Volvo-Trucks-Chef Coolsaet Fahrer zu Helden machen

Foto: Christoph Pforr

Trotz der Corona-Krise sieht Christian Coolsaet, Volvo Trucks Geschäftsführer Deutschland und Vice President Europa, positiv in die Zukunft. Die Branche erfahre eine neue Wertschätzung.

Herr Coolsaet – in diesen Zeiten zuerst die Frage nach Ihrer Gesundheit. Sind Sie und Ihre Mitarbeiter soweit wohlauf?

Ja, vielen Dank. In Deutschland ist bei Volvo Trucks noch kein Fall einer Erkrankung mit dem Corona-Virus bekannt. Und die Gesundheit hat heute mehr denn je oberste Priorität, das ist für uns ganz klar.

Inwiefern wird Ihr Alltag aktuell dennoch von der Corona-Krise bestimmt?

Wir wussten, dass wir 2020 nicht noch einmal neue Absatzrekorde zu erwarten haben – aber mit dieser Situation konnte niemand rechnen. Anfang des Jahres haben wir noch gefeiert. 2019 war in jedem Aspekt ein Rekordjahr für Volvo Trucks. Anfang März wollten wir dann mit unseren neuen Lkw eine riesige Präsentation auf die Beine stellen. Alles war vorbereitet für die Presse und die Kunden, alles stand in gewohnt hochprofessioneller Art bereit. Und mit einem Mal stehen wir nicht mehr vor dem für mich größten Launch bei Volvo Trucks, sondern der größten Krise, die wir je in unserer Industrie – eigentlich der ganzen Welt – erlebt haben. Der mentale Umschwung war da schon maximal groß. Aber wir versuchen natürlich, diese Situation mit Vernunft anzugehen. Und eines will ich hier gleich betonen: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Jetzt sieht die Gesellschaft: Ohne unsere Lkw und die Fahrer bleiben die Regale im Supermarkt leer. Ich stelle mit Begeisterung fest, dass unsere Branche, die immer so negativ betrachtet wurde, plötzlich positiv gesehen wird. Auch unsere Werkstattmitarbeiter, die die Lkw warten und herausfahren, wenn es mal ein Problem gibt, sollten wir nicht vergessen, wenn wir wieder zur Normalität zurückkehren. Diese Menschen geben alles, sie sind die Helden.

Ist das Ihre Botschaft – in der Krise nach vorne zu schauen?

Absolut. Das sage ich meinen Mitarbeitern auch in den Video- und Telefonkonferenzen. Wir verkaufen immer noch jeden Tag Lkw, wir registrieren immer noch jeden Tag Bestellungen. Wir müssen die Situation nicht schwärzer sehen als sie ist. Unsere Branche ist systemrelevant. Die Werkstattmitarbeiter und Fahrer können kein Homeoffice machen. Sie sind jeden Tag für uns alle unterwegs – und daher wollen wir Ihnen an unseren Standorten, wo es möglich ist, auch immer anbieten, die Sanitäranlagen zu nutzen, zu duschen und einen Kaffee zu trinken.

Verkaufen Sie aktuell tatsächlich noch aktiv?

Ja, unsere Verkäufer betreiben ihr Geschäft sehr kreativ – sie telefonieren, sie vereinbaren Video-Anrufe und sie beraten die Kunden. Sie stellen auch Lkw bereit, die unmittelbar verfügbar sind. Gerade im Transport von Lebensmitteln gibt es da einen Bedarf. Auch die Werkstattmitarbeiter sind – in dem Umfang, in dem sie arbeiten – ausgelastet. Dabei organisieren wir sie in zwei sechsstündigen Schichten, statt wie bisher im Acht-Stunden-Rhythmus. So kommen die Mechaniker zum Schichtwechsel nicht miteinander in Kontakt, was wichtig ist, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Auch hier hat die Gesundheit unserer Kollegen und der Kunden oberste Priorität. Das Teilegeschäft läuft ebenso auf einem stabilen Niveau. Unser Betrieb kommt also nicht komplett zum Stillstand.

Und wie sieht es in der Produktion aus?

Ende März wurde die sehr schwierige Entscheidung getroffen, die Produktion weltweit zu stoppen – in ganz Europa, den USA und Brasilien. Die Lieferketten können nicht mehr gewährleistet werden. Und wenn ein Werk nicht optimal ausgelastet ist und die Lieferkette nicht zu 100 Prozent steht, ist es besser, die Fertigung komplett einzustellen. Diese Entscheidung steht vorerst bis Anfang April – und ist auch als eine weitere Maßnahme zu verstehen, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Es wird sicher keine einfache Aufgabe, die Bänder wieder anlaufen zu lassen. Aber wir stoßen überall auf Verständnis, auch bei den Kunden. Die Solidarität ist da.

Hat das auch Auswirkungen auf die Produktion der neuen Lkw?

Alles verschiebt sich, der geplante Start der Produktion der neuen Lkw im September – aber auch die Organisation in der Vermietung und in der Vermarktung gebrauchter Fahrzeuge. Noch haben wir kein klares Bild, wann wir wieder zur Normalität zurückkehren können. Aber wir wollen flexibel und kreativ mit dieser Herausforderung umgehen. 2020 wird sicher kein langweiliges Jahr.

Ist die Corona-Krise in Bezug auf den Launch der neuen Trucks zur Unzeit gekommen?

So eine Krise kommt nie zur rechten Zeit. Aber wir wollen jetzt das Beste daraus machen. Wir werden einfach zu einem späteren Zeitpunkt durchstarten. Die neuen Lkw verdienen es, eine Aufmerksamkeit zu bekommen, die im Moment nicht darzustellen ist. Bestellbar sind die neuen Trucks in jedem Fall schon jetzt. Die ersten zwei Demofahrzeuge sind auch schon da und werden in Ismaning vor unserer Zentrale parken. Später möchten wir dann entsprechende Events veranstalten.

Was genau ist neu an FM, FMX, FH und FH16?

FH und FH16 haben ein umfangreiches Facelift erfahren, FM und FMX sind komplett neu – und können dem Fahrer bis zu einem Kubikmeter mehr Raum bieten. Wir haben uns allgemein in der Entwicklung stark auf den Fahrer fokussiert. Seinen Alltag angenehmer zu gestalten, war der Grundgedanke. Ich könnte jetzt viele Neuheiten aufzählen – es gibt Hauptscheinwerfer mit dem weltweit ersten adaptiven Fernlicht für Lkw, einen großen Touchscreen und digitale Instrumente. Außerdem bleibt der Abstandstempomat jetzt bis zum Stillstand aktiv und entlastet den Fahrer so in Staus.

Volvo Trucks FH, FH16, FM, FMX
Neue Generation steht in den Startlöchern
Werden wir in Zukunft dann auch Kameraarme statt Außenspiegel sehen – wie im neuen Mercedes Actros?

Wenn da ein wirkliches Spritsparpotenzial vorliegt, können wir uns das sicher vorstellen – dieser Beweis muss aber noch geführt werden.

Und wie steht Volvo Trucks allgemein zu den CO2-Vorgaben der EU?

Volvo Trucks hat nie den Standpunkt angenommen, dass das eine unmögliche Aufgabe wird. Es wird eine Herausforderung. Die Ziele sind ambitioniert, aber nicht unerreichbar. Wir nehmen die Herausforderung an und das sieht man auch schon jetzt bei unseren Lkw.

Mit welchen technologischen Lösungen können wir da in Zukunft rechnen?

2019 war für uns ein Rekordjahr, auch finanziell. Wir haben diese Gelder direkt in Forschung und Entwicklung gesteckt. Auf unserer Agenda stehen die Elektromobilität, Gasmotoren und der optimierte Diesel. In der Volvo Group arbeiten tausende Ingenieure, die sich nicht auf eine Einzellösung einlassen. Wir haben schon heute einen LNG-Antrieb im Portfolio. Werden diese Trucks mit Bio-Gas betrieben, fahren sie auf der Langstrecke CO2-neutral – schon heute!

Wie sieht Ihre weitere Agenda gerade in Bezug auf die E-Lkw aus?

Wir können heute schon vollelektrische FE und FL liefern. Vor der Corona-Krise hatten wir im Plan, über das Jahr 400 dieser lokal emissionsfreien Lkw zu bauen. 30 bis 50 Einheiten waren allein für Deutschland vorgesehen. Aktuell aber produzieren wir wie eingangs schon erwähnt nicht. Mit Corona ist alles in der Schwebe. Jetzt gilt es, diese Vollbremsung wie bei einem Elektro-Lkw zu nutzen, um Energie zu rekuperieren und im Anschluss mit Vollgas durchzustarten. Unsere Branche, die Werkstattmitarbeiter und die Fahrer stehen bereit – wir sollten sie gerade in der aktuellen Situation zu Helden machen! Das verdienen sie.

Zur Person
Christian Coolsaet ist seit 1997 für die Volvo Group tätig. Von Ende 2011 bis 2014 war der gebürtige Belgier Direktor für das Lkw-Geschäft in der DACH-Region, ging dann als Managing Director für Volvo und Renault Trucks nach Südafrika. Seit Dezember 2015 ist er Geschäftsführer von Volvo und Renault Trucks in Deutschland und außerdem Volvo Trucks Vice President Europa.

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