Zusatzbeleuchtung am Lkw Licht aus, Frust an

Beleuchtung Foto: Jan Bergrath 11 Bilder

Eine Anweisung aus dem baden-württembergischen Verkehrsministerium zur schärferen Kontrolle von Zusatzbeleuchtung an Lkw bedroht mittelfristig wohl auch die deutsche Truck-Festival-Szene.

Der Schweizer Lkw-Fahrer Simon Lappert liebt seinen Beruf. Und er pflegt seinen Lkw, einen edlen Scania R 560 Streamline, Baujahr 2013, mit 600.000 Kilometer Laufleistung. Europaweit ist er mit dem technisch top gewarteten Silozug unterwegs und noch nie hat ihn eine Polizeistreife wegen seiner Zusatzbeleuchtung, die er aus eigener Tasche bezahlt hat, angehalten. Bis zum 5. März 2019. Da war er auf der B 311 Richtung Ulm unterwegs. Es herrschte dichter Verkehr, beschreibt er die damalige Situa­tion. „Ich habe hinter mir Blaulicht gesehen und dachte, die Polizei ist auf der Jagd nach Verbrechern“, so Simon. „Vorsichtshalber fuhr ich lieber auf einen Parkplatz. Doch dann merkte ich, dass ich selbst das Ziel der Polizei war. Mein Fehler war, dass ich den Schalter für die zusätzlichen Lampen eingeschaltet hatte, deshalb bin ich den Beamten wohl sofort aufgefallen. Nur – ist es nötig, bei solch einem Verstoß jemanden mit Sondersignal bei dichtem Verkehr zu verfolgen?!“

Auf dem Parkplatz musste er mit seinem eigenen Werkzeug Licht und Zierrat abbauen. „Wenigstens bekam ich von den Beamten eine Leiter, da ich sogar noch die Michelin-Männchen abbauen musste. Die waren jedoch zu dem Zeitpunkt nicht beleuchtet. Auch die Spiegellampen mussten weg. Die hatten nicht mal Leuchtmittel drin und waren auch nicht verkabelt. Als ich dann noch die Sicherheitsleistung von 385 Euro bezahlt und den Rapport wegen Gefährdung des Straßenverkehrs unterschrieben hatte, durfte ich wieder weiterfahren.“

Polizei macht Jagd

Jagdszenen in Baden-Württemberg. Michael Finkbeiner, selbstfahrender Unternehmer (Kaiko Transporte) aus Freiburg, und mit seinen acht schwarzen Scania-Lkw eine feste Größe auch in der deutschen „Show-Truck-Szene“, sammelt derzeit die frustrierenden Erfahrungsberichte deutscher Lkw-Fahrer. „Mittlerweile müssen sogar einfache Lampenbügel abgebaut werden“, berichtet er. Aufgrund der vielen Rückmeldungen schätzt Finkbeiner, dass allein in Baden-Württemberg rund 8.000 Lkw von der neuen Härte betroffen sind. „Und das sind nicht nur irgendwelche Spinner, darunter sind Lkw von mittelständischen Unternehmen, die ihren verdienten Fahrern durch die individuelle Lkw-Gestaltung eine Freude machen wollen.“

Bislang wurde zu viel Licht am Lkw meist geduldet – bis einige Polizisten auf diesem Gebiet einen besonderen Jagdinstinkt entwickelten. Dies wurde nun vom Land Baden-Württemberg institutionalisiert. Das Verkehrsministerium hat am 20. Dezember 2018 eine Anweisung „für die wiederkehrende Fahrzeugüberwachung“ an das Innenministerium und die Prüfinstitutionen versandt. „Seither ist es mit der Duldung vorbei“, erklärt der Fachanwalt für Verkehrsrecht, Matthias Pfitzenmaier. „Seither muss die Polizei in Baden-Württemberg diese Lkw kontrollieren.“

Mit der schriftlichen Stellungnahme von Simon Lappert hat FERNFAHRER bei der Aufsichtsbehörde der Landespolizei, dem baden-württembergischen Innenministerium, nachgefragt, ob diese Jagd auf die Zusatzbeleuchtung wirklich notwendig ist. „Es sei zulässig“, heißt es dazu aus Stuttgart.

Viele Fahrer, die ihre Lastwagen liebevoll gestalten, pflegen und warten, sind jedenfalls angefressen. „Mir ist bewusst, dass das mit der zusätzlichen Beleuchtung nicht hundert­prozentig legal ist“, sagt Finkbeiner. „Auch eine Strafe ist ok. Aber Stilllegung oder vor Ort abbauen, ist übertrieben. Es gibt wahrlich andere Probleme im Transportwesen!“

Nach dem Blog „Zusatzbeleuchtung im Fokus“, der allein über die Facebook-Seite von FERNFAHRER 770-mal geteilt wurde, ist die Meinung der Fahrer zu diesem Thema durchaus kontrovers. Peter „Pepe“ Pilarczyk etwa, unser Profi im Profil, dessen Hobby es ist, „seinen“ Lkw der Spedition Köhnen auf eigene Kosten mit Zubehör zu gestalten, betont, dass dies für ihn eine gewisse Motivation in einem Beruf darstellt, der den Fahrern immer weniger Freiheiten lässt.

Gegenposition

Auf der anderen Seite vertritt etwa Horst Fritzsche aus Westerstede die Auffassung, dass seine eigene Motivation für den Beruf nicht von der Zahl der Lampen am Lkw abhängig ist – sondern von den Arbeitsbedingungen im Gewerbe an sich. „So manche Fahrer haben es mit Zusatzbeleuchtung einfach übertrieben“, argumentiert das Nordlicht. „Sie sehen eher aus wie Kirmesfahrzeuge als wie Arbeitsgeräte. Mitschuld haben auch die Festivalbetreiber, die nur noch Lkw mit möglichst viel Bling-Bling küren.“ Mittelfristig, so steht zu befürchten, könnte es mit den Festivals ganz vorbei sein, falls die Polizei in allen Bundesländern entsprechende Handlungsanweisungen erhalten sollte.

Derzeit scheint die Situation verfahren. Da steht auf der einen Seite Ulrich Wild, ein ehemaliger Dekra-Prüfer, der im Haus des grünen Verkehrsministers Winfried Hermann jene Anweisung zu den „unvorschriftsmäßigen lichttechnischen Einrichtungen“ geschrieben hat. Sie betrifft auch Lastwagen, die in anderen Bundesländern ihre HU absolvieren müssen, und irgendwann durchs Ländle fahren.

Gegenüber FERNFAHRER argumentiert Wild, der früher mit Lkw „erfahren“ habe, dass vorschriftskonforme Beleuchtung möglich sei: „Die tägliche Leistung unserer Berufskraftfahrer ist unbestritten bewundernswert und dient der Versorgung und dem Wohl der Allgemeinheit“. Allerdings sagt er ziemlich klar. „Der öffentliche Straßenverkehr ist kein freies ‚Designstudio‘ lichttechnischer Einrichtungen an Fahrzeugen.“

Demgegenüber sagt „Show-Truck-Fan“ Mario Bruns, Geschäftsführer von Heide Logistik aus Kirchlinteln: „Die Legislative hat in den letzten Jahren nicht nur versäumt, zur Frage der Zusatzbeleuchtung an Lkw eine moderne Überarbeitung der alten Gesetze auf den Weg zu bringen. Im Gegenteil, Lkw-Fahrer, auch die jungen in der Aus­bildung, werden durch angeblich zu viele Lichtquellen an den Fahrzeugen heute teilweise behandelt wie der Staatsfeind Nummer Eins.“

Dem Vorschlag von FERNFAHRER, eine Gesprächsrunde mit den Betroffenen, mit Kraftfahrern, Polizisten und Prüfingenieuren ins Leben zu rufen, hat Verkehrsminister Hermann erstmal eine Absage erteilt. Simon Lappert jedenfalls hat sich nicht einschüchtern lassen. Er hat seine Lampen plus Michelin-Männchen wieder angebaut – und fährt damit weiter europaweit. „Wenn es im Grunde nicht so traurig wäre, so ist das doch eine Lachnummer.“

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Harry Binhammer, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Harry Binhammer Fachanwalt für Arbeitsrecht
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