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Überladung Wenn der Gewinn verfällt

Foto: Rosenberger/Rathmann, Montage: Haug

Bei schwerer Überladung und anderen Ordnungswidrigkeiten kann in manchen Bundesländern die Polizei eine Gewinnabschöpfung veranlassen. Jetzt zieht auch Nordrhein-Westfalen nach.

Während das Gros der Zielgruppe noch im Lastzug schläft, spitzen die anwesenden Unternehmer beim aktuellen Fernfahrer-Stammtisch der Autobahnpolizei Köln an der Raststätte Aachener Land (A 4) die Ohren. Bei dem Zusammenkommen geht es sonst über Präventionsmaßnahmen zur Verkehrssicherheit. Dieses Mal berichtet Polizeihauptkommissar Volker Lohmeyer von einem Instrument, auf das auch die Behörden in Nordrhein-Westfalen künftig setzen: Gewinnabschöpfung bei Verkehrswidrigkeiten. Selbst Bagatellverstöße können so zu Verfallbescheiden im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich führen.

Abschöpfung bereits 2005 in Rheinland-Pfalz getestet

Neu ist die Abschöpfung im Transportgewerbe nicht: 2005 wurde sie in einem Pilotprojekt in Rheinland-Pfalz getestet.  Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg kennen sie ebenfalls. "Dass man mit zehn Überladungen von zehn Prozent praktisch einen Lkw sparen kann" hat Kriminaldirektor Volker Schmidt aus Montabaur immer gestört. Jetzt kann er von einem Erfolg berichten: "Bestimmte Räume in Rheinland-Pfalz werden von den schwarzen Schafen gemieden. Auch ausländische Lkw werden sofort zur Kasse gebeten. Sie glauben gar nicht, wie schnell dann oft das Geld da ist." 

Nordrhein-Westfalen zieht nach

Jetzt zieht NRW nach. Grundlage ist ein Erlass des NRW-Innenministeriums vom 14. Dezember 2009, der sich auf das Ordnungswidrigkeitsgesetz bezieht. Unterschieden werden dabei zwei Verfahren. Für selbstfahrende Unternehmer greift Paragraf 17.4 OWiG als "erhöhte Geldbuße". Begeht dagegen ein angestellter Lkw-Fahrer den Verstoß, kommt nach Paragraf 29a OWiG der "Verfall des Gewinns" zum Tragen. Der Unterschied ist finanzieller Art: Nach dem Nettoprinzip kann der selbstfahrende Unternehmer seine Kosten, die er bis zum Zeitpunkt der Kontrolle für diesen Frachtauftrag hatte, bei der späteren Anhörung geltend machen. Bei einem angestellten Lkw-Fahrer, also dem laut Definition unmittelbar, nur auf Anordnung handelnden Täter, verzichtet die Staatskasse später auf die Verfolgung und Ahndung einer Ordnungswidrigkeit, "um den Gewinn bei dem eigentlichen Nutznießer der vorwerfbaren Vortat, dem Transportunternehmer, abzuschöpfen", erklärt Lohmeyer. Derzeit koordiniert der Kölner Polizeihauptkommissar noch die elf Bußgeldstellen des Polizeipräsidiums Köln, die Betriebskontrolleure der Bezirksregierung Köln und das Bundesamt für Güterverkehr, um eine einheitliche Sanktion zu gewährleisten. Die Autobahnpolizeistellen in Münster und Dortmund haben das Prinzip bereits eingeführt. Zum zweiten Quartal sollen nun die Polizeibeamten entlang der rund 600 Autobahnkilometer der Kölner Zuständigkeit vorbereitet sein. Die Marschrichtung ist längst klar. "Die Maßnahmen nach Paragraf 29a sind weitaus häufiger zu erwarten", sagt Lohmeyer. Sie treffen zunächst zu bei Überladung eines Lkw um mindestens zehn Prozent, bei einem Verstoß gegen das Sonntags- oder Ferienfahrverbot sowie beim Fehlen notwendiger Sondergenehmigungen, beispielsweise bei Schwertransporten. In ferner Zukunft sollen auch Verstöße gegen die Fahrpersonalverordnung  in den Katalog einbezogen werden: "Wir bewerten die Maßnahmen durchgängig als sinnvolle Präventionsmaßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr."

Strecke plus Ladungsgewicht plus Frachtrate werden kontrolliert

Bei einer Kontrolle beispielsweise eines überladenen Lkw wird dabei folgendermaßen gerechnet: Die zurückgelegte Strecke bis zum Anhaltepunkt, das gesamte Ladungsgewicht also nicht nur der Teil der Überladung dazu die Frachtrate basierend auf den Kostensätzen Gütertransport Straße (KGS). Auch wenn die Kostensätze oft nicht den tatsächlichen Frachten im Transportgewerbe entsprechen  "bislang hatten noch alle Verfahren vor den jeweiligen Gerichten Bestand", sagt Lohmeyer und nennt zwei Beispiele: Ein um 13,88 Prozent überladener Gliederzug mit Lebendvieh wird nach 132 Kilometer Fahrstrecke kontrolliert. Der Verfall, also der Erlös laut KGS zuzüglich Gebühren, beträgt 722,50 Euro. Zweites Beispiel: Bei einem Sattelzug mit Tieflader und Bagger gibt es zwar keine Überladung, aber es wird ein ungeeignetes Fahrzeug ohne Genehmigung laut 29.3 StVO eingesetzt. Errechnet aus Erlös laut KGS plus Gebühren beläuft sich das Bußgeld für den Unternehmer auf 1.075,56 Euro. Sicher, auch der Verlader ist verantwortlich, wenn laut Frachtbrief 24 Tonnen, faktisch 26 Tonnen transportiert wurden. "Ziel ist es, die Unternehmen zu belangen, die Ladungen übernehmen, aber statt der benötigten 50 Lkw nur 45 Fahrzeuge einsetzen und sich dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen", erklärt der Polizeihauptkommissar.

Abschöpfung erzeugt gemischte Gefühle bei Transporteuren

Die Transportverbände sehen das Instrument der Gewinnabschöpfung mit gemischten Gefühlen. Vor allem, weil vieles im Unklaren bleibt. "Wir haben noch keine flächendeckende Erfahrung mit dem Thema", sagt Sebastian Lechner vom Landesverband Bayersicher Transportunternehmer (LBT). "Vereinzelt arbeitet die Polizei damit. Die Verfahren gingen teils zu Gericht, teils wurden die Nachzahlungen akzeptiert. Uns liegt noch keine offizielle Mitteilung der Polizei vor, dass generell mit dem Instrument der Gewinnabschöpfung gearbeitet werden soll."

In Hamburg gibt es Erfahrung mit der Gewinnabschöpfung

Andrea Marongiu, Geschäftsführer des Verbands Spedition und Logistik (VSL) in Baden-Württemberg, weiß hingegen von Mitgliedern, denen mehr oder weniger inoffiziell angeraten wurde, das ausgesprochene Bußgeld besser zu akzeptieren. Ansonsten werde die Trumpfkarte der Vermögensabschöpfung gezogen. In Hamburg gibt es seit 2007 Erfahrungen mit der Gewinnabschöpfung, insbesondere bei Überladungen von Kipperfahrzeugen, berichtet Frank Wylezol, Geschäftsführer des Verbands Straßengüterverkehr und Logistik Hamburg (VSH). Seine Erfahrungen: "Bei drohenden Bescheiden teils in Millionenhöhe ist jeder Unternehmer sensibilisiert. Aber dennoch kommt es ungewollt immer mal wieder zu unvermeidbaren Überladungen." So sei beispielsweise bei Abtransport von Straßenabbruch oft keine Waage vor Ort vorhanden und in den Lkw verbaute Waagen zu ungenau, man müsse also schätzen, wann die 40 Tonnen erreicht sind. "Eine Ahndung mit Augenmaß unter Berücksichtigung von Toleranzen, wie sie im Straßenverkehrsrecht verankert ist, halten wir daher für angemessen", sagt Wylezol.  

Verfallbescheide im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich werden fällig

Aber leider läuft es oft anders: Die Ahndung jedes Bagatellverstoßes führe laut Wylezol manchmal zu Verfallbescheiden im sechs- bis siebenstelligen Euro-Bereich. Diese würden im Verlauf der gerichtlichen Verfahren zwar regelmäßig nach den Grundsätzen des Opportunitätsprinzips auf entsprechende Summen zurückgeführt. "Für eine nicht unerhebliche Zeitspanne verbleiben die betroffenen Transportunternehmen allerdings über den Ausgang der Verfahren in Unsicherheit, mit entsprechenden Folgen wie bilanzielle Rückstellungen und Probleme im Finanzgeschäft."

Gesetzliche Grundlagen

Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils nach § 17 Abs. 4 OwiG - Höhe des Bußgeldes:

Der wirtschaftliche Vorteil im Sinne des § 17 Abs. 4 OWiG ist das aus der Tat gezogenen Vermögen am Ende der Tathandlung, vermindert um die Tat-Einlagen und vermehrt um die Tat-Entnahmen abzüglich der Ansprüche des aus der Tat Verletzten und der auf dem wirtschaftlichen Vorteil lastenden Steuern.

Er kann auch ermittelt werden, als Unterschiedsbetrag zwischen den aus der Tat gezogenen Vermögensmehrungen und den Vermögensminderungen abzüglich der Ansprüche des aus der Tat Verletzten und der auf dem wirtschaftlichen Vorteil lastenden Steuern.

§ 29a Verfall

(1) Hat der Täter für eine mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr etwas erlangt und wird gegen ihn wegen der Handlung eine Geldbuße nicht festgesetzt, so kann gegen ihn der Verfall eines Geldbetrages bis zu der Höhe angeordnet werden, die dem Wert des Erlangten entspricht.

(2) Hat der Täter einer mit Geldbuße bedrohten Handlung für einen anderen gehandelt und hat dieser dadurch etwas erlangt, so kann gegen ihn der Verfall eines Geldbetrages bis zu der in Absatz 1 bezeichneten Höhe angeordnet werden.

(3) Der Umfang des Erlangten und dessen Wert können geschätzt werden. § 18 gilt entsprechend.

(4) Wird gegen den Täter ein Bußgeldverfahren nicht eingeleitet oder wird es eingestellt, so kann der Verfall selbstständig angeordnet werden.

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