einer Leistung von 210 kW (286 PS) und 1.120 Nm Drehmoment ist er ein Fall für milde Einsätze oder anspruchslose Betreiber. Mercedes muntert den Diesel mit einer knackigen Übersetzung auf, lässt den Motor bei Tempo 80 mit 1.600 Touren arbeiten. Das mag die drehfreudige, aber am Berg kurzatmige Maschine. Der grüne Bereich des Drehzahlmessers von 1.200 bis 1.800 Touren macht klar: keine Angst vor hohen Touren. Auf der Autobahn hat der Intouro allerdings nichts verloren, dort brüllt die Maschine gequält mit 2.000 Umdrehungen. Eine längere Übersetzung ist nicht im Angebot, wohl aber ein zweites Antriebspaket. Es setzt sich aus dem liegenden Zwölfliter-OM 457 mit 220 kW (299 PS) und dem Automatikgetriebe ZF  Ecolife zusammen. Das war’s an Auswahl, mehr gibt es nicht in der Discountabteilung.

Knackiges Fahrwerk mit harter Federung

Hinzu kommt ein Fahrwerk der knackigen Sorte. Zwar handelt es sich bei den Achsen um bekannte Größen, hier aber in einer sehr sportlichen Aufhängung mit zwei Stabis. Der Intouro pfeift prompt dynamisch um die Kurve, kennt keine Seitenneigung, liegt wie ein Brett auf der Fahrbahn. Allerdings federt er auch ähnlich rustikal, gibt kurze Stöße erbarmungslos weiter. Ein wenig Milde stünde dem Fahrwerk gut und eine modernere Bremse. Zwar ist sie gut abgestimmt und zeigt Pedalgefühl, doch ohne elektronische Bremsanlage und ESP ist der Intouro von gestern. Gleiches gilt für den schlappen Retarder, der auf Gefällestrecken immer wieder Unterstützung durch die Betriebsbremse benötigt.

Hier übertreibt’s Mercedes mit dem Spargedanken, dies aber wird sich Ende des Jahres bei der Umstellung auf Euro 6 ändern. Dann bekommt der Intouro eine neue Maschine und rundum moderne Technik. Auf der Wunschliste stehen noch ein einfacherer Zugang zum Lampenwechsel und Nachfüllen der Scheibenwaschanlage. Und eine Anregung: Dem Intouro würde ein Low Entry bestens stehen.

Hierzulande wirkt der Nachzügler Intouro wie eine schlichte Ausführung des Integro. Dabei ist die Lage umgekehrt: Der feine Integro ist die Luxusausführung des Intouro. Ihn gilt es neu zu entdecken. Es lohnt sich.

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