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Verkehr verlagern in der Schweiz Lkw steigen auf Bahn um

Foto: Alex Buschor

25 Jahre Verkehrsverlagerung in der Schweiz. Die Fortschritte sind erkennbar, die ehrgeizigen Ziele wurden aber verfehlt.

Die Verlagerungspolitik der Schweiz wird 25 Jahre alt. Im Februar 1994 haben die Schweizer per Volksentscheid die Alpeninitiative angenommen, mit der Bergregionen vor zu viel Lkw geschützt werden sollen. Seitdem ist die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene in der Verfassung festgeschrieben. Die dort verankerte Obergrenze für Lkw wird weiterhin überschritten, aber die Eisenbahn spielt mit einem Marktanteil von über 70 Prozent eine so herausragende Rolle wie nirgendwo sonst. Eigentlich hätten ab 2018 nur noch 650.000 Lkw die Schweizer Alpen überqueren sollen, tatsächlich waren es wohl wieder knapp eine Million. Der Rekord lag im Jahr 2000 bei 1,4 Millionen Fahrzeugen, und Schätzungen gehen davon aus, dass der Trend ohne Verlagerungspolitik Richtung zwei Millionen gegangen wäre. Tatsächlich aber sind die Zahlen gesunken, obwohl der Güterverkehr stark zugelegt hat. Artikel 84 der Schweizer Verfassung, der sogenannte Alpenschutz-Artikel, hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Verkehrspolitik.

Nadelöhr Zulaufstrecken

So wurde im Jahr 2001 auf allen Straßen der Schweiz die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) eingeführt, die den Transitverkehr verteuert und mit Milliardensummen dazu beigetragen hat, ein mehr als 20 Milliarden Euro teures System von Eisenbahntunneln (NEAT) durch die Alpen zu finanzieren, Höhepunkt war Ende 2016 die Eröffnung des 57 Kilometer langen Jahrhundertbauwerks durch das Gotthardmassiv. Aber auch Nacht- und Sonntagsfahrverbote tragen dazu bei, Lkw-Verkehre auf die Schiene zu lenken, ebenso Kontrollzentren wie das in Erstfeld vor dem Gotthard-Straßentunnel. „Ohne Alpeninitiative hätten wir heute Zustände wie am Brenner“, unterstreicht der Präsident der Bürgerbewegung Alpen-Initiative, Jon Pult. Über den Pass in Tirol verkehren jährlich zwei Millionen Lkw, mehr als doppelt so viel wie über alle vier wichtigen Alpenübergänge in der Schweiz zusammen. Lediglich 30 Prozent des alpenquerenden Güterverkehrs werden in Österreich auf der Bahn transportiert. Das Transitthema führt im Nachbarland immer wieder zu Blockaden, und sektorale Fahrverbote als Mittel zur Abhilfe verursachen Ärger mit Frächtern und den Nachbarn.

Aber auch die Schweiz wird ihr Verlagerungsziel unter den derzeitigen Bedingungen nicht erreichen. Die für 2020 geplante Eröffnung des Ceneri-Basistunnels als südlichem Zubringer zum Gotthard wird das genauso wenig bewirken wie die Erweiterung des Lichtraumprofils der Bahnstrecken auf vier Meter, denn vor allem mangelt es an Schienenkapazitäten auf den Zulaufstrecken. Vor allem Deutschland hängt mit deren Fertigstellung hoffnungslos hinterher und wurde mittlerweile längst von Italien überholt, das beklagen die Österreicher bei der Umsetzung ihres Brenner-Basistunnels auch. Das alles ärgert nicht nur Umweltschützer, sondern auch Transportunternehmen, die eine Verschlechterung ihres Arbeitsumfelds befürchten. Denn im Kanton Uri kann man sich gut eine weitere Erhöhung der LSVA oder die Einführung einer Alpentransitbörse vorstellen, die die 650.000 Transitrechte versteigert. Auch die Alpen-Initiative fordert von der Regierung eine rasche Umsetzung des Verlagerungsziels und drängt in die gleiche Richtung. Angesichts des Klimawandels und zunehmender Transporte sei der Alpenschutz von größter Dringlichkeit. „Es braucht eine Verkehrswende – und zwar jetzt“, betont der Verband.

Astag: Verlagerungsziel ist illusorisch

"Wir unterstützen die bisherige Verlagerungspolitik der Regierung“, sagt der Zentralpräsident des Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands Astag, Adrian Amstutz. „Die bisherigen Maßnahmen der Schweiz haben gewirkt.“Die Bilanz sei positiv, aber das Verlagerungsziel illusorisch. „Hauptgrund sind die fehlenden Kapazitäten auf den NEAT-Zulaufstrecken in Italien und vor allem in Deutschland“, kritisiert er. Zusatzbelastungen des Straßentransports wie LSVA-Verteuerungen, Dosiersysteme oder eine Alpentransitbörse bewirkten deshalb nichts. Stattdessen müsse die Regierung verstärkt Druck auf Deutschland und Italien ausüben: „Nur so kann die Verlagerung des Transitverkehrs vorwärtskommen.“ Betrachtet man die schleichenden Fortschritte beim Ausbau der Rheintalbahn, erscheint Amstutz’ Forderung eher wie ein frommer Wunsch.

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